Rezension über:

Andreas Goltz: Barbar - König - Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts (= Bd. 12), Berlin: de Gruyter 2008, XV + 681 S., ISBN 978-3-11-018985-8, EUR 98,00
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Rezension von:
Sebastian Scholz
Historisches Seminar, Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Scholz: Rezension von: Andreas Goltz: Barbar - König - Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/15694.html


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Andreas Goltz: Barbar - König - Tyrann

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In seiner an der Freien Universität Berlin entstandenen und für den Druck erheblich erweiterten Dissertation hat sich Andreas Goltz dem schwierigen Unterfangen gestellt, dem Bild Theoderichs (454-526) in den byzantinischen und in den westlichen Quellen vom 5. bis zum 9. Jahrhundert nachzugehen. Diese behandelt er nach zeitlicher und regionaler Ordnung. Es geht ihm dabei vor allem um die Motive und Hintergründe einer spezifischen Darstellungsweise Theoderichs und um die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Autoren. Die prekäre Überlieferungslage etlicher Quellen erschwert diese Untersuchung allerdings sehr.

Am Anfang stehen vier fragmentarisch überlieferte byzantinische Quellen aus der Zeit vor 518. Goltz bringt deren freundliches Theoderichbild mit der Kritik an Kaiser Zenon in Verbindung und lehnt die sonst oft vertretene Zerrüttung zwischen dem Gotenkönig und Byzanz nach 493 ab (76). Das danach bei Marcellinus Comes, dessen erste Redaktion Goltz erst auf Mitte der 520er Jahre datiert, und Johannes von Antiochia greifbare negative Bild Theoderichs bringt er mit der bereits einsetzenden Restaurationspolitik Justinians in Verbindung. Damit widerspricht er der Forschungsmeinung, Justinian habe zu dieser Zeit noch keine Restaurationspolitik betrieben.

Den Wandel in den Quellen zu einem wiederum überwiegend positiven Bild Theoderichs seit den 530er Jahren erklärt Goltz mit der Entspannung zwischen Byzanz und Ravenna und der veränderten Propaganda Justinians. Besonders gelungen ist die Auseinandersetzung mit Prokop. Dieser berichtet vor allem über Theoderichs Zeit in Italien und entwickelt ein positives Bild des Gotenkönigs vor allem dort, wo dessen Verhalten byzantinischen Interessen diente. Allerdings kritisiert Prokop Theoderichs Herrschaftslegitimation. Goltz sieht im Theoderichbild Prokops deshalb keine Kritik an Justinian, sondern einen Reflex der Auffassung des kaiserlichen Hofes und der byzantinischen Oberschicht.

Für die italischen Quellen aus der Zeit vor 520 stellt Goltz fest, "daß sie zwar gelegentlich Kritik üben oder indifferent über den Amaler berichten, vorwiegend aber ein positives, ja mitunter geradezu panegyrisches Bild Theoderichs vermitteln" (346). Daraus folgert er ein insgesamt positives Verhältnis der Führungsschichten Italiens zu Theoderich. Dies scheint jedoch methodisch problematisch. Denn Bischof Ennodius von Pavia, der immerhin einen Panegyrikus auf Theoderich verfasste, und Cassiodor, der unter Theoderich seine Karriere machte, hatten kaum einen Grund, den Gotenkönig negativ darzustellen. Zwar berichten auch die Viten der Päpste Symmachus und Laurentius im Liber pontificalis und im Fragmentum Veronese nicht negativ über Theoderich, aber beide Päpste und ihre Anhänger hatten sich im Schisma an Theoderich um Hilfe gewandt. Nur mit der Unterstützung des Königs war es einer Partei möglich, sich endgültig durchzusetzen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis spiegeln die Quellen wider. Wenn auch ein insgesamt positives Verhältnis der Führungsschichten Italiens zu Theoderich durchaus möglich scheint, kann man es aus den angeführten Quellen wohl nicht erschließen. Leider geht Goltz an dieser Stelle nur am Rande (350f.) darauf ein, ob man Theoderich in Italien als von Byzanz gebilligten und somit rechtmäßigen Herrscher betrachtete, wofür einiges spricht. Insofern muss auch die von Goltz besonders betonte Zusammenarbeit ziviler und kirchlicher Eliten mit dem König nicht verwundern.

Einen weiteren Schwerpunkt der Untersuchung bildet der Prozess gegen Boethius, der einen wesentlichen Einfluss auf das Bild Theoderichs im Mittelalter und in der neueren Forschung hatte. Goltz macht plausibel, dass die Hinrichtung des Boethius die Senatsaristokratie nicht schlagartig gegen Theoderich einnahm, da diese Boethius selbst reserviert gegenüber stand. Die subjektiv gefärbte Consolatio philosophiae des Boethius greift Theoderich natürlich scharf an, rückt ihn in die Nähe von Caligula und Nero (384f.) und sieht in ihm den typischen ungerechten Tyrannen. Aber Goltz bezweifelt zu Recht, dass die Consolatio von besonderer Wirkung für das Theoderichbild war, da sie offenbar vor dem 8. Jahrhundert kaum rezipiert wurde (388f.).

Zudem kann Goltz zeigen, dass Boethius' Schicksal offenbar in der Bevölkerung keine besondere Empörung auslöste. Auch kam es nach seiner Hinrichtung nicht zu einem Bruch in der Zusammenarbeit zwischen den italischen Eliten und Theoderich (390f.). In Byzanz fand der Prozess ebenfalls keinen Widerhall (393).

Erst mit der stärkeren Verbreitung des Liber pontificalis, der die Hinrichtung des Boethius und des Symmachus als Märtyrertod darstellte, wurde dieses Ereignis wieder bewusst und veränderte die Haltung zu Theoderich. Grundlegend für dieses neue Bild war die Vita des Papstes Johannes I. (523-526) in der ersten Redaktion des Liber pontificalis. Hier wird Theoderich als arianischer Tyrann dargestellt, der schließlich für den Tod des Papstes verantwortlich war. Goltz hält den Bericht über die Einkerkerung und Ermordung des Papstes und seiner Begleiter durch Theoderich jedoch für eine Erfindung des Papstbiographen, wofür er durchaus gute Gründe hat. Allerdings geht auch Goltz davon aus, dass es wegen des langen Aufenthalts des Papstes in Konstantinopel zu Spannungen mit Theoderich kam. Leider geht Goltz in diesem Zusammenhang nicht auf das Epitaph ein, das allgemein auf Johannes I. bezogen wird und wie die Papstvita von einem Märtyrertod Johannes' I. berichtet.[1] Die genauen Umstände beim Tod des Papstes werden sich aufgrund der schlechten Quellenlage wohl kaum klären lassen.

Der Überarbeiter des Liber pontificalis nahm - möglicherweise in den 540er Jahren (449f.) - gegenüber der früheren Version zahlreiche Änderungen vor. Goltz sieht hier einen Bruch im Theoderichbild, da der Redaktor das in der ersten Version mehrfach für Theoderich verwendete Attribut "hereticus" tilgte. Ob man daraus aber auf ein zunächst freundlicheres Theoderichbild schließen darf, scheint mir fraglich. Denn das negative Theoderichbild der Johannesvita wurde fortgeschrieben. Die Hintergründe dafür sieht Goltz zu Recht in den Gotenkriegen, dem wachsenden Einfluss der Byzantiner in Italien und dem Schisma zwischen den Päpsten Silverius und Vigilius. Doch diese Faktoren waren auch schon wirksam, als die früheren Viten überarbeitet wurden. Jedenfalls hat die negative Sichtweise der Johannesvita schließlich das Bild Theoderichs in den westlichen Quellen bestimmt, zumal Gregor der Große es weiter vermittelte.

Andreas Goltz hat eine methodisch anspruchsvolle Arbeit vorgelegt und zeigt viel Fingerspitzengefühl bei der Interpretation der Quellen. Seine akribischen Analysen liefern Ergebnisse zu Inhalt, Abhängigkeit und Überlieferung, die oft nicht nur für die Frage nach dem Theoderichbild, sondern generell für den Wert der behandelten Quellen von Bedeutung sind. Die Frage nach der Glaubwürdigkeit bleibt jedoch in vielen Fällen ein ungelöstes Problem. Das mag auch an dem gewählten Verfahren liegen, die Quellen einzeln zu behandeln, wodurch eine zusammenfassende Würdigung aller Quellen zu einem Aspekt erschwert wird.


Anmerkung:

[1] Liber pontificalis, Bd. 1, ed. Louis Duchesne, Paris 21955, 278.

Sebastian Scholz