Rezension über:

William Mulligan: The Creation of the Modern German Army. General Walther Reinhardt and the Weimar Republic, 1914-1930 (= Monographs in German History; Vol. 12), New York / Oxford: Berghahn Books 2005, viii + 247 S., ISBN 978-1-57181-908-6, USD 70,00
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Rezension von:
Rüdiger Bergien
Historisches Institut, Universität Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Rüdiger Bergien: Rezension von: William Mulligan: The Creation of the Modern German Army. General Walther Reinhardt and the Weimar Republic, 1914-1930, New York / Oxford: Berghahn Books 2005, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/15484.html


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William Mulligan: The Creation of the Modern German Army

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Der Name "Walther Reinhardt" steht für einen der wenigen explizit republikanisch eingestellten Reichswehroffiziere, für den engen Mitarbeiter des Reichswehrministers Gustav Noske, für den einzigen General, der am Morgen des 13. März 1920 bewaffneten Widerstand gegen die auf Berlin marschierende Marinebrigade Ehrhardt forderte. Die Weimarforschung stilisierte Reinhardt zur rühmlichen Ausnahme innerhalb einer überwiegend republikfeindlichen und revisionistischen militärischen Elite. Positionen und Aktionen Reinhardts, die sich mit diesem Bild weniger gut in Übereinstimmung bringen ließen, wurden eher ausgeblendet: Beispielsweise sein Eintreten für einen preußisch-deutschen "Oststaat" [1], von dem aus im Sommer 1919 der "Endkampf" gegen die Alliierten geführt werden sollte, oder die von ihm als Befehlshaber des Wehrkreises V betriebene militärische Intervention gegen die thüringische SPD-KPD-Regierung im Herbst 1923.

Der in Dublin lehrende Historiker William Mulligan hat sich der Rolle des Generals Walther Reinhardt in der Weimarer Republik angenommen. Den größten Teil der Darstellung nehmen die Monate zwischen der Novemberrevolution 1918 und dem Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 ein, also die Zeit, in der Reinhardt als letzter preußischer Kriegsminister und als Chef der Heeresleitung über besonderen politischen Einfluss verfügte. Mulligans kompakte Studie kann jedem und jeder an der Epoche Interessierten empfohlen werden. Denn es gelingt dem Autor nicht nur, die vermeintlichen Inkonsistenzen im Denken und Handeln Reinhardts plausibel zu machen. Indem er die Gründungsphase der Republik aus der Perspektive eines von der Forschung vernachlässigten, gleichwohl an entscheidender Stelle tätigen Akteurs in den Blick nimmt, eröffnet er zugleich eine neue, weiterführende Perspektive auf diese so "durchforschte" Gründungsphase der Weimarer Republik.

Die Vorkriegsbiografie seines Protagonisten streift Mulligan nur knapp, die Quellenlage setzt hier enge Grenzen. Immerhin kann er nachweisen, dass dem in der württembergischen Armee dienenden Reinhardt bereits vor 1914 der Ruf eines "Linken" (und sogar der eines Philosemiten) anhaftete. Zwar konnte ein Offizier im Wilhelminismus schon als links gelten, wenn er sich der Sozialdemokratie gegenüber nicht völlig ablehnend zeigte und viel weiter gingen Reinhardts "linke" Positionen offenbar auch nicht. Nichtsdestoweniger, im Dezember 1918 erwies sich diese Zuschreibung als Vorteil: Sie machte Reinhardt, seit November bereits Leiter der Demobilmachungsabteilung im preußischen Kriegsministerium, zu einem akzeptablen Nachfolger des preußischen Kriegsministers Heinrich Scheüch.

Für den Rat der Volksbeauftragten erwies sich Reinhardt als eine gute Wahl; durch seine Flexibilität und Kompromissfähigkeit nahm er etwa den im Offizierkorps berüchtigten "Hamburger Punkten" ihre revolutionäre Spitze. Zugleich besaß Reinhardt einen ausgeprägten politischen Gestaltungswillen und wurde in mehr als einer Hinsicht zum "Creator of the modern German army".

So übte Reinhardt maßgeblichen Einfluss auf die Formulierung des Reichswehrgesetzes vom 5. März 1919 aus. Gegen den Widerstand Bayerns und Württembergs verwirklichte er seine Vorstellung eines zentralen Reichswehrministeriums (was das Ende der preußischen, bayerischen, sächsischen und württembergischen Kriegsministerien bedeutete). Schließlich setzte er im Sommer 1919 seine Version von der künftigen militärischen Spitzenorganisation durch: Die neu geschaffene (und seit dem Herbst 1919 von ihm selbst besetzte) Position des Chefs der Heeresleitung kombinierte die militärische Kommandogewalt über das Heer mit der Befehlsgewalt über die Heeresverwaltung und bedeutete dadurch einen Bruch mit der Kommandostruktur des Kaiserreichs. Reinhardt, und nicht etwa Seeckt - dessen Gegenentwurf anstelle des Chefs der Heeresleitung einen starken Chef des Truppenamts vorgesehen hatte -, war der "erste Architekt der Reichswehr." [2]

Seine Bereitschaft, nach der Novemberrevolution 1918 mit den Vertretern der neuen Ordnung zu kooperieren, hatte dem im Jahre 1919 erst 47-jährigen Reinhardt also großen Einfluss auf die Gestaltung der neuen deutschen Armee verschafft, freilich um den Preis fehlenden Rückhalts im Offizierkorps, das ihm zu große Nachgiebigkeit gegenüber den "Sozialisten" vorhielt. Einen Opportunisten wird man ihn jedoch nicht nennen können. Denn, so argumentiert Mulligan, Reinhardts Kooperation mit der "Republik" war mehr als das Nutzen von Gelegenheiten, sie korrespondierte vielmehr auch mit seinen wehrpolitischen Leitbildern. Reinhardt gehörte, wie etwa Joachim von Stülpnagel, zu jenen Offizieren, die aus den neuen Formen des Krieges, wie sie sich im Ersten Weltkrieg manifestiert hatten, radikale Konsequenzen zogen. Künftige Kriege galten ihnen nur noch dann als führbar, wenn die Auflösung der Grenzen zwischen Militär und ziviler Gesellschaft bereits im Frieden vorweggenommen wurde. Das bedeutete, das gesamte "Volk" als Träger der Kriegführung zu sehen, das bedurfte einer "Wehrhaftmachung" aller Bevölkerungsteile und das hieß, dass die "innere Einheit" zwischen Armee, Volk und Regierung zu einer Prämisse erfolgreicher Wehrpolitik wurde. Dieses Leitbild der inneren Einheit bildet den Schlüssel zu den nur auf den ersten Blick widersprüchlichen Positionierungen Reinhardts im ersten Jahrfünft der Weimarer Republik.

Denn ausgehend von dem Primat der "inneren Einheit" war die Kooperation mit der Sozialdemokratie, die 1918/19 die Mehrheit der Bevölkerung zu repräsentieren schien, keine Anbiederei, sondern militärische Notwendigkeit. Der Primat der Einheit und weniger ein "katastrophischer Nationalismus" ließ es Reinhardt im Juni 1919 geraten scheinen, für eine Ablehnung des Versailler Vertrags einzutreten, da aus seiner Sicht nur so ein Bruch der zivil-militärischen "Einheitsfront"[3] verhindert werden konnte.

Der Wunsch, den Bruch zwischen Arbeiterschaft und Reichswehr zu vermeiden (und weniger republikanische Überzeugungen), veranlasste ihn am Morgen des 13. März 1920, für den Einsatz von Reichswehrtruppen gegen die Marinebrigade Ehrhardt einzutreten. Sein Konfrontationskurs gegen die "Arbeiterregierung" Frölich in Thüringen im Herbst 1923 schließlich diente dem Ziel, weitere Erhebungen der radikalen Rechten zu verhindern und zugleich die separatistischen Tendenzen in der bayerischen Staatsregierung einzudämmen. Das Leitbild des gesamtgesellschaftlich zu führenden Krieges, weniger politische Präferenzen, bildete die Matrix für das Handeln des Generals Walther Reinhardt.

Ob man ihn deshalb mit Mulligan einen "radikalen Militaristen" [4] nennen will, sei dahin gestellt, einen analytischen Mehrwert bietet diese (etwas zu häufig fallende) Bezeichnung jedenfalls nicht. Doch zweifellos leistet Mulligans Studie einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion jenes dichotomischen Bildes von den zivil-militärischen Beziehungen in der Weimarer Republik, dessen Vertreter von der Vorrangigkeit politischer Überzeugungen gegenüber der sozialen Praxis ausgehen. Tatsächlich waren Pragmatismus, Kosten-Nutzen-Erwägungen und Leitbilder wie das der "inneren Einheit" für eine Positionierung für oder gegen die Republik vielfach wichtiger als eine demokratische oder antidemokratische Gesinnung - hierin unterschied sich das Militär der ersten nur wenig von dem der zweiten deutschen Demokratie.


Anmerkungen:

[1] Siehe hierzu noch immer grundlegend Hagen Schulze: Der Oststaat-Plan, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 18 (1970), Nr. 2, 123-163.

[2] Mulligan: The Creation of the Modern German Army, 134.

[3] Der Begriff bei Heinz Hürten: Der Kapp-Putsch als Wende: über Rahmenbedingungen der Weimarer Republik seit dem Frühjahr 1920, Opladen 1989, 33f.

[4] Mulligan: The Creation of the Modern German Army, bes. 13, 169.

Rüdiger Bergien