Rezension über:

Kurt Dröge / Detlef Hoffmann (Hgg.): Museum revisited. Transdisziplinäre Perspektiven auf eine Institution im Wandel, Bielefeld: transcript 2010, 378 S., ISBN 978-3-8376-1377-3, EUR 34,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Christian M. Geyer
Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Christian M. Geyer: Rezension von: Kurt Dröge / Detlef Hoffmann (Hgg.): Museum revisited. Transdisziplinäre Perspektiven auf eine Institution im Wandel, Bielefeld: transcript 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/18404.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Kurt Dröge / Detlef Hoffmann (Hgg.): Museum revisited

Textgröße: A A A

Die über 6000 deutschen Museen verzeichnen seit Jahren steigenden Zuspruch mit derzeit weit über 100 Millionen Besuchern pro Jahr. Zwar entfallen davon die meisten Besuche auf Kunstmuseen (18%), aber historisch/archäologische (16%), Heimat- (15%) und naturwissenschaftlich-technische Museen (14%) sind kaum weniger frequentiert. [1] Die Institution Museum wurde erheblichen strukturellen Veränderungen unterworfen.

Der vorgestellte Band konkretisiert diese Veränderungen und vertritt die plausible These, dass Grundfragen musealer Vermittlung für viele Bereiche von Archäologie über Kunst bis Zunftwesen identisch und deshalb mit Gewinn transdisziplinär als Museologie zu erforschen seien. Die Herausgeber stellten den Band unter das Motto "Forschungsfeld Museum" in der doppelten Bedeutung: Forschung im Museum und Erforschung des Museums (14). Ziel des Bandes sei es, vielfältige Antworten auf die Schlüsselfrage "Was macht ein Museum, mit welchen Zielen, wie und für wen?" zu geben (10). Damit könne man selbstbewusst die Alleinstellungsmerkmale des Museums gegenüber den schier übermächtig wirkenden Medien Film und Internet herausarbeiten.

Dass zahlreiche Bände zum "Museum und Kulturmanagement" angeboten werden (allein im Transcript Verlag 65), von denen viele den Untertitel Praxis-Guide tragen, aber kaum welche solch grundsätzliche Fragen stellen, erstaunt, hat aber seine Gründe. Studiengänge Museologie bieten im deutschsprachigen Raum fast ausschließlich berufsbezogene Fachhochschulen und Kunsthochschulen an. [2] Das deutet daraufhin, dass an den Universitäten klassische museumsrelevante Fächer (Archäologie, Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte) bisher implizit die Gegenthese von der Irrelevanz der Museologie in ihrem fachlichen Kanon vertraten. Für die kontinuierliche wissenschaftliche Untersuchung der zeitgenössischen musealen Vermittlung fachlicher Inhalte ist kaum ein Lehrstuhl zuständig. [3] Auch in den sehepunkten wurden selten museologische Publikationen rezensiert.

Die 30 Beiträge des Bandes sind Zusammenfassungen von Masterarbeiten, die seit 2000 an der Universität Oldenburg im Masterstudiengang Museum und Ausstellung, u.a. bei den dort lehrenden Herausgebern gefertigt worden sind. [4] Sie "bilden gleichsam Stichgrabungen in neue Fragestellungen, die immer exemplarisch in bestimmte theoriegeleitete Problemkomplexe einführen wollen: dann aber so konkret wie möglich." (13) Von den Lesern wird eine Offenheit über das eigene Fach hinaus gefordert, damit sie vom breiten Spektrum der thematisierten Museen profitieren, das vom großen Deutschen Historischen Museum, über die Bremer Kunsthalle, Naturkundemuseen, Grenzmuseen und NS-Gedenkstätten zu kleinen Heimatmuseen reicht.

Von Fachwissenschaftlern wird Museen gelegentlich vorgeworfen, sich mit spektakulären Sonderausstellungen zu stark auf die moderne Eventkultur einzulassen. Verschiedene Beiträge gehen dieser Behauptung nach, wobei zu Recht erinnert wird, dass spektakuläre Großausstellungen seit den Salons und Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts bekannt sind. Das Neue der Bildungs- und Unterhaltungsbedürfnisse des heutigen Publikums müsse erst einmal erkannt und dann ernst genommen werden (199f.). Anlässlich der Doppelausstellung Heiliges Römisches Reich von 2006 in Magdeburg und Berlin untersucht Tobias Müller, wie eine heutige historische Sonderausstellung funktioniert (195ff.). Für ihn ist weniger die Orientierung auf politisch nutzbaren, medialen Erfolg und Benutzerzahlen problematisch. Er kritisiert vielmehr den Verzicht auf moderne Vermittlungsmethoden und die Ausblendung zentraler historischer Aspekte (Sozialgeschichte). Bettina Kratz schildert vergleichend das Marketing je einer Großausstellung der Kunsthallen in Bremen und Emden (179ff.). Dabei verwischt sie zwar das Problem, indem sie etwas weltfremd behauptet, dass das Marketing bei der Definition des Produkts Ausstellung (nach Publikumsbedürfnissen) keinerlei Rolle spiele, sondern dies ausschließlich (nach rein fachlichen Kriterien) Sache des Kurators sei. Aber auch dieser schwächere Artikel enthält interessante Feststellungen, so zum selten thematisierten hohen Frauenanteil der Besucher (70%).

Am Beispiel des Architekten Carlo Scarpa (1906-1978) wird von Eleni Tsitsirikou die zunehmende Bedeutung von Ausstellungs- und Museumsarchitektur diskutiert (49ff.). Die damals nicht normierte Auftragsvergabe erlaubte zeitaufwendige, individuelle Präsentationen der Kunstwerke. Sie wird allerdings nicht idealisiert, sondern in ihren Restriktionen (u.a. für Änderungen der Daueraufstellung) thematisiert. Der Artikel von Vera Beyer über Schaudepots zeigt, wie mit dieser Präsentationsform nicht nur die Museumsfunktion des Bewahrens ausgestellt und legitimiert werden kann (153ff.). Zugleich kann damit erfolgreich für den Prozess des interpretierenden Forschens geworben werden, durch den erst aus diesen Objektmengen Sinnzusammenhänge sichtbar werden.

Einschränkend muss man daran erinnern, dass von auf vier Monate begrenzten Magisterarbeiten, die im Band als Extrakt vorgestellt werden, eher Zusammenfassungen als eigenständige Forschungen erwartet werden können. Umso erfreulicher, dass selbst diese Zusammenfassungen in den meisten Fällen flüssig geschrieben sind und relevante Wissenslücken füllen. Einzelne Beiträge schildern sogar eigenständige Forschungen. So Ulfert Tschirner, der aus den Beschriftungen eines nur kursorisch dokumentierten Teils der Abbildungssammlung des Germanischen Nationalmuseums kluge Schlüsse zur Sammlungsarchäologie ableitet (97ff.).

Mit diesem sehr anregenden und verdienstvollen Band wird exemplarisch eine Art Rechenschaftsbericht des museologischen Ansatzes vorgelegt, der dessen Fruchtbarkeit belegt. Dass einige Themen fehlen und dass man es in einigen Artikeln lieber umfassender und genauer wüsste, ist keine Kritik an den von Magistern erstellten Beiträgen, sondern ein Argument für eine bessere Verankerung kritischer Museologie in universitärer Forschung und Lehre. Die bisher praktizierte, begrüßenswerte Zusammenarbeit von Universitäten und Museen (Katalogbeiträge von Professoren, Honorarprofessuren von Museumsdirektoren, Volontariate von Absolventen) hatte offenbar manche Fragen nicht thematisiert.


Anmerkungen:

[1] Die letzte Museumsstatistik von 2008: http://museum.zib.de/ifm/mat63.pdf

[2] An Universitäten gibt es Kooperationen mit einzelnen Museen, aber nur in Oldenburg (aus einer Pädagogischen Hochschule hervorgegangen) und Heidelberg (in Kooperation mit der École du Louvre) einen museologischen Masterstudiengang: http://www.museumsbund.de/de/berufe_im_museum/studiengaenge/ Ab WS 2010 in Frankfurt "Curatorial Studies - Theorie - Geschichte - Kritik": http://www.kuratierenundkritik.net

[3] Ein Kongress thematisierte 1999 "The two art histories" (Universität / Museum): http://www.clarkart.edu/museum/publications-detail.cfm?BookID=25

[4] Inhaltsverzeichnis und Einleitung: http://www.transcript-verlag.de/ts1377/ts1377_1.pdf

Christian M. Geyer