Rezension über:

Terry Parssinen: Die vergessene Verschwörung. Hans Oster und der militärische Widerstand gegen Hitler, München: Siedler 2008, 288 S., ISBN 978-3-88680-910-3, EUR 22,95
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Rezension von:
Klaus Michaelis
Erlangen
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Michaelis: Rezension von: Terry Parssinen: Die vergessene Verschwörung. Hans Oster und der militärische Widerstand gegen Hitler, München: Siedler 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 5 [15.05.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/05/15861.html


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Terry Parssinen: Die vergessene Verschwörung

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Terry Parssinen von der Universität in Tampa (Florida) legt sein 2003 erschienenes Buch "The Oster-Conspiracy. The Unknown Story of the Military Plot to Kill Hitler" unter dem Titel "Die vergessene Verschwörung" in deutscher Übersetzung und in überarbeiteter Form vor. Das Buch sieht General Oster im Mittelpunkt der Aktivitäten deutscher Oppositioneller im Zusammenhang mit der Sudetenkrise, die 1938 durch die Ausschaltung Hitlers einen Krieg verhindern sollten.

Die These, dass die Ausschaltung Hitlers durch Chamberlains Reise nach München verhindert worden sei, hat erstmals der frühere Regierungsrat Gisevius als einer der wenigen überlebenden Zeitzeugen im Nürnberger Prozess im Februar 1946 der Öffentlichkeit präsentiert. Der ehemalige Generalstabschef Halder stellte in seinen Vernehmungen in Nürnberg und seinem Entnazifizierungsverfahren die Dinge unter starker Betonung seiner eigenen Rolle dar. Ein weiterer Zeitzeuge, der Abwehrfachmann Heinz, damals Hauptmann, hat sich ebenfalls dazu geäußert. Allerdings hat schon 1954 der britische Historiker Wheeler-Bennet gemeint, dass der "Putsch vom September viel dem literarischen Genie Halders" zu verdanken habe.

Zweifellos hat es seit den Weisungen Hitlers vom Ende März 1938, den Krieg gegen die Tschechoslowakei zu planen, zahlreiche Gespräche und Kontakte zwischen verschiedenen Personen gegeben, die den Krieg vermeiden wollten. Einen einheitlich von allen Beteiligten akzeptierten Plan gab es nicht. Heinz und Oster wollten Hitler bei einem Stoßtruppunternehmen gegen die Reichskanzlei töten. Gisevius wollte ihn vor das Reichsgericht stellen und andere wollten Hitler durch einen bekannten Neurologen für geisteskrank erklären lassen.

Parssinen betont nun sehr stark die Rolle von General Oster, der 1945 als Widerständler des 20. Juli erschossen worden ist. Er konnte das Privatarchiv Osters einsehen, ohne allerdings nennenswerte Beweise für die Aktivitäten Osters zu gewinnen. Sein Buch gliedert er in vier Kapitel: Kapitel 1 "Oster rekrutiert die Generale", Kapitel 2 "Beck schließt sich an", Kapitel 3 "Oster organisiert die Verschwörung" und Kapitel 4 "Hitlers Messer an Chamberlains Kehle". Dabei baut er auf der bisherigen Literatur auf, die ihren Ausgang im Jahre 1956 mit einer Arbeit über "Vorgeschichte und Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler" von Helmut Krausnick vom Münchner Institut für Zeitgeschichte genommen hat. Parssinen ergänzt die Sekundärliteratur durch eine Fülle von Aussagen aus zweiter und dritter Hand, von Vermutungen, Hypothesen und Analogien. Der Autor hat durch die Unterteilung der Kapitel in einzelne Abschnitte, die sich auf Tage und Orte der Handlung beziehen, eine spannende Darstellungsart gewählt. Einen Schwerpunkt legt er auf die Kontakte der deutschen Opposition mit offiziellen und privaten Stellen in Großbritannien - die Quellenlage ist hier besser als in Deutschland - und stellt ihr Scheitern deutlich dar.

Leider fällt eine Fülle von Unrichtigkeiten auf. Bei den Diensträngen der Offiziere sind Vor- oder Nachdatierungen fast die Regel, sie werden mit Rängen zitiert, die sie noch nicht oder früher bekleidet haben. Göring wird zum "Reichsfeldmarschall" befördert. Der damalige Oberst Jodl, Chef der Abteilung Landesverteidigung im OKW, wird als "Artilleriegeneral" bereits 1938 Chef des Wehrmachtsführungsamtes. Der Begriff "Reichsbürger" aus den Nürnberger Gesetzen dient bei Parssinen zur Kennzeichnung der Juden, obwohl er tatsächlich nur "Ariern" vorbehalten war. Die Abschlussveranstaltung des Parteitages mit der Rede Hitlers findet im Buch auf dem Märzfeld vor "Hunderttausenden" statt. In Wirklichkeit redete Hitler am Abend des 12. September in der Kongresshalle vor einigen hundert höheren Parteifunktionären. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

Auf ein Literaturverzeichnis verzichtet der Verfasser. Man ist so auf Hinweise in den jeweiligen Fußnoten angewiesen. Das Personenregister bietet eine recht eigenwillige Bewertung, wer als "Verschwörer" gelten kann. Ihre Anzahl ist erstaunlich hoch. Z.B. zählt Parssinen auch den Oberbefehlshaber des Heeres v. Brauchitsch dazu, obwohl dieser sich nach dem Kriege ausdrücklich vom Vorhaben distanziert hat.

Das Buch hätte ein Lücke schließen können, wenn es neben der Darstellung hinlänglich bekannter Tatsachen offene Punkte hinterfragt hätte. Warum z.B. Goerdeler, damals schon eine zentrale Figur des Widerstandes, im kritischen September in der Schweiz auf Reisen war. Warum Beck schon im August und Halder im September den Kontakt mit den Oppositionellen aufgaben. Warum Gisevius, Heinz und Oster, in Wirklichkeit doch nur untergeordnete Funktionäre, die entscheidenden Kräfte gewesen sein sollen.

Von Interesse wäre auch gewesen, warum Ende Oktober nur zwei offenkundige Hitlergegner - Beck und Adam -, beide mit dem Titel eines Generalobersten versehen, aus dem aktiven Heeresdienst entlassen wurden, aber kein einziger der "Verschwörer" nach dem September 1938 vor Gericht gestellt, erschossen oder sonst wie bestraft worden ist. General v. Witzleben, einer der "Hauptverschwörer", wurde als Nachfolger Adams Oberbefehlshaber der Heeresgruppe 2 in Frankfurt, 1939 zum Generaloberst und 1940 sogar zum Generalfeldmarschall befördert. Auch der "Titelheld" des Buches, der damalige Oberstleutnant Oster, stieg im Kriege 1942 zum Generalmajor auf. Beide, Witzleben wie Oster, wurden dann im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet. Das besagt doch, dass weder Gestapo noch SD irgendwelche Informationen über die Opposition im September 1938 gehabt haben.

Kritische Ansätze sind also im Buch nicht zu erkennen. "Das Buch richtet sich vorwiegend an historisch interessierte Laien und bietet eine spannende Darstellung, die indes die Zweifel an der 'Septemberverschwörung' nicht auszuräumen vermag."

Klaus Michaelis