Rezension über:

Anthony R. Disney: A History of Portugal and the Portuguese Empire. From Beginnings to 1807. Volume One: Portugal, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XXX + 386 S., ISBN 978-0-521-60397-3, EUR 23,99
Buch im KVK suchen

Anthony R. Disney: A History of Portugal and the Portuguese Empire. From Beginnings to 1807. Volume Two: The Portuguese Empire, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XLI + 438 S., ISBN 978-0-521-73822-4, EUR 19,99
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Andreas Morgenstern
Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Morgenstern: (Rezension), in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/17762.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Anthony R. Disney: A History of Portugal and the Portuguese Empire

Textgröße: A A A

1807 betrat João VI., Prinzregent von Portugal, ein Schiff, das ihn aus der europäischen Heimat nach Brasilien bringen sollte. Kurz zuvor hatten sich der Nachbar Spanien und das napoleonische Frankreich auf eine Aufteilung des Staates im äußersten Südwesten Europas geeinigt. Gegen diese Diplomatie war Portugal chancenlos, die Flucht symbolisierte einen mehrere Jahrhunderte andauernden Niedergang der einst führenden Seefahrernation. Eine Ära hatte ihr endgültiges Ende gefunden. Die große Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums "Novos Mundos. Portugal und das Zeitalter der Entdeckungen" führte 2007 einem großen Publikum jene Pionierfunktion des Landes vor Augen. Weiterführende Literatur zur Geschichte Portugals ist hierzulande allerdings recht rar gesät, das Interesse fokussiert sich zumeist auf den größeren Nachbarn auf der Iberischen Halbinsel.

Diese Lücke schließt jetzt die vorzügliche englischsprachige Überblicksdarstellung Anthony R. Disneys. Der australische Historiker stellt in zwei Bänden die Entwicklung Portugals und seines kolonialen Imperiums vom Mittelalter bis zu den genannten Ereignissen 1807 dar. Solch ein Werk ist ohne Rückgriff auf frühere Darstellungen nicht möglich, Disney nennt u.a. die von Joel Serrão seit 1986 herausgegebene, aber noch unvollständige "Nova historia de Portugal". Die 14 chronologisch bzw. 13 geographisch gegliederten Kapitel der beiden Bände bieten Disney über die unterhaltsame Zusammenfassung bisheriger Forschungsergebnisse hinaus genügend Raum für eigene Gedanken. Aussagekräftige Karten leiten beide Bände ein.

Disney schildert die langsame Herausbildung eines Staates, den keine natürlichen Grenzen von seinem kastilischen Nachbarn trennten. Und doch erreichte er als eines der ersten Königreiche Europas territoriale Stabilität, die weitgehend bis in unsere Tage erhalten ist. Die Entstehung des Landes bezeichnet Disney als "by-product of Christian expansion" zulasten der bisherigen islamischen Herrscher, als Ergebnis eines Prozesses, in dem auch für heutige Forschergenerationen noch vieles im Dunkel liegt.

Auch Disney kann nur vermuten, dass sich der herrschende Alfonso Henrique kurz nach der gewonnenen Schlacht von Ourigue (1139), auch über sie ist manches noch ungeklärt, selbst zum "rex" ernannte. Er beschreibt die Geschichte einer Einwanderergesellschaft, die gemeinsam mit den Klöstern das Land erschließt und im 14. Jahrhundert schließlich zur Entstehung einer eigenen Nation führt. Aber auch für den Erhalt der Unabhängigkeit gegenüber Spanien sieht Disney bei aller geschickten Diplomatie keine Zwangsläufigkeit.

Einen Schwerpunkt setzt Disney auf die Beschreibung des Goldenen Zeitalters. Für den weder vorher noch jemals später wieder erreichten Glanz Portugals in der Welt sieht Disney die Epoche zwischen dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts und der frühen 1540er Jahre an - ein Zeitalter auch portugiesischer Entdeckungen. Die Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung, Siedlungsgründungen von Brasilien bis Südostasien aber auch eine einzigartige ökonomische wie kulturelle Blüte, verhießen ein Land voller Hoffnungen. Lissabon, die größte Stadt der Iberischen Halbinsel wurde prächtig ausgebaut.

Für einige Jahre hielt der Staat praktisch das Monopol auf den europäischen Pfefferhandel, die neuen Kolonien reizten Abenteurer, die als Händler oder Söldner, oft auch einer Mischung daraus, in die fremden Länder auszogen. Viele dieser Glücksritter kehrten nicht zurück und beeinflussten stattdessen die Kultur ihrer neuen Heimat, die so eine südwesteuropäische Prägung erhielt. Schatten fallen auf diese Zeit durch die Verfolgung und Zwangstaufen der Juden. Und dennoch zog das Land Intellektuelle aus vielen Ländern an. Hier zeigte sich eine besondere Form des Humanismus, der durch seine imperiale Prägung stärker praktisch veranlagt war.

Während des Goldenen Zeitalters bildete sich die konstitutive Verschränkung zwischen dem Mutterland und den Kolonien aus. An dieser Stelle wird der größte Nachteil der Studie Disneys offenbar: die Trennung von Landes- und Kolonialgeschichte in zwei Bände. Zu stark sind die beiden aufeinander bezogen, das Verstehen des einen ist ohne das Wissen um das Geschehen im anderen kaum möglich. Die Problematik zieht sich dann auch durch die weiteren Kapitel. Erwähnt seien der Bankrott der Krone 1560, begründet durch wachsende Schwierigkeiten in den Kolonien und die entstandene Abhängigkeit vom Silber Spaniens, und später die inneren Folgen der Verdrängung Portugals von seinen asiatischen Märkten durch die Niederländische Ostasienkompanie in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Seemacht hatte nicht mehr die Mittel, ihr Imperium zusammenzuhalten.

Die Gründe für den Niedergang sieht Disney jedoch in erster Linie innenpolitisch. Die Inquisition wütete zunächst gegen die Neuen Christen (getaufte frühere Juden und Muslime), später verselbstständigte sie sich immer weiter. Eines der führenden Länder sank zu einem intellektuell rückständigen ab. Der Außenpolitik, vor allem der langjährigen Allianz der Seemacht Portugal mit England, schreibt Disney hingegen eine geringere Rolle zu.

Das Menetekel der Katastrophe von 1807 brachte Portugals Hauptstadt Lissabon ein halbes Jahrhundert früher noch einmal tragische Berühmtheit, aber auch Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Hatte 1755 ein Erdbeben beinahe die ganze Stadt mit ihren Bauten aus dem Goldenen Zeitalter zerstört, so wiesen die Reformen des neuen Ersten Ministers Pombal, die über den physischen Wiederaufbau Lissabons hinaus auch zum Neuaufbau des Staates führen sollten, auf eine Überwindung der Rückständigkeit. Disney betont seine Modernisierungsmaßnahmen, die sich mit der Vertreibung der inzwischen dominierenden Jesuiten verbanden. Sie hätten Portugal eine einzigartige Möglichkeit des Neuaufbaus geboten.

Doch auch dieses Programm scheiterte. Nach dem Tod von König José I. brach seine Nachfolgerin Maria I. mit Pombal. Wohl nicht ganz zufällig behandelt Disney den Sturz des Staatslenkers und den Niedergang von 1807 im letzten Kapitel gemeinsam. Alle wirtschaftlichen Maßnahmen waren zu begrenzt geblieben, die finanzielle Lage blieb zerrüttet. Disney zitiert an dieser Stelle den britischen Vertreter in Lissabon, Sir John Hort, der 1792 erklärte: "all nations in Europe are Portugals debtors".

Im napoleonischen Europa sah sich Portugal zu einer Verständigung mit Frankreich gezwungen, gefährdete dabei aber die Verbindung mit England und isolierte sich zunehmend. Für Disney endet hier die Geschichte des alten Portugals. Eine nachvollziehbare Entscheidung. Die gegenseitige Bedingtheit zwischen Mutterland und Imperium lockerte sich, dessen Krone Brasilien musste sogar in die Unabhängigkeit entlassen werden. Nach der Rückkehr des Königs suchte Portugal ein neues Selbstverständnis.

Disneys zweibändiges Werk ist ein unterhaltend und spannend geschriebenes Nachschlagewerk, das einen schnellen Blick auf die portugiesische Geschichte vom Mittelalter bis in die napoleonische Zeit, aber auch auf Einzelaspekte der Zeit verspricht. Diesen erschwert allerdings die Trennung der beiden Bände zwischen Landes- und Imperialgeschichte. Trotzdem entfaltet Disney ein vielschichtiges Porträt einer lange bedeutenden Seemacht. Dem Werk ist eine deutsche Ausgabe zu wünschen.

Andreas Morgenstern