Rezension über:

Margarethe Billerbeck (Bearb.): Stephani Byzantii Ethnica. Vol. I: Alpha-Gamma (= Corpus Fontium Historiae Byzantinae; Vol. XLIII/1), Berlin: de Gruyter 2006, X + 505 S., ISBN 978-3-11-017449-6, EUR 148,00
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Rezension von:
Mischa Meier
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Mischa Meier: Rezension von: Margarethe Billerbeck (Bearb.): Stephani Byzantii Ethnica. Vol. I: Alpha-Gamma, Berlin: de Gruyter 2006, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/12499.html


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Margarethe Billerbeck (Bearb.): Stephani Byzantii Ethnica

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Unter den spätantiken Lexika nimmt dasjenige des Stephanos von Byzanz eine besondere Stellung ein, weil es nicht nur wertvolle Informationen zu Ortsnamen, Volks- und Stammesbenennungen (Ethnika) und damit Material für die moderne Siedlungsgeschichte liefert; wichtig ist das Werk überdies, weil häufig auch weiter ausgreifende Informationen über die einzelnen Orte gegeben werden (kleinere Exkurse, Gründungslegenden), die eine reichhaltige Fundgrube für historische Fragestellungen bieten. Darüber hinaus sind im Lexikon des Stephanos Fragmente älterer, nicht mehr erhaltener Autoren überliefert; ihre Freilegung war für Felix Jacoby eines der Hauptmotive, parallel zu seinen Fragmenten der griechischen Historiker auch eine Stephanos-Edition in Angriff zu nehmen - Jacoby konnte dieses Projekt allerdings nicht mehr umsetzen; es mündete über vielfältige Umwege schließlich in die nunmehr vorliegende Edition (vgl. 44*f.).

Über den Autor Stephanos von Byzanz ist kaum etwas bekannt, und die wichtigsten Informationen ergeben sich aus seinem Werk (vgl. die Testimonia, 3): Er war Christ (vgl. T 3 = B 84 p. 342 Billerbeck) und wirkte als Grammatikos an der kaiserlichen Hochschule zu Konstantinopel unter der Herrschaft Justinians (527-565), dem die Ethnika wahrscheinlich auch gewidmet waren. Ein Zugriff auf das originale Werk des Stephanos ist nicht mehr möglich; abgesehen von wenigen Passagen (dazu s. 5*-7*) sind die Ethnika verloren und liegen nur noch in einer Epitome vor, die - angeblich ebenfalls unter Justinian - von dem sonst unbekannten Grammatikos Hermolaos aus Konstantinopel erstellt worden sein soll. Das Originalwerk war im Vergleich zu dieser Epitome deutlich umfangreicher, es erreichte den Buchstaben O in Buch 36 und wird heute auf insgesamt 50-55 Bücher geschätzt.

Die Herausgeberin und ihre Mitarbeiter haben das Projekt einer Stephanos-Edition letztlich von Felix Jacoby übernommen. Nach dessen Emigration aus Deutschland 1939 hatte sich Ernst Grumach der Aufgabe angenommen, verstarb aber 1967; das Unternehmen wurde dem damals bereits 80-jährigen Rudolf Keydell übertragen, der, wie Billerbeck hervorhebt, jedoch seinerseits die Arbeiten von Grund auf neu beginnen musste, weil sich herausstellte, dass keine schriftlichen Handschriften-Kollationen seitens Jacobys und Grumachs vorlagen (44*). Nach Keydells Tod 1982 ging das Projekt auf die jetzige Editorin über, die seit dem Jahr 1999 Fördermittel durch den Schweizer Nationalfonds beziehen konnte und dadurch in die Lage versetzt wurde, im Jahr 2006 den hier angezeigten ersten Band einer völlig neugestalteten Edition (A-Γ) vorzulegen. Für Oktober 2010 ist nunmehr auch der zweite Band angekündigt (Δ -I). [1] Die bis zuletzt maßgebliche, von 1849 August Meineke besorgte Ausgabe [2] wird damit Stück für Stück ersetzt.

Die Neuedition soll als "zuverlässiger Ausgangspunkt" für eine konsequente Auswertung der Stephanos-Epitome durch Siedlungshistoriker, Epigraphiker und Kulturgeographen dienen (VI). Die Herausgeberin weist dabei insbesondere auf den noch ausstehenden systematischen Abgleich der Stephanos-Lemmata mit dem inschriftlichen Parallelbefund hin. Für ihre Edition hat sie nicht nur dem griechischen Text ihre Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch eine deutsche Übersetzung erstellt, denn "nicht nur erschwert die grammatisch-lexikalische Fachsprache und der epitomierte Zustand den Zutritt zum Werk. Angesichts der schwindenden Kenntnis der griechischen Originalsprache besteht vielmehr auch die Notwendigkeit, allen Interessierten innerhalb der Altertumswissenschaften und der Byzantinistik den Inhalt eines Handbuches zu erschließen, welches für die interdisziplinär angelegte Oikumeneforschung der Kaiserzeit und Spätantike von großer Bedeutung ist" (45*) - dem wird man vorbehaltlos zustimmen können.

Die neue zweisprachige Ausgabe der Stephanos-Epitome beruht auf jahrzehntelanger sorgfältiger editorischer und philologischer Arbeit und steht auf einem mehr als soliden Fundament. In der ausführlichen Einleitung werden nicht nur die direkten und indirekten Textzeugen für die wenigen erhaltenen Passagen aus dem ursprünglichen Werk des Stephanos vorgestellt (5*-7*), sondern insbesondere auch die Handschriften der Epitome sowie deren indirekte Überlieferung ausführlich erörtert (7*-36*); die Überlegungen zu den Abhängigkeitsverhältnissen der Handschriften (16*-28*) münden in ein plausibel begründetes Stemma (29*).

Es folgen Anmerkungen zu den frühesten Benutzern des Stephanos (36*-38*), eine Liste der bisherigen Editionen (38*-42*) sowie der lateinischen Übersetzungen (43*-44*).

Bei den Editionsprinzipien (46*-49*) scheint mir die wichtigste Entscheidung darin zu beruhen, von Vornherein auf jegliche Ambitionen, den originalen Stephanos-Text - also die eigentlichen Ethnika - edieren zu können, zu verzichten und sich auf die Epitome zu beschränken. Diese angesichts der Überlieferungslage meines Erachtens sinnvolle, von Jacobys und Grumachs Intentionen allerdings abweichende Entscheidung (vgl. 46*) hat zur Konsequenz, dass jene Passagen, die gegenüber der Epitome einen umfangreicheren Text bieten, dennoch 'nur' im Similienapparat erscheinen. Lediglich für Fragment S soll es (im 2. Band) eine Ausnahme geben, da dort eine längere Passage aus den Ethnika handschriftlich überliefert ist (Buchstabe Δ); sie soll parallel zur Epitome gedruckt werden (240,12-259,3 Meineke).

Die Edition wurde, wie bereits angedeutet, mit großer Umsicht und Sorgfalt erstellt. Sie wird nicht nur durch den obligatorischen kritischen Apparat ergänzt, sondern auch durch einen hilfreichen Similienapparat, der u.a. für Quellenfragen wichtige Hinweise gibt. Die Übersetzung, die den abgekürzten Stil der Epitome durch Ergänzungen in Klammern auffängt, ist mit einem nützlichen Fußnotenkommentar versehen, der rasch weitere Orientierung ermöglicht. Fundstellen zu den von Stephanos zitierten Autoren erscheinen ebenfalls in Klammern in der Übersetzung (Fragmentnummern) und sind dadurch gut zugänglich. Besonders hilfreich sind die Verweise auf die Behandlungen einzelner, von Stephanos erwähnter Orte im 2004 erschienenen Polis-Inventory [3], das jeweils umfassende Informationen zu den Siedlungen gibt, so dass eine unmittelbare Einbettung der Stephanos-Lemmata in die aktuelle Forschung ermöglicht wird. Alles in allem handelt es sich um eine Edition, die in ihrer konsequenten, von nachvollziehbaren Prinzipien geleiteten Anlage und sorgfältigen Ausgestaltung Vorbildcharakter besitzt. [4]


Anmerkungen:

[1] M. Billerbeck / Chr. Zubler (eds.): Stephani Byzantii Ethnica. Einleitung, kritischer Text, Übersetzung und Anmerkungen (Delta-Iota), Berlin / New York 2010.

[2] A. Meineke (ed.): Stephani Byzantii Ethnicorum quae supersunt, Berlin 1849, ND Graz 1958.

[3] M. H. Hansen / Th. H. Nielsen (eds.): An Inventory of Archaic and Classical Poleis, Oxford 2004.

[4] Für eine diffizile, im Zusammenhang der 'sehepunkte' nicht angebrachte Würdigung der Edition aus philologisch-editorischer Sicht vgl. die Besprechung von C. Neri, Bryn Mawr: Classical Review 2008.07.64.

Mischa Meier