Rezension über:

Margaret Franklin: Boccaccio's Heroines. Power and Virtue in Renaissance Society (= Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot: Ashgate 2008, ix + 205 S., ISBN 978-0-7546-5364-6, GBP 55,00
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Rezension von:
Ilaria Hoppe
Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Ilaria Hoppe: Rezension von: Margaret Franklin: Boccaccio's Heroines. Power and Virtue in Renaissance Society, Aldershot: Ashgate 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/14217.html


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Margaret Franklin: Boccaccio's Heroines

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So umfänglich der Titel von Margarets Franklins Buch über die "Heldinnen" Giovanni Boccaccios angelegt ist, so ausgedehnt zeigt sich ihr transdisziplinärer Ansatz, mit dem sie den facettenreichen Frauengestalten in Literatur, Kunst und Geschichte bis um 1500 nachspürt. Im Gegensatz etwa zum berühmten "Decamerone" sind Boccaccios "De mulieribus claris" (1361-62) von der Forschung bisher weniger berücksichtigt worden - und eine deutschsprachige Gesamtausgabe fehlt noch immer. Dennoch lässt sich eine Debatte verfolgen, in der sich pro- und contra-feministische Charakterisierungen des Textes gegenüberstehen. [1] Vor dem Hintergrund der jüngeren Frauen- und Geschlechterforschung macht sich nun ein weiterer Standpunkt bemerkbar, der sich nicht auf eine polarisierende Diskussion einlässt, sondern vielmehr versucht, den schillernden Gestalten aus der Feder Boccaccios in ihrer Komplexität gerecht zu werden. Dazu zählt die 2007 von Kristina Domanski vorgelegte Arbeit zur deutschsprachigen, illustrierten Ausgabe von 1473 sowie Franklins fundierte Auseinandersetzung.

Margaret Franklin hat ihr Buch in vier große Kapitel gegliedert, nebst einer ausführlichen Einleitung. Dort wird der Leser mit dem Autor, dem Text und seinen Quellen sowie mit der relevanten Forschungsliteratur bekannt gemacht und erhält einen Überblick über Verbreitung und Rezeption des insbesondere während der Frührenaissance sehr erfolgreichen Werkes des Boccaccio. Im kurzen ersten Kapitel wird der Widmungsbrief an Andrea Acciaiuoli besprochen, einer am neapolitanischen Hof residierenden Florentinerin. Man erhält Einblick in die diplomatischen Implikationen dieser Widmung im Umkreis von Königin Johanna I. von Anjou, deren Vita in "De mulieribus claris" einging. Trotz der Adressatinnen vermutet Franklin, dass sich der Autor vorrangig an ein männliches Publikum wandte. Dafür sprächen die Wahl der lateinischen Sprache sowie der gelehrte Gegenstand.

Im Anschluss wertet Franklin die Einleitung aus, in der Boccaccio die Kriterien für die Aufnahme in die von ihm kompilierte Vitensammlung sowie die impliziten Moralvorstellungen darlegt. So wird ein Kanon deutlich, der moderne Leser und Leserinnen häufig befremdete: Einerseits galt es dem weiblichen Ideal durch Keuschheit und Bescheidenheit nachzukommen, andererseits waren männliche Tugenden grundlegend vorbildlich. Je mehr Frauen sich diese zu eigen machten, insbesondere in politischen Ausnahmesituationen, umso mehr wurden sie gelobt. Strebten sie aber Macht und Ruhm aus Eigennutz an, dienten sie als abschreckende Beispiele.

Trotz der auch innerhalb einer einzelnen Biografie oftmals höchst unterschiedlichen Bewertungen der Heldinnen enthält Franklin sich nicht einer Unterteilung in 'gut und böse'. In Kapitel 2 stellt sie unter dem Titel "A Bad Example" Frauen vor, die - angefangen bei Eva - aus Ehrgeiz und Egoismus für sich und andere zum Verhängnis wurden. Grundlegend für die Wahrnehmung dieser 'Antiheldinnen' ist das seit der Antike tradierte Verständnis des weiblichen Geschlechts als nicht nur im physischen Sinne schwach, sondern auch durch den Mangel an Willensstärke.

In Kapitel 3 folgen positive Frauenfiguren, die sich, neben den erstrebenswerten Tugenden, durch eine unbestechliche Loyalität gegenüber dem Gemahl auszeichneten. Diesen am Beispiel antiker Heldinnen entwickelten Wertekanon gibt Boccaccio auch als vorbildlich für die Erziehung junger Mädchen an. Der von Franklin eingefügte Exkurs über rechtliche und soziale Praktiken des Florentiner Gemeinwesens im 15. Jahrhundert sowie die Traktatistik der Zeit schließt sich an dieser Stelle sinnvoll an. Die Autorin arbeitet die im Vergleich zu den Höfen untergeordnete Position der Frauen in den Republiken deutlich heraus. Darüber hinaus teilt Franklin die These der jüngeren Forschung, dass viele normative Schriften und Bilder nicht allein dazu dienten, das weibliche Geschlecht zu gängeln, sondern sich ebenso den Männern als wegweisend anempfahlen (96). So wird Boccaccios Vitensammlung als Lehrgebäude für ein sich neu formierendes, ideales Gemeinwesen präsentiert.

Vor diesem Hintergrund beginnt Franklin die Vorstellung mehrerer Bildbeispiele aus den toskanischen Republiken, für die sie "De mulieribus claris" als vorbildlich hält. Neben cassone und deschi da parto geht sie ausführlich auf den Zyklus von Andrea del Castagno ein sowie auf die Verbreitung der Figur der Cloelia in Siena um 1500. Besonders gelungen erscheinen die Vergleiche zwischen literarischer Vorlage und bildlicher Umsetzung, zwischen normativen Vorgaben und geschlechtsspezifischen Darstellungskonventionen sowie die Analyse der Anpassungsfähigkeit der Ikonografien an unterschiedliche Interessenlagen und politische Konstellationen. Im Gegensatz zu anderen Positionen versteift sich Franklin nicht auf eine Koinzidenz zwischen Bildern und einer einzigen literarischen Vorlage, sondern betrachtet "De mulierbus claris" als "framework" (95) zur Interpretation von Kunstwerken. An dieser Stelle scheint aber auch ein grundlegendes Problem der 'scientific community' auf, in der deutschsprachige Literatur nicht immer rezipiert wird. Im vorliegenden Fall ist die Vernachlässigung von Martina Hansmanns Dissertation über den Castagno-Zyklus besonders schmerzlich. Dort wird deutlich, dass die Heldinnen als tugendhafte Sinnbilder, aber mehr noch als heilsgeschichtliche Schlüsselfiguren für die Lektüre der gesamten Freskenausstattung der Loggia Carducci fungierten. [2]

Im vierten und letzten Kapitel geht Franklin auf Kunstwerke und Frauenlob-Schriften ein, die an den Höfen Norditaliens um 1500 entstanden. Sie verfolgt den Aufstieg einer neuen Gruppe gebildeter und politisch aktiver Frauen, denen eine Vielzahl von Traktaten gewidmet wurde, die einen deutlich anderen Ton gegenüber dem weiblichen Geschlecht anschlagen als vergleichbare Texte aus den Republiken. Entsprechend anders gestalteten sich, so Franklin, Kompositionen mit antiken Heldinnen, die zudem der Patronage von Fürstinnen zugesprochen werden. Dies gilt sowohl für die Tafeln von Ercole de Roberti, die Joseph Manca mit Raumdekorationen im Auftrag von Eleonora d'Aragona in Ferrara in Zusammenhang brachte, als auch für die berühmten Grisaille-Tafeln von Andrea Mantegna, bereits im Wiener Ausstellungskatalog von 1994 dem Mäzenatentum von Isabella d'Este angenähert. [3] Diese Beispiele zeigen, so Franklin, die Eignung der Heldinnen als Exempla für fürstliche Paare der Renaissance, die sich neuen gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen hatten.

"Boccacio's Heroines" bietet einen guten Einstieg sowohl in die Beschäftigung mit Boccaccios Werk und seiner Rezeption in Literatur und Kunst als auch in die Frauen- und Geschlechterforschung der Frühen Neuzeit, auch wenn die deutschsprachige Literatur nur äußerst selektiv berücksichtigt wurde. Der Autorin gelingt es zudem, einige Bilder überzeugend in Verbindung mit der literarischen Vorlage zu bringen sowie in den historischen Entstehungszusammenhang einzuordnen. Insbesondere die betonte Unterscheidung zwischen den in Italien vorherrschenden sozialen Ordnungen von Republiken und Höfen ist grundlegend für ein Verständnis der vormodernen Geschlechterverhältnisse. Allerdings sollte bedacht werden, dass ranghohe Frauen innerhalb feudaler Strukturen stets über privilegierte Handlungsräume verfügten und die italienische Renaissance für diese möglicherweise 'nur' neue literarische und visuelle Modelle zur Verfügung stellte. Insofern überzeugt eine Relektüre von Boccaccios Text, die weniger auf die Einschränkungen als vielmehr auf die Möglichkeiten weiblicher Lebensentwürfe verweist. Die sicherlich notwendige Diskussion um den Vorbildcharakter der Heldinnen, die Franklin hier erstmals monografisch zusammenfasst, ebnet den Weg für weitere Fragestellungen, die "De mulieribus claris" als historisches Traktat und somit als Teil europäischer Wissens- und Wissenschaftsgeschichte ernst nehmen.


Anmerkungen:

[1] Für einen Überblick siehe Franklin 2006, 6-9; Kristina Domanski: Lesarten des Ruhms. Johann Zainers Holzschnittillustrationen zu Giovanni Boccaccios "De mulieribus claris", Köln / Weimar / Wien 2007, 13-26.

[2] Martina Hansmann: Andrea del Castagnos Zyklus der "uomini famosi" und "donne famose". Geschichtsverständnis und Tugendideal im florentinischen Frühhumanismus, München 1993.

[3] Joseph Manca: Costantia et Fortezza. Eleonora d'Aragona's Famous Matrons, in: Source. Notes in the History of Art 19 (2000) Heft 2, 13-30; Sylvia Ferino-Pagden (Hg.): La prima Donna del mondo. Isabella d'Este, Fürstin und Mäzenatin der Renaissance, Ausstellungskatalog, Wien 1994, Kat.-Nr. 89-90.

Ilaria Hoppe