Rezension über:

Christian Welzbacher: Euroislam-Architektur. Die neuen Moscheen des Abendlandes (= Sun Statements; Nr. 1), Amsterdam: Sun architecture 2008, 110 S., ISBN 978-90-8506-638-5, EUR 24,50
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Bärbel Beinhauer-Köhler / Claus Leggewie: Moscheen in Deutschland. Religiöse Heimat und gesellschaftliche Herausforderung (= Beck'sche Reihe; Bd. 1892), München: C.H.Beck 2009, 239 S., ISBN 978-3-406-58423-7, EUR 12,95
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Rezension von:
Kerstin Wittmann-Englert
Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Wittmann-Englert: Neue Formen islamischer Architektur in Europa (Rezension), in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/15579.html


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Neue Formen islamischer Architektur in Europa

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Vor dem Hintergrund eines seit Jahren andauernden Moscheenstreits und des aktuellen Anti-Minarett-Plebiszits in der Schweiz sind Publikationen wie die hier besprochenen zur Förderung des interreligiösen Dialogs sehr zu begrüßen. Der Kunsthistoriker Christian Welzbacher verfasste 2008 einen Essay zur Architektur des sogenannten Euroislam, in dem er für einen architektonischen Aufbruch plädiert und sich für eine "Qualitätsdebatte um die neue Form islamischer Architektur in Europa" (7) ausspricht. Welzbachers Interesse gilt vor allem dem aktuellen und internationalen Baugeschehen. Bereits die Überschriften der drei Abschnitte, in die sich der Essay gliedert, lassen die Intention erkennen. Sie lauten: "Europa und der Islam", "Der Islam in Europa" und "Eine euroislamische Perspektive". Also ein Text, der auf Verständigung und Integration zielt.

Die Religionswissenschaftlerin Bärbel Beinhauer-Köhler und der Politikwissenschaftler Claus Leggewie konzentrieren sich geografisch auf Deutschland und nehmen die Architektur zum Ausgangspunkt religionswissenschaftlicher, soziologischer und gesellschaftlicher Betrachtungen. Ergänzt werden sie durch Analysen von Fallbeispielen und Handlungsempfehlungen für den Bau von Moscheen - also wissenschaftlich fundiertes Hintergrundwissen verbunden mit praktischen Hinweisen und Anregungen zur Konfliktvermeidung. Hinzu kommt ein vom Architekten selbst verfasster Essay über das Islamische Forum in Penzberg, welches einen der noch seltenen baulichen Brückenschläge zwischen Orient und Okzident darstellt.

Beide Publikationen setzen mit historischen Betrachtungen ein und spannen zeitlich einen weiten Bogen. Sie erläutern Entstehung und Entwicklung des Moscheenbaus: Welzbacher beginnt mit zentralen Bauwerken wie dem Felsendom in Jerusalem und der Moschee der Omayyaden in Damaskus. Unter dieser Dynastie, den Omayyaden, entwickelte sich bereits im frühen 8. Jahrhundert eine verbindliche Gestalt für den Moscheenbau. Mit ihr verband sich die Ausrichtung eines querrechteckigen bzw. zentralisierenden Raumes nach Mekka. Beinhauer-Köhler, die thematisch den Abschnitt "Moscheen in Deutschland und im islamischen Orient" verantwortet, erläutert ebenso wie Welzbacher die Bedeutung der für eine Moschee zentralen Begriffe. Der Etymologie des Wortes "Moschee" (arab. masjid) als "Stätte der Niederwerfung" folgend, beginnt sie beim "Gebetsplatz als Basis" und damit bei dem Haus des Propheten Mohammed in Medina. Ihre Erläuterungen basieren auf den Primärquellen des Koran und der Prophetentradition, der Sunna. Nach der Sunna betete man bereits in der Frühzeit bevorzugt gemeinsam: "Das soziale und auch liturgische Miteinander der Akteure", so Beinhauer-Köhler, "erscheint also als ein elementarer Bestandteil des Lebens in einer Moschee" (44).

Das Bedürfnis nach repräsentativeren Bauten mündete in den Typus der "Freitagsmoschee", die beide Publikationen erörtern und der den zentralen Typus in den heutigen Moschee-Diskussionen bildet. Wichtig der Hinweis von Beinhauer-Köhler: "Der arabische Terminus [der Moschee - Anm. d. Verf.] lehnt sich inhaltlich an die jüdische Synagoge oder christliche Kirche an. Diese bezeichnen wörtlich übersetzt einen 'Ort der Versammlung der Gemeinschaft'" (48). Wichtig insofern, als Christian Welzbacher in diesem Punkt eine dem Ursprung nach nicht existente Differenzierung vornimmt zwischen Moschee als Versammlungsort und Kirche als Gotteshaus und "Weihestätte" (12).

An anderer Stelle ist indes er präziser als jene: Denn das Wort "Qibla" bezeichnet nicht die Wand selbst, wie bei Beinhauer-Köhler zu lesen ist, sondern die Richtung des Gebets, die im Raum durch eine halbrunde Nische, den sogenannten Mihrab, angezeigt wird. In dieser hat der Imam seinen Platz. Als weitere zentrale Orte im Moscheenbau benennen beide Bücher im Raum selbst die Kanzel (Minber). Hinzu kommt eine Empore oder ein separater Raum für die Frauen sowie außerhalb des Betraumes ein Brunnen zur rituellen Reinigung. In den terminologischen Erläuterungen ist Beinhauer-Köhler ausführlicher als Welzbacher und bezieht - soweit möglich - aufschlussreiche, schriftliche Quellen mit ein.

Doch beide Autoren stimmen darin überein, dass der Islam keine prägenden baulichen Vorgaben kennt. Es finden sich weder im Koran noch in der Sunna Angaben zur architektonischen Gestalt. Stattdessen "eröffnen die Vielfalt der Formen und die Ausprägung lokaler Baustile auch einen gewissen Spielraum, für Adaptionen an die hiesige Architektur sowie moderne Architektur überhaupt" (Beinhauer-Köhler, 70).

In beiden Büchern findet sich mit unterschiedlichen Akzentsetzungen zudem eine Darstellung der romantisierenden Orientvorstellungen des Westens am Beispiel berühmter Bauwerke des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts: angefangen bei Sir William Chambers Moschee im englischen Kew Garden (1761) als "bildhafte Chiffre exotischer Kultur" (Welzbacher, 29) über die erste abendländische Moschee, die nach Plänen desselben Architekten 1889 im englischen Woking entstanden und architektonisch von indisch-pakistanischer Architektur des 16./17. Jahrhunderts inspiriert ist. Einen der Höhepunkte bildet die Grande Mosquée in Paris (1922-26). Denn ihre Architektur verhält sich kontrapunktisch zur Moderne, welche im christlichen Kirchenbau jener Zeit formgebend war. Erörtert werden darüber hinaus Bauwerke mit orientalisierender Gestalt und kirchenferner Nutzung - wie das Pumpenhaus in Sanssouci oder auch die Tabakfabrik Yenidze in Dresden: dieses ein Bauwerk des beginnenden 20. Jahrhunderts, jenes in den Jahren 1841-43 entstanden.

Der Willen zur repräsentativen Gestalt heutiger Moscheen steht in engem Zusammenhang mit der Situation der Muslime in Deutschland während der 1960er- und 1970er-Jahre. Über diese berichten beide Publikationen unter dem Stichwort "Hinterhofmoschee". Ein insofern treffender Begriff, als die muslimischen Gebetsstätten der ersten Gastarbeiter-Generationen häufig im Verborgenen entstanden sind - in angemieteten, zu diesem Zweck umgenutzten Räumen, die sich Außenstehenden kaum als Gebetsräume zu erkennen gaben. Vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit und der Sesshaftwerdung muslimischer Familien und Gemeinschaften in Europa wuchs indes das Bedürfnis nach religiösen und sozialen Identifikationsorten. Nicht zuletzt das Islamische Forum in Penzberg lässt deutlich werden, dass im Ansatz durchaus Analogien zu den christlichen Gemeindezentren bestehen, die gerade im Hinblick auf architektonische Präsenz und Funktion dieser religiösen Orte aufschlussreich sind, in beiden Publikationen indes nicht thematisiert werden.

Auch wenn - darin stimmen beide Bücher überein - keine exakten Angaben über die Zahl der in Europa bzw. Deutschland wohnhaften Muslime möglich ist, bilden sie doch in Deutschland nach den Christen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft im Land. Dieser fehlt es indes an einer Gesamthierarchie. Jede Gemeinde ist autonom und finanziell unabhängig, was eine eigenständige Finanzierung von Bauprojekten zur Folge hat. Bei aller faktischen gemeindlichen Selbstbestimmtheit ist jedoch, wie von Welzbacher und auch Beinhauer-Köhler ausgeführt, die Organisation von Dachverbänden nicht zu unterschätzen. So existiert in Deutschland als Dachverband die DITIB, welche beratend in die Neubauprojekte eingebunden ist und architektonische Traditionsbrüche zu vermeiden versteht.

Beim zeitgenössischen Baugeschehen gehen beide Bücher unterschiedliche Wege: Beinhauer-Köhler und Leggewie konzentrieren sich auf Deutschland, genauer: auf die Analyse von Fallbeispielen in Essen, Frankfurt, Köln, München, Berlin sowie drei kleineren Gemeinden in Hessen. Und als Weg einer geglückten Integration geben sie der Vorstellung des Islamischen Forums im bayrischen Penzberg durch den Architekten Alen Jasarevic Raum. Ein Bauwerk, das auch Christian Welzbacher als gelungenes Beispiel euroislamischer Architektur nachdrücklich hervorhebt. "Wenn", wie Welzbacher schreibt, "etwas wie ein Euroislam im Entstehen ist, so muss sich mit ihm auch eine entsprechende Euroislam-Architektur herausbilden, die sich in ihren Erscheinungsmustern von bisherigen islamischen Traditionen unterscheidet." (11) Der Autor sucht bzw. fordert eine "neue, selbstständige Form der Baukultur, die sich auf die Planung der neuen Moscheen niederschlägt" (ebd.) - und findet sie im Islamischen Zentrum in Penzberg. Zu neuen, nachgerade spektakulären Formen fanden auch Zaha Hadid und Paolo Porthoghesi mit ihren Entwürfen des Jahres 2000 für die Zentralmoschee im elsässischen Straßburg. Hadid plante eine dekonstruktivistisch anmutende Moschee, Porthoghesi eine "postmoderne Neuinterpretation des 'romantischen' Moscheentyps". Und damit sind zugleich jene beiden Wege angesprochen, denen die europäischen Moscheenkonzepte der Gegenwart folgen: Einerseits dem integrativen Euro-Islam entsprechend zeitgemäß, europäisch und zeitgenössisch in der Gestaltgebung, andererseits Traditionsverbundenheit und Exotik durch den Import fremder Formen. Beide Wege werden mit verschiedenen Beispielen - in Wort und Bild - illustriert.

In beiden Publikationen steht die Auseinandersetzung mit dem baulichen Erbe in der Türkei im Zentrum. Eine Tatsache, die sich daraus ergibt, dass die größte Gruppe islamischer Einwanderer in Nordwesteuropa aus der Türkei kommt. Das spiegelt sich auch in der Formgebung der Bauten wider, wie als aktuelles Beispiel der Entwurf zur Moschee in Köln-Ehrenfeld zeigt. Der Architekt Paul Böhm konzipierte eine stark abstrahierte Kuppelmoschee, flankiert von zwei hohen, weithin sichtbare Zeichen setzenden Minaretten. Das Vorbild der osmanischen Kuppelmoschee ist trotz Abstrahierung und schalenartigen Aufbaus der Architektur unübersehbar - und neben der Monumentalität des geplanten Bauwerkes ein wesentlicher Stein des Anstoßes. Während Claus Leggewie den Konflikt und seine Gründe inhaltlich reflektiert, setzt sich Welzbacher mit der Architektur des geplanten Bauwerks auseinander. Und dies nicht im Kontext einer euroislamischen Perspektive, sondern unter der Überschrift "Islam und Nationalismus".

Nicht "entweder-oder", sondern "sowohl-als auch" ist hier also zu empfehlen. Denn beide Bücher stehen für unterschiedliche Wege, das Thema der Integration des Islam in Westeuropa am Medium der Architektur zu erörtern. Christian Welzbacher wählte die Form des Essays, in der er die eigene Position zur Vision einer euroislamischen Architektur pointiert formuliert. Bärbel Beinhauer-Köhler und Claus Leggewie stellen dem Konflikt, der mit dem Thema "Moschee in Europa" verbunden ist und sich nicht zuletzt aus der Angst vor dem "Fremden" speist, Aufklärung entgegen. Ihr Thema ist Integration und Identität - gesellschaftlich und architektonisch.

Kerstin Wittmann-Englert