Rezension über:

Lothar Schilling (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz (= Pariser Historische Studien; Bd. 79), München: Oldenbourg 2008, 238 S., ISBN 978-3-486-58095-2, EUR 34,80
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Rezension von:
Johannes Dillinger
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Dillinger: Rezension von: Lothar Schilling (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München: Oldenbourg 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 7/8 [15.07.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/07/13380.html


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Lothar Schilling (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept?

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Wohl kaum ein historisches Konzept erfreut sich beim Laienpublikum ähnlich anhaltender Popularität und wird gleichzeitig von Fachwissenschaftlern so skeptisch betrachtet wie der Absolutismus. In der Fachwissenschaft ist die Debatte um den Sinn und Nutzen von Begriff und Konzept des 'Absolutismus' nur noch schwer zu überschauen. Seiner Beliebtheit bei Lehrplangestaltern, Studienanfängern und Verlegern konnte das freilich kaum etwas anhaben. Selbstverständlich geht kein ernsthafter Historiker davon aus, dass Absolutismus - verstanden als uneingeschränkte Herrschaft eines durch dynastisches Erbrecht und Gottesgnadentum legitimierten Monarchen, der sich vermittels eines um Beamtenschaft und Militär gruppierten Machtapparats sein Territorium erschließt - schlicht eine politische Realität gewesen sei. Angesichts der von der deutschen Geschichtswissenschaft immer schon betrachteten ständischen Strukturen hätte ein so einfaches Konzept nie überzeugen können, auch nicht vor dem unverhältnismäßig stark beachteten Einspruch von Henshall. Gegenstände der z.T. polemisch geführten Debatte sind seit Langem die unterschiedlichen Formen und Geschwindigkeiten 'absolutistischer' Umstrukturierungen in Europa, die Aushandlungsprozesse zwischen Monarch und Ständen, der Interessenabgleich von Regierung und Adel, die Rolle von Klientelsystemen und Kommunikation als Bedingungsrahmen politischen Handelns und nicht zuletzt die Bedeutung der 'Untertanen' für die Etablierung neuer Formen von Staatlichkeit.

Der von Lothar Schilling herausgegebene Sammelband bietet sowohl eine informative Bestandsaufnahme der Debatte als auch wichtige neue Beiträge. Der Band geht auf ein deutsch-französisches Werkstattgespräch zurück, das 2005 am Deutschen Historischen Institut Paris stattfand. Nachdem Vorworte von Werner Paravicini, dem Gastgeber der Konferenz, und Schilling den Zuschnitt von Tagung und Tagungsband erläutert haben, folgen acht Aufsätze in vier thematischen Rubriken, an die sich eine Schlussbetrachtung anschließt. Der Tagungsband ist zweisprachig deutsch-französisch. Der Herausgeber bietet den Service einer Zusammenfassung der Beiträge in der jeweils anderen Sprache.

Die erste Rubrik versammelt Forschungsberichte mit programmatischen Stellungnahmen. Schilling geht mit der Charakterisierung des Absolutismus als 'Mythos' produktiv um. Er schlägt vor, den Absolutismus unter kulturhistorischem Vorzeichen als 'Mythos' zu sehen, d.h. als komplexes und wandelbares soziales Konstrukt einer Vorstellung, die Herrschaft symbolisiert, aus der sich aber zugleich konkrete politische Handlungsmaximen ableiten lassen. Fanny Cosandey führt in die französische Forschungsdiskussion ein. Sie warnt vor anachronistischen Fehldeutungen, die die Möglichkeiten des Ancien Régime überschätzen. Die als absolutistisch etikettierte Herrschaftsmacht will sie verstanden wissen als wandlungsfähigen, aktiven 'Lückenfüller', der auf jeder Ebene Machtvakua zu besetzen verstand. Die Legitimität des theoretischen Konzeptes 'Absolutismus' bestehe darin, diese Praxis zu reflektieren.

Die zweite Rubrik ist dem Diskurs und der Kommunikation des Absolutismus gewidmet. Albert Rigaudière untersucht Schriften von Jean Juvénal des Ursins, einem Berater Karls VII., quasi als Vorgeschichte des Absolutismus. Dieser Beitrag wirkt wie eine komprimierte Dissertation und ist mit Abstand der längste des Bandes. Rigaudiéres intensive Arbeit an den ausführlich zitierten Quellen ist wichtig und lobenswert. Gleichwohl droht dieser Detailreichtum den Band insgesamt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Jean Juvénals Auffassung von monarchischer Gewalt stellte diese nur noch unter die Verpflichtung, gemäß dem Willen Gottes Mäßigung zu üben. Genau diese Pflicht zur Mäßigung problematisiert Denis Crouzet in seinem Beitrag. Er zeigt, dass dieses Argument in den Konfessionskriegen des 16. Jahrhunderts gängig war, die Bartholomäusnacht aber ganz neue Anforderungen an die politische Ideenwelt stellte. Nun verwandten die Monarchen ein 'Notstandsargument', das die Entgrenzung der Königsmacht angesichts hochgradig krisenhafter Zeitumstände zur Notwendigkeit erhob.

Das 'klassische' Thema des Spannungsfelds von Monarch, Hof und Aristokratie wird in der dritten Rubrik dargestellt. Im Artikel von Leonhard Horowski wird einmal mehr Norbert Elias demontiert. Statt einem Gegensatz von Adel und Bürgerlichen bei Hof sieht Horowski vielmehr die auch aus anderen Staaten bekannten Parteiungen: Das sind, pointiert gesagt, die Anhänger der Zentralgewalt und die Repräsentanten der 'Peripherie', die Kronfraktion und die Landfraktion. Die Fronde resultierte demzufolge in einem Kompromiss, der die Gegner der Krone nicht beseitigte oder verstummen ließ, sondern ihnen quasi die Rolle einer Opposition bei Hof einräumte. Gerrit Walther deutet das höfische Zeremoniell Ludwigs XIV. als Antwort auf die adelige Selbstinszenierung während der Fronde. Der Hof münzte ritualisierte Rebellion zu Riten eines freiwilligen Vollzugs von Regeln um.

Die vierte Rubrik setzt sich mit Alternativen zum Absolutismus auf der historiografischen Metaebene auseinander. Armelle Lefebvre stellt Bodins Staatsauffassung die von Hotman vertretene juristische Schule gegenüber. Vor Bodin dominierte nach Lefebvre eine Tradition der Jurisprudenz, die gemeinsame rechtliche Grundlagen der europäischen Staaten suchte. Bodin vollzog den Bruch von dieser Tradition und die Abkehr vom römischen Recht, um das unbedingte und individualisierende Verständnis von Staatlichkeit zu etablieren, das bis in die Gegenwart dominiert. Achim Landwehr stellt fest, dass 'Gute Policey' als begriffliche Alternative zu Absolutismus nicht in Frage kommt. Er fordert einmal mehr die absolutistischen Strömungen in einem weiteren rechtlich-administrativen Bereich einzuordnen, als deren Charakteristikum er den Glauben an die aktive Formbarkeit sozialer Bedingungen sieht.

Die provokanten Schlussüberlegungen von Wolfgang Reinhard kommen für den Absolutismus zu einem vernichtenden Fazit. Er sei in all seinen Füllungen und Bedeutungen nicht nur ersetzbar, sondern ein Forschungshemmnis. Zur Benennung des Produkts der Umstrukturierung staatlicher Macht zugunsten monarchischer Zentralen im 17. / 18. Jahrhundert empfiehlt er "absolute Monarchie" (234).

Ein Register und eine Auswahlbibliografie fehlen, bei Tagungsbänden erwartet man sie ohnehin nicht. Dass noch immer die veraltete Rechtschreibung verwendet wird, wirkt störend.

Es wäre absurd, einer deutsch-französischen Betrachtung zum Absolutismus anzukreiden, dass andere europäische Staaten - etwa Dänemark, Schweden und England - kaum Beachtung finden. Vielmehr könnte dieser Band als Orientierung helfen, die Debatte um den Absolutismus mit europäischen Vergleichen weiter voranzutreiben. Einen eingehenderen deutsch-französischen Vergleich zumindest auf der Diskursebene, den auch Reinhards Überblick nur in Ansätzen leistet, hätte die Bedeutung der Publikation weiter gesteigert.

Schillings Band steht als einem wichtigen Beitrag zur Erforschung von Staatsbildungsprozessen große Aufmerksamkeit zu. Die weitere Forschungsdiskussion zum Absolutismus, die angesichts der Plädoyers zur Abschaffung des Begriffs nicht auf sich warten lassen wird, kann und sollte auf ihm aufbauen. In der Lehre lässt sich der Band gut einsetzten. 'Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? - L'absolutisme, un concept irremplaçable?' darf in keiner Bereichsbibliothek und keinem einschlägigen Semesterapparat fehlen.

Johannes Dillinger