Rezension über:

Eneas Silvius Piccolomini: Historia Austrialis. Teil 1, Einleitung von Martin Wagendorfer, 1. Redaktion herausgegeben von Julia Knödler. Teil 2, 2. und 3. Redaktion herausgegeben von Martin Wagendorfer (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores Rerum Germanicarum. Nova Series; XXIV), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2009, CCVI + 987 S., ISBN 978-3-7752-0224-4, EUR 115,00
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Rezension von:
Markus Wesche
Kommission für das Repertorium "Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters", Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Markus Wesche: Rezension von: Eneas Silvius Piccolomini: Historia Austrialis. Teil 1, Einleitung von Martin Wagendorfer, 1. Redaktion herausgegeben von Julia Knödler. Teil 2, 2. und 3. Redaktion herausgegeben von Martin Wagendorfer, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2009, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 12 [15.12.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/12/16359.html


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Eneas Silvius Piccolomini: Historia Austrialis

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Die Beschäftigung mit Eneas Silvius Piccolomini - Papst Pius II. (1458-1464) - ist in den vergangenen Jahren zu einer Großindustrie von Philologen und Historikern geworden. Allein das Jubiläumsjahr 2005 hat zum 600. Geburtstag eine Flut von Kongressbänden in Italien, in Deutschland und der Schweiz veranlasst. Von den "Commentarii", der politischen Autobiographie des Papstes, liegen inzwischen drei moderne Ausgaben vor (davon eine mit italienischer Übersetzung), eine vierte mit englischer Übersetzung ist im Erscheinen; eine vollständige deutsche Übertragung steht noch aus.

Umso mehr ist die Neuedition der "Historia Austrialis" (so der Titel nach der 3. Redaktion) zu begrüßen, die den Text erstmals in seiner verwickelten Genese mit drei Redaktionen und als bedeutende historische Quelle erschließt. Die letzte Edition von Adam Kollár (1762) war ein Hybridtext, der zu einer Fehleinschätzung dieser Quelle geführt hat, auch die zweisprachige, von Kollár ausgehende und sich auf eine Handschrift der 3. Redaktion stützende Ausgabe von Jürgen Sarnowsky wird dem Werk nicht gerecht. [1] Den ersten Anlauf zu einer kritischen Ausgabe hatte Alfons Lhotsky in den 1960er Jahren unternommen, jedoch Lhotsky verstarb 1968 vor der Fertigstellung der Edition, die sich als unvermutet schwierig herausstellte. [2] Den komplizierten Textbefund in eine lesbare Form gebracht und dabei alle Bestandteile zugänglich gemacht zu haben, ist das große Verdienst von Julia Knödler und Martin Wagendorfer, ausgewiesener Kenner Piccolominis.

Worum handelt es sich bei diesem Werk, das als erste humanistische Landesgeschichte außerhalb Italiens gilt? Piccolomini verfasste 1453 zunächst eine Art historisches Memorandum, das die packenden jüngst vergangenen Ereignisse um König Friedrich III. beschrieb, bei dem er seit 1442 in Brot stand. Die dramatischen Mittelpunkte dieser Schrift waren einmal die Auseinandersetzungen Friedrichs um sein 1440 geborenes Mündel Ladislaus, König von Böhmen und Ungarn und Herzog von Österreich, mit Teilen der österreichischen Stände, die sich unter Ulrich Eitzinger und Graf Ulrich II. von Cilli gegen Friedrich verschworen hatten und die Herausgabe des Mündels anstrebten, der "österreichische Krieg". Der zweite, glücklichere Handlungsstrang ist die Romfahrt Friedrichs mit der Kaiserkrönung 1452 und der Hochzeit mit Eleonore von Portugal. Diese beiden Erzählstränge verband der Autor mit Vorgeschichten und mit einer Tour d'horizont der italienischen Verhältnisse und der Lage in Ungarn, Teile, die später aufgegeben wurden. Das Memorandum führt bis kurz vor die Belagerung Friedrichs in Wiener Neustadt und bricht unvermittelt im Autograph ab (in 2./3. Redaktion 700.19). Dies ist die 1. Redaktion, die Julia Knödler mit präzisem historischen Kommentar herausgegeben hat.

Kurz danach arbeitete Piccolomini das Werk in eine Landesgeschichte um, der Widmungsbrief an Friedrich III. bezeugt die Absicht, diesem das Werk zuzueignen. Die 2. Redaktion schickt dem zeitgenössischen Geschehen eine Chorographie Österreichs mit einer Beschreibung der Stadt Wien voraus, alles gesehen mit den Augen eines leidenschaftlichen Beobachters ethnischer Eigenheiten - eine "kluge Betrachtung österreichischer Verhältnisse durch einen sehr gescheiten Ausländer", so Alfons Lhotsky [3], - ebenso eine Vorgeschichte des Landes bis zu Leopold II. († 1095) unter Benutzung der (von Friedrich III. geschätzten) fabulösen Chronik von den 95 Herrschaften, die der Verfasser mit rationalistischer Kritik verhöhnt (237-320). Die autograph weitgehend erhaltene Fassung, bei der endgültigen Abreise Piccolominis aus Österreich im Mai 1455 abgeschlossen, wurde über eine verlorene Überarbeitung mehrfach kopiert. Die in Italien entstandene, in Bücher unterteilte 3. Redaktion setzt die Geschichte der Babenberger fort. Die historische Einleitung bricht im Stauferexkurs mit dem Jahr 1268 ab (321-426), der Zeitbericht schließt an mit den Vorbereitungen zu Romzug und Heirat Friedrichs III. Diese Redaktion bricht ab mit dem Machtkampf zwischen Eitzinger und Ulrich II. von Cilli um Ladislaus - auch hier weitgehend autographe Überlieferung, die noch über eine (Teil-)Überarbeitung "letzter Hand" hinausführt. Die beiden auf weite Strecken identischen Fassungen hat Martin Wagendorfer ediert, der deshalb auch die Einleitung der Gesamtedition, dazu die Register übernommen hat. Die historische Kommentierung verweist durchweg auf die der 1. Redaktion, die der historischen Exkurse Piccolominis beschränkt sich im Wesentlichen auf Quellennachweise ohne tiefere Kommentierung (z. B. "Silvestri latebra" ist die Höhle des Papstes Silvester I., 364.23, genauer bei Otto von Freising). Beim Nachweis der Sentenzen und Klassiker-Zitate haben die Editoren Erstaunliches geleistet, wenngleich bisweilen die Grenze zwischen Zitat und common Latin verwischt erscheint, selbst beim allgegenwärtigen Sallust (523 Anm. 57, 531 Anm. 93, 547 Anm. 180, 560 Anm. 236).

Die Edition gibt erstmals die Möglichkeit, die subtile Redaktionsarbeit Piccolominis von Fassung zu Fassung nachzuvollziehen. Darüber hinaus haben die Herausgeber die Chance der autographen Überlieferung genutzt [4], indem sie Lautstand und Orthographie des Autors präzise wiedergegeben und kommentiert haben [5], bis in die Schreibhand Piccolominis mit allen Korrekturen. Dies betrifft vor allem die 1. Redaktion, während sich später zunehmend Tendenzen zur Klassizität in Orthographie und Sprache finden. Damit stellt die Edition der "Historia Austrialis" für die Herausgabe humanistischer Texte geradezu ein Modell dar, für Erforscher des Humanistenlateins eine Quelle eigener Art. Für das Verständnis des Werkes, für die historische Kritik, ist jedoch erst ein Anfang gemacht: Wie geschickt Piccolomini seine Informationen zu einer Story verwob, hat Martin Wagendorfer andernorts dargelegt anhand der Beschreibung des Aufenthalts Friedrichs III. mit seiner angetrauten Eleonore in Neapel, wo Piccolomini nicht anwesend war, dennoch eine intime Darstellung der "Eheprobleme" lieferte. [6]

Wie wird die Leserschaft mit der Überfülle von 842 Textseiten und drei Redaktionen fertig? Der Rezensent bricht eine Lanze für die 1. Redaktion dieses durchweg faszinierenden Werkes. Sie besticht durch Direktheit, durch pointierte, unzensierte Beobachtungen und Urteile (die alles komplizierenden Theologen, 33.9; Papst Nikolaus V., der für die Karriere katzbuckelte und trat, 47.13), durch schauerliche Geschichten wie die vom kurzen Glück der Perpetua, Sforzas Geliebter (72-74, im Register schnöde als "puella Novariensis" abgelegt). Zu Piccolominis späterer Zensur nur ein Beispiel: Friedrich III. besucht in Venedig häufig die Geschäfte inkognito. In der 2./3. Redaktion erfreut er sich der Waren mit interesselosem Wohlgefallen (662.11-13), in der 1. heißt es plausibler: emitque multa, que domum retulit (204.2). Ein Luxusgüter shoppender Imperator war offensichtlich kein Gegenstand für eine preisende Landes- und Dynastengeschichte.


Anmerkungen:

[1] Jürgen Sarnowsky (Hg.): Aeneas Silvius de Piccolomini: Historia Austrialis. Österreichische Geschichte (= Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe; 44), Darmstadt 2005. Vgl. die Besprechungen von Julia Knödler, in: Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 22 (2007), 219-225, und von Martin Wagendorfer: Von olanischen Bädern, humanistischen Kursiven und tiefem Rausch. Anmerkungen zu Veröffentlichungen anlässlich des 600. Geburtstags des Eneas Silvius Piccolomini, in: MIÖG 114 (2006), 404-417, hier 405-409 und in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006]; URL: http://www.sehepunkte.de/2006/03/9677.html.

[2] Martin Wagendorfer: Die Editionsgeschichte der Historia Austrialis des Eneas Silvius Piccolomini, in: DA 64 (2008), 65-108 und 597-601, hier 102-105.

[3] Alfons Lhotsky: Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (= MIÖG, Ergänzungsband; 19), Graz / Köln 1963, 400.

[4] Weiter gespannt Martin Wagendorfer: Die Schrift des Eneas Silvius Piccolomini (= Studi e testi; 441), Città del Vaticano 2008.

[5] Ausführlicher Martin Wagendorfer: Zur Orthographie des Eneas Silvius Piccolomini, in: MLJ 42 (2007), 431-476.

[6] Martin Wagendorfer: Der Blick des Humanisten - Außenpolitik in der "Historia Austrialis" des Eneas Silvius Piccolomini, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hgg. von Sonja Dünnebeil / Christine Ottner (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 27), Wien / Köln / Weimar 2007, 341-369.

Markus Wesche