Rezension über:

Ekkehard Borries: Schwesternspiegel im 15. Jahrhundert. Gattungskonstitution - Editionen - Untersuchungen, Berlin: de Gruyter 2008, XIII + 540 S., ISBN 978-3-11-020070-6, EUR 148,00
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Rezension von:
Anja Ostrowitzki
Landeshauptarchiv Koblenz
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Anja Ostrowitzki: Rezension von: Ekkehard Borries: Schwesternspiegel im 15. Jahrhundert. Gattungskonstitution - Editionen - Untersuchungen, Berlin: de Gruyter 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 6 [15.06.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/06/15623.html


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Ekkehard Borries: Schwesternspiegel im 15. Jahrhundert

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Religiöse Lebensformen für Frauen gehören seit geraumer Zeit zu den beliebtesten Themen der Mediävistik. Die für den Druck überarbeitete germanistische Dissertation von 2001 beschäftigt sich mit volkssprachlicher Gebrauchsprosa für die Schwesternseelsorge im Kontext der monastischen Reformbewegung des Spätmittelalters. Im Mittelpunkt steht ein vom Herausgeber als "Die besessene Schwester Agnes" betitelter Text. Dessen mittelniederländische Kurzfassung hat Borries bereits 1996 ediert und als "Schwesternspiegel" charakterisiert. Dieser Text dient ihm nunmehr als Referenztext, um die Merkmale der Gattung herauszuarbeiten. Dazu verfolgt Borries zunächst die Überlieferung und die Textgeschichte: Von Herzogenbusch aus, wo die Schrift in Ten Orten, einem Haus der Schwestern vom gemeinsamen Leben, entstanden ist, fand der Text zwischen 1474 und 1500 auch im oberdeutschen Sprachraum weite Verbreitung, nicht nur in der Devotio Moderna, sondern auch bei Kartäusern, Dominikanerinnen, Klarissen und Terziarinnen. Auf der Grundlage umfassender editorischer Überlegungen bietet der Verfasser eine dreiteilige überlieferungskritische Edition. Er druckt zunächst die gesamte Langfassung nach einer Leithandschrift. Darauf folgen zwei Teileditionen von anderen Bearbeitungsstufen. Apparat und Stellenkommentar geben sowohl philologische Erklärungen als auch inhaltliche Hinweise zu spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Klosterkultur. Ob letztere tatsächlich immer erforderlich sind, steht dahin, wenn sogar ein Begriff wie "Vigil" erläutert wird (210). In anderen Fällen erscheinen mir Kommentar und Literaturauswahl etwas beliebig, das gilt etwa für die Angaben zum Eintrittsalter (185), zur Askese (196) oder zur Klausur (202). Die anschließenden "Untersuchungen zum Text" beschäftigen sich mit Sprache und Stil, den gattungsspezifischen Textstrukturen, den Textinhalten im Einzelnen, der Autorschaft, der didaktischen Konzeption, für die der Dämon, der die Protagonistin beherrscht, eine komplexe Rolle spielt, sowie mit der Rezeption des Textes. Dann wendet sich der Verfasser der Gattungsbestimmung zu: "Speculum-Literatur" wird durch eine Gegenüberstellung von Abbild und Idealbild konstituiert. Eine spezifische Ausprägung fand sie in den "Ständespiegeln". Darunter bilden die "Schwesternspiegel" eine Untergruppe, denn sie richteten sich an Frauen in geistlichen Gemeinschaften. Der Zweck solcher Texte war es, mit literarischen Mitteln die Konventsdisziplin und die individuelle Devotion zu fördern. Borries stellt auf dieser Grundlage eine Anzahl von Textzeugen aus dem deutschen und dem niederländischen Sprachraum zusammen, die entsprechende Gattungsmerkmale aufweisen. Er schließt mit einer literar- und frömmigkeitshistorischen Einordnung. Vor allem auf philologische Fragen ausgerichtet, bietet die Arbeit keine umfassende Auswertung der Quelle. Mithin besteht ihr Nutzen für Historikerinnen und Historiker, die sich mit dem Alltag, der spezifischen Frömmigkeit und der Vorstellungswelt geistlicher Frauen der Epoche beschäftigen, vornehmlich in einem soliden Beitrag zur Überlieferung und Quellenkunde.

Anja Ostrowitzki