Rezension über:

Mathis Leibetseder: Die Hostie im Hals. Eine >schröckliche Bluttat< und der Dresdner Tumult des Jahres 1726 (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 18), Konstanz: UVK 2009, 197 S., ISBN 978-3-86764-208-8, EUR 24,00
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Rezension von:
Martin Scheutz
Institut für Geschichte / Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Martin Scheutz: Rezension von: Mathis Leibetseder: Die Hostie im Hals. Eine >schröckliche Bluttat< und der Dresdner Tumult des Jahres 1726, Konstanz: UVK 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/01/17647.html


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Mathis Leibetseder: Die Hostie im Hals

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Die "grässliche Bescherung" in der Dresdner Pfarrgasse am 21. Mai 1726, im Hause des Diakons der Kreuzkirche Hermann Joachim Hahn (1679-1726), bildet den Ausgangspunkt der vorliegenden, klug filetierten Mikrogeschichte aus der konfessionell labilen sächsischen Residenzstadt, wo der konvertierte Landesfürst fern und die konfessionellen Gemengelagen nah waren. Der katholischer Gardist und Konvertit Franz Laubler (1689/90, Oberhausen bei Augsburg - 1726, Dresden), der nach einer Kommunion durch den spanischen Erzbischof von Valenzia in Wien 1720 eine - wie er selbst angab - "Hostie noch in der Kehle" hatte, ermordete den Diakon mit mehreren Messerstichen. Der zeitweilig in Wien lebende Täter und das Opfer standen in enger Beziehung, weil der ermordete Diakon den "Informator", also den geistlichen Führer, des "konvertierten" Gardisten repräsentierte; wie Lauber später aussagte, "er wäre catholisch gewesen und lutherisch worden" (15). Die Tat beendete den mühsam gewahrten Waffenstillstand der beiden in der Stadt vorfindlichen Konfessionskulturen abrupt.

In insgesamt drei größeren Kapiteln erarbeitet der Autor die Fallgeschichte aus der Perspektive des Opfers (ikonografisches Vorbild etwa Simon von Trient) und des Täters. Dann verfolgt er eingehender die sich an den Mord anschließenden städtischen Unruhen der in ihrem Selbstverständnis getroffenen Dresdner Protestanten und die zögerlich-vorsichtige Aushandlungsstrategie der Stadt beim Verhängen der Strafen für die Aufrührer. Mathis Leibetseder, Archivar beim Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, widmet sich auch ausführlich dem konfessionellen Erinnerungsort des Mordes von 1726 - dem "zweiten Leben" der Tat - im Pulverfass Dresden (Medaillen, Kupferstiche, Grabstein etc.). Die Kupferstiche sollten die "Dresdner Lutheraner gegen die Anfechtungen des Katholizismus [...] immunisieren" (39). Gleichsam als baulicher Schlussstein der Unruhen in der konfessionell heterodoxen Stadt steht für den Stadtrat die Grundsteinlegung zur Dresdner Frauenkirche 1726, als im Text der im Kirchenfundament versenkten Notiz nochmals auf die "von einem Catholicken Franz Laublern verübte[n] entsezliche[n] Mordthat" (12) verwiesen wird. Durch die gelungene mikrohistorische Annäherung an das Thema erscheint der von den Dresdner Katholiken abgelehnte "Priestermörder" Laubler schließlich nicht mehr so sehr als Katholik, sondern als heterodoxer, heilssuchender "Frommer, der kirchlicher Heilsvermittlung nicht bedurfte" (55). Nur als Schlaglicht - der vom Stadtphysikus für zurechnungsfähige Erklärte und schließlich Hingerichtete wollte sein Opfer nach der Tat mit Nägeln an Händen und Füßen kreuzigen.

Unmittelbar nach der Tat - als imaginiertes Vorbild diente auch das Thorner Blutgericht von 1724 - kam es in der Stadt zu vor allem von Handwerkern getragenen Ausschreitungen gegenüber Katholiken ("Rosenkranz und Nesselstock"), deren Hab und Gut verwüstet wurde (22 Verhaftungen). Erst das einrückende Militär und der Gouverneur der Dresdner Garnison Christoph August Wackerbarth bereiteten den je nach Standpunkt als Tumult oder Rebellion interpretierten Ereignissen ein Ende. In der Diktion der Stadt nahmen die Aufrührer "nicht Christum, sondern Barrabam, den Aufrührer und Mörder, zu ihrem Führer an" (111). Im innerstädtischen Kontroversdiskurs der Geistlichen beider Konfessionen versuchte die Stadt durch einen "aktenmäßigen Bericht" eine Deutungshoheit über die konkurrierenden Interpretationen zu erlangen.

Während die Strafe für den Mörder Franz Laubler erwartbar ausfiel, zogen sich die Verfahren gegen die 29 Demonstranten des um innerstädtischen Frieden bemühten Stadtrates in die Länge. Eine Landesverweisung, mehrere Strafen zum Festungsbau und relativ milde Gefängnisstrafen, daneben zwei Begnadigungen - darunter eine der habsburgischen Kurprinzessin! - zeigen die rationale, auf verschiedene politische Akteure verteilte Ökonomie der Strafen. Während die üppige zeitgenössische Publizistik zu dem Fall "die Vorgänge christlich auslegte, verortete die Obrigkeit sie in juristischen und politischen Diskursen, die ein weitgehend säkularisiertes Verständnis von Staat und Religion zu erkennen gaben" (152).

Behutsam hinterfragend und die Ergebnisse geschickt präsentierend werden bislang gängige Topoi wie der "verrückte Mörder" und der "rasende Pöbel" für die Dresdner Ereignisse 1726 hinterfragt. Die Dresdner Protestanten verwandelte die Tat in eine "Leidensgemeinschaft" (155), der Dresdner Magistrat deutete die Ausschreitungen "als Akt kollektiver Selbstverteidigung und nicht als Bruch des Landfriedens" (156). Laubler als eigensinniger Mörder wollte dagegen vor allem seine Interpretation der im Konfessionellen angesiedelten Tat gewahrt wissen, die Geschichte der Hostie im Hals und die Imitatio Christi sollte der Nachwelt erhalten bleiben - was der Autor eindrücklich gewährleistet. Nach dem Thorner Blutgericht 1724 und vor der großen, auch medial über Regensburg gespielten Auseinandersetzung der Salzburger Emigranten 1731/32 stellen sich die Dresdner Ereignisse 1726 in eine Kette von heftigen konfessionellen Auseinandersetzungen im Reich. Mathis Leibetseder legt mit dem vorliegenden, auf ein Ereignis zugespitzten Buch einen stringent erzählten und kurzweilig zu lesenden Text vor, der gut die konfessionellen Spannungen Dresdens bzw. die zwischen neokatholischem Landesfürst und protestantischer Stadt bestehenden Problemlagen herausarbeitet und die konfessionellen Diskursstränge sehr gut herausmodelliert.

Martin Scheutz