Rezension über:

Nathan Rein: The Chancery of God. Protestant Print, Polemic and Propaganda against the Empire, Magdeburg 1546-1551 (= St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot: Ashgate 2008, xv + 257 S., ISBN 978-0-7546-5686-9, GBP 60,00
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Rezension von:
Luka Ilić
The Lutheran Theological Seminary, Philadelphia
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Luka Ilić: Rezension von: Nathan Rein: The Chancery of God. Protestant Print, Polemic and Propaganda against the Empire, Magdeburg 1546-1551, Aldershot: Ashgate 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 12 [15.12.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/12/15496.html


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Nathan Rein: The Chancery of God

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Innerhalb einer Zeitspanne von fünf Jahren, zwischen 1546 and 1551, veröffentlichten die Drucker der Freien Stadt Magdeburg mehr als 400 Flugschriften und andere Dokumente, gerichtet gegen "the Emperor, the Pope, Maurice of Saxony, Roman Catholics, and all Protestants seen as collaborating with any of the foregoing" (16). Im fraglichen Zeitraum nach Martin Luthers Tod waren die Protestanten von der Vernichtung durch die Armee des Kaisers Karl V. bedroht. Die Stadt Magdeburg wurde nach der militärischen Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547 zum Zentrum des Widerstandes und arbeitete anschließend aktiv gegen das katholisch dominierte Heilige Römische Reich deutscher Nation. Das anzuzeigende Buch von Nathan Rein - die Ausarbeitung seiner in Harvard eingereichten Dissertation - behandelt hauptsächlich die während der genannten Periode in Magdeburg entstandenen deutschsprachigen Texte.

Eines der Ziele der Arbeit ist, wie der Autor selbst in seiner Einführung schreibt, die Motivationen der Magdeburger zu erforschen und "to interpret their resistance in terms of a Protestant worldview and sense of identity" (xiv). Dies verweist auf eine zentrale Erkenntnis des Werks, nämlich dass die Untersuchung des religiösen Glaubens und Selbstverständnisses nicht von den Entwicklungen in der politischen Arena getrennt werden kann, weil beide Bereiche einander beeinflussen. Rein bleibt diesem Ansatz treu, wenn er in den nachfolgenden Kapiteln kurz in die Geschichte der Stadt einführt, Fragen der Polemik behandelt und die Kontroverse um die Adiaphora und das Augsburger Interim schildert.

Rein stellt eine Reihe von Hypothesen (z. B. 23), methodischen Leitannahmen (33-34) und Maximen (Kapitel 5) auf, die er jeweils anschließend erläutert und mit deren Hilfe er seinem Buch Struktur verleiht. Was dann folgt, sind häufig Überlegungen des Autors, in Erzählform und ohne Fußnoten. (Ich zähle 45 Seiten ohne eine einzige Fußnote und viele andere Seiten mit nur ein oder zwei kurzen Hinweisen). Rein nähert sich den Quellen mit Annahmen, die er entweder zu beweisen oder zu widerlegen versucht. Die Quellentexte selbst werden nur kurz analysiert. Hier finden wir die Schwachstelle des Buches. Nur selten zitiert der Autor die Originaltexte, und wenn, dann meistens aus der Sekundärliteratur (z. B. 3 und 107) und mit unvollständigen Nachweisen, zum Beispiel ohne Seitenangaben. Obwohl dies für den flüchtigen Leser, der die Originale nicht unbedingt kennenlernen möchte, genügen mag und das Buch lesbarer macht, ist es frustrierend für den akademischen Historiker, der sich selbst mit den Texten auseinandersetzen will.

Reins Ansatz kann als ideengeschichtlich beschrieben werden. Der Autor setzt sich mit einer Reihe gegenwärtiger Historiker auseinander, die meisten von ihnen aus den USA. Zuweilen übt er generelle Kritik an der Arbeit und der Methodik anderer Forscher, ohne seine Argumente zu substantiieren und im Detail zu erklären. Ein Beispiel dafür ist sein kritischer Rundumschlag gegen Quentin Skinner und Robert Kolb, die er gemeinsam in einem halben Absatz abfertigt (53). Ähnlich allgemein fällt Reins Urteil aus, wenn er beispielsweise schreibt, dass "the political situation [...] was considerably more unstable and unpredictable than is generally acknowledged by historians" (122). Diese Behauptung wird nicht weiter mit Beispielen, nicht einmal mit einer Fußnote belegt, so dass die Kritik ins Leere läuft.

Meiner Meinung nach ist das vierte Kapitel, "Urban Theology and the Siegeworks", das beste, wenn auch sein Titel unzutreffend ist, da Rein theologische Fragen per se nicht diskutiert. Vielleicht hätte man auf den Begriff "Theologie" also besser verzichten sollen. Rein beschreibt vielmehr in diesem Kapitel detailliert, wie politische und religiöse Organisation und das Widerstandshandeln in Magdeburg Hand in Hand gingen. Das Kapitel bietet eine umfassende chronologische Übersicht über die politischen Entwicklungen der Periode.

Eine der wichtigsten Unzulänglichkeiten des Buches ist die Tatsache, dass der Autor beinahe nie zeitgenössische lateinische Publikationen heranzieht. Einerseits kann der Leser wohl nachvollziehen, warum Rein hauptsächlich deutschsprachige Streitschriften untersucht (xiv), aber andererseits hindert ihn diese sprachliche Einschränkung daran, zu halten, was sein Untertitel verspricht: "Protestant Print, Polemic and Propaganda against the Empire, Magdeburg 1546-1551". Latein war nicht nur die lingua franca der Zeit, und die Autoren der Streitschriften sprachen und schrieben alle extensiv in lateinischer Sprache - auch die meisten polemischen und propagandistischen Publikationen gegen das Reich waren ursprünglich lateinisch (ein gutes Beispiel hierfür ist Matthias Flacius Illyricus, der Autor zahlreicher der Schriften, der ausschließlich auf Latein schrieb; nur wenige seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt).

Einige Illustrationen und Graphiken hätten das Buch sicher bereichert, etwa eine Karte Magdeburgs im 16. Jahrhundert, eine Liste der Kirchen und der Geistlichen in der Stadt sowie zusätzliche Informationen über die Drucker der Propagandatexte, über die Einwohner, die Zusammensetzung des Stadtrats usw. Auch benutzt Rein eine alte englische Übersetzung der Konkordienformel von 1921 (100), nicht die kritische Edition der lutherischen Konfessionen, "Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche" - eine seltsame Wahl.

Insgesamt stellt "The Chancery of God" eine willkommene Ergänzung der politischen und religiösen Geschichte Magdeburgs in der Mitte des 16. Jahrhunderts dar. Die Tatsache, dass es wenige andere englischsprachige Werke zum Thema gibt, macht das Buch für die anglophone Welt besonders wertvoll. Thomas Kaufmanns Monographie "Das Ende der Reformation: Magdeburgs 'Herrgotts Kanzlei' (1548-1551/2)" wird allerdings das Standardwerk zur Epoche bleiben, denn der positive Eindruck, den Reins erfrischende Einstellung auf den ersten Blick macht, verliert am Ende wegen der mangelnden Gründlichkeit im Umgang mit den Originaltexten. Im Gesamteindruck überzeugt das Buch eher nicht.

Luka Ilić