Rezension über:

Lisa A. Banner: The Religious Patronage of the Duke of Lerma. 1598-1621, Aldershot: Ashgate 2009, XIX + 249 S., ISBN 978-0-7546-6120-7, GBP 55,00
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Rezension von:
Hillard von Thiessen
Historisches Seminar I, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Hillard von Thiessen: Rezension von: Lisa A. Banner: The Religious Patronage of the Duke of Lerma. 1598-1621, Aldershot: Ashgate 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/16593.html


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Lisa A. Banner: The Religious Patronage of the Duke of Lerma

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Der Herzog von Lerma war der erste Günstling-Minister in der Geschichte der spanischen Monarchie der Frühen Neuzeit. Bereits Zeitgenossen fiel auf, dass das Vertrauen Philipps III. in ihn und seine Machtfülle ein Ausmaß erreicht hatte, das bis dahin unbekannte Dimensionen annahm. Selbst im europäischen Vergleich war die Machtstellung dieses Favoriten exzeptionell, was Diplomaten wie Reisende in Spanien immer wieder mit Erstaunen vermerkten. Obwohl Lerma im historischen Gedächtnis Spaniens nicht die Prominenz eines Olivares besitzt und im europäischen Geschichtsbewusstsein im Gegensatz etwa zu Richelieu kaum präsent ist, kann seine Günstlingsherrschaft doch als modellhaft angesehen werden, markiert sie doch den Beginn des Zeitalters der Favoriten in Europa.

Die Historiographie zu Lerma war bis vor knapp 20 Jahren von einem ausgesprochen negativen Bild geprägt. Die klassische spanische Historiographie störte sich daran, dass Lerma als Günstling-Minister den König in den Schatten stellte. Mit ihm habe der Niedergang der spanischen Monarchie eingesetzt, und sein System von Patronage und Begünstigung habe die Werte Spaniens untergraben. Erst in jüngster Zeit ist sein Herrschaftssystem und dessen Legitimation genau analysiert und in die von personalen Bindungen geprägte politische Kultur der Zeit eingeordnet worden. Lermas Konzept von Günstlingsherrschaft wird somit heute viel differenzierter beurteilt. Hierzu einen bedeutenden Beitrag aus einer neuen Perspektive zu bieten gelingt der Studie der in Princeton wirkenden Kunsthistorikerin Lisa A. Banner in ihrem Buch über die religiöse Patronage des mächtigen Herzogs.

Dabei ist zunächst allerdings ein Defizit des Werks zu monieren. Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Begriff "Patronage" und seine historische Einordnung erfolgt nicht. Auch eine Definition von "religiöser Patronage" fehlt. Aus der Vorgehensweise der Verfasserin geht aber hervor, dass sie darunter die Förderung kirchlicher bzw. religiöser Institutionen - Kirchen, Klöster und Konvente, Bruderschaften, Ritterorden und theologische Fakultäten - und die Unterstützung frommer Anliegen wie Heiligsprechungen versteht. Auch zeigt Banner, dass religiöse Patronage als eine soziale Verpflichtung wahrgenommen wurde, der jeder (katholische) Christ im Rahmen seiner Möglichkeiten nachzukommen habe. Der Adel im Allgemeinen und der Günstling-Minister im Besonderen musste folglich auf diesem Gebiet besondere Generosität walten lassen. Damit diente religiöse Patronage auch der Darstellung und Legitimation von Rang und war Teil der höfischen Kultur.

Diese Doppelfunktion religiöser Patronage lässt sich im Fall Lermas in besonders ausgeprägter Weise erkennen. Die Verfasserin arbeitet heraus, dass der Günstling-Minister sich ganz selbstverständlich verpflichtet fühlte, religiöse Institutionen zu unterstützen, und dies auch aus persönlicher Frömmigkeit heraus tat. Darüber hinaus aber nutzte er diese Aktivitäten, in die über 40 % seines Vermögens flossen, auch konsequent zur Darstellung seiner Position als Vertrauter des Königs. Er versuchte, sich aus dem Adel herauszuheben und seine Familie in eine königsnahe Zwischenstellung zwischen dem Adel und der Herrscherdynastie zu erheben, wenn nicht sogar in den Kreis der Dynastien aufzusteigen. Dieses von einer gewissen Hybris gekennzeichnete Vorhaben ließ sich auf keinem Wege besser legitimieren, aber auch besser nach außen sichtbar und damit plausibel machen, als über die Förderung religiöser Projekte.

Banner konzentriert ihre Arbeit auf drei große Bauprojekte des Vertrauten Philipps III., die bereits den Zeitgenossen als besonders spektakuläre Manifestationen seiner Stellung aufgefallen waren: die Umgestaltung der alten Königsstadt Valladolid, wo der Hof von 1601 bis 1606 residierte, den weitgehenden Umbau der Stadt Lerma zum Hauptort der herzoglichen Familie, und die nur zum Teil ausgeführten Bauprojekte in Madrid ab 1606. An allen drei Orten ließ der Herzog von Lerma Kirchen und Klöster errichten und Paläste bauen, wodurch ganze, durch Gänge (pasadizos) verbundene Komplexe als Ausdruck von Frömmigkeit und Macht entstanden. Die pasadizos dienten einem symbolischen Ziel, das Anleihe am spanischen Hofzeremoniell nahm. Dessen Funktion war es, die Zugänglichkeit zum König zu beschränken und seine Machtstellung durch Invisibilität zu unterstreichen. Wenn Lerma und der König sich von außen unbemerkt über die zahlreichen Verbindungsgänge fortbewegen konnten, beförderte dies ihre Aura der Macht.

Abgesehen von diesem Aspekt war Lermas Selbstdarstellung auf ostentative Präsentation angelegt. Nicht nur die Fassaden seiner Paläste, sondern auch die der von ihm erbauten oder unter seinem Patronat stehenden Kirchen und Klöster wurden mit seinem Wappen versehen. Mit dessen Omnipräsenz wurde nicht nur die Machtstellung des Günstling-Ministers ausgedrückt, sondern auch seine Verpflichtung, die entsprechend markierten Konvente zu fördern. Dies geschah vor allem durch zahlreiche Ausstattungsgegenstände und den Transfer von Benefizien.

Auffallend ist, dass Lerma sich sowohl in der Architektur der unter seiner Ägide errichteten Gebäude als auch bei Kunstgegenständen am Stil der Habsburger, vor allem an dem Philipps II., orientierte. Deutlich wird dies vor allem in der Stadt Lerma, die bis heute vom estilo desornamentado nach Art des Escorial geprägt ist. Auch sein Grabmalsprojekt orientierte sich am Vorbild der Habsburger. Banner kann mit vielen Indizien belegen, dass dies Teil einer bewussten Strategie war. Lerma versuchte, seinen Familienverband als eine Art Nebendynastie zu inszenieren, wobei neben die Darstellung als Diener der Habsburger zunehmend eine Inszenierung der Gleichrangigkeit implizierenden Freundschaft trat.

Deutlich wird dies vor allem am erst Jahrhunderte später in ganz anderer Form ausgeführten Projekt einer Kathedrale in Madrid, das Banner in neue Zusammenhänge stellt. Das Kapitel zu diesem Vorhaben stellt den Höhepunkt des Buches dar. Ausgangspunkt ist ein undatiertes, in der Nationalbibliothek in Madrid verwahrtes Manuskript über dieses Projekt, das bislang der Zeit Philipps IV. zugeordnet wurde. Banner legt überzeugend dar, dass es sich um ein Schreiben handeln muss, das im Auftrag Lermas verfasst wurde und das als Kulminationspunkt seiner religiösen Patronage wie seiner politischen Ambitionen zu verstehen ist. Lerma ließ dem König nicht nur den Vorschlag unterbreiten, ihm, dem Günstling, das Patronat dieser Kirche zu überlassen, sondern strebte auch das erbliche Amt eines Comendador Mayor der zu gründenden Bruderschaft der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter an. Was sich zunächst als Ausdruck eines frommen Projekts des Königs und seines Favoriten liest, hatte weit reichende politische Implikationen: Lerma wollte die Hofämter mit denen der Bruderschaft verschmelzen und auf diese Weise aus der Stellung eines Günstling-Ministers ein erbliches Amt in Händen seiner Familie machen.

Auch wenn diese Pläne letztlich am Sturz des Herzogs scheiterten, so sind sie doch Ausdruck der legitimatorisch heiklen Stellung des Günstling-Ministers. Die in der Forschung seit einiger Zeit vermutete Absicht Lermas, seine Stellung zu vererben und in den Kreis der Dynastien aufzusteigen, wird von Banner nicht nur bestätigt, sondern um einen bis dahin kaum bekannten Aspekt erweitert. Über ihr Thema hinaus, die religiöse Patronage Lermas, bietet Banner Einblicke in das Denken eines Günstling-Ministers, der, getrieben von Familienräson, durch den Versuch der generationenübergreifenden Perpetuierung seiner herausragenden Stellung den Handlungsrahmen des Akzeptablen verließ. Damit leistet die Autorin einen Beitrag zum Verständnis der politisch-religiösen Kultur der höfischen Gesellschaft und der Machtbeziehungen im Ancien Regime.

Hillard von Thiessen