Rezension über:

Brigitte Moser / Michael W. Weithmann: Kleine Geschichte Istanbuls, Regensburg: Friedrich Pustet 2010, 184 S., 35 s/w-Abb., ISBN 978-3-7917-2248-1, EUR 14,90
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Rezension von:
Murat Caglayan
Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Murat Caglayan: Rezension von: Brigitte Moser / Michael W. Weithmann: Kleine Geschichte Istanbuls, Regensburg: Friedrich Pustet 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/04/19357.html


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Brigitte Moser / Michael W. Weithmann: Kleine Geschichte Istanbuls

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Nicht erst die Wahl Istanbuls als europäische Kulturhauptstadt 2010 mag das gesteigerte Interesse an dieser Stadt und die gestiegene Anzahl an Veröffentlichungen begründen. Die Geschichte vieler Städte und Metropolen ist durch ihre geographische Lage geprägt. Dies gilt insbesondere für die Stadt, die unter mindestens drei Namen in Geschichtsbüchern erwähnt wird: Byzantion, Konstantinopolis, Istanbul. Daher scheint es eine recht kluge Erwägung der beiden Verfasser des vorliegenden Bandes zu sein, mit der Topographie dieser Stadt zu beginnen.

Der zeitliche Bogen spannt sich von der erdgeschichtlichen Entstehung der Meerenge des Bosporus bis heute. Zeitlich ist das Buch grob in vier Bereiche gegliedert: das archaische Byzantion (20-27), die römische Konstantinoplis (28-77), die osmanische Kostantiniyye (78-150) und das republikanische Istanbul (151-169). Schwerpunktmäßig werden die Zeit als Kaiserstadt des oströmischen Imperiums (395-1453 mit einer kurzen Unterbrechung durch die Eroberung des Kreuzzugsheeres im Jahre 1204 (bis 1261) und die der osmanischen Epoche als Sultansstadt (1453-1923) behandelt. Die Autoren gehen innerhalb einzelner Kapitel eher thematisch vor. Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche und das Wichtigste und schmücken den Text mit kleinen Exkursionen über wichtige Personen, Orte, Ereignisse und Entwicklungen.

Dabei werden sehr bildhafte, oftmals nah am historischen Alltag orientierte Passagen in den Haupttext integriert, die die Lektüre sehr facettenreich, informativ und bisweilen sehr amüsant gestalten. Es kommen nicht nur historische Größen wie Konstantin der Große oder Eusebios von Caesarea zu Wort, sondern auch zeitgenössische Stimmen wie Orhan Pamuk oder Petros Markaris. Ferner werden architektonische Entwicklungen und Eigenarten dieser Stadt trotz der Kürze recht fundiert und informativ dargelegt. Dabei bleibt kaum ein wichtiges historisches Zeugnis unerwähnt: Das Hippodrom als Zeugnis römischer Vergangenheit (35), die Hagia Sophia als Sinnbild orthodoxer Religiosität (46), der Galata-Turm als ein Symbol wirtschaftlicher Interdependenz mit "europäischen" Mächten (73), der Topkapi Palast als machtpolitisches Zentrum osmanischer Herrschaft (86), die Külliye als sozial-caritative Institution (95), die osmanische Holzbaukunst als Zeugnis des natürlichen Wohnens (114) und vieles mehr.

Byzantion wurde durch Konstantin den Großen zur Nova Roma Constantinopolitana erklärt und durch die Verschiebung der Machtachse im römischen Reich gen Osten gewinnt sie im Grunde ihre weltgeschichtliche Bedeutung (28ff). Sie gilt über Jahrhunderte hinweg als "Hauptstadt des östlichen Kulturraumes" (54). Auch nach der Eroberung der Türken bleibt Konstantinopel "Metropolis der Griechen" (91). Sie wird ab dem 16. Jahrhundert Zentrum einer Macht, die sich über drei Kontinente ausgebreitet hat (90ff). Mit der Gründung der türkischen Republik 1923 verliert diese Stadt nicht nur ihren Status als Hauptstadt (unter anderem wegen ihrer strategisch verwundbaren Stellung), sie büßt auch ihre kosmopolitische Vielfältigkeit ein. Insbesondere hört es auf eine "griechische Polis" (151) zu sein. Konstantinopel wird 1930 zu Istanbul umbenannt und wandelt ihr Gesicht. Bereits 1927 waren 90% der Einwohner " türkisch-muslimisch". Immer wieder war die Stadt Schauplatz für türkisch-griechische Spannungen. Auch war und ist Istanbul Schauplatz für die großen Spannungen im Transformationsprozess der türkischen Republik bis heute. Die Staatsstreiche von 1960, 1971, 1980 und 1997 haben hier oft zu Ausnahmezuständen geführt, die nicht nur die Stadt sondern auch das Land geprägt haben, denn Istanbul spiegelt die Verhältnisse im ganzen Land wider und sie ist das "Tor der Türkei zur Welt" (153). Mit der Verlegung der Hauptstadt nach Ankara hat die Stadt in den ersten Jahrzenten der Republik ihre Kosmopolität zwar eingebüßt, jedoch hat sie sich ihre einstige nationale und internationale Bedeutung wieder selbst zurückerobert. Ein Viertel der Türken leben heute in und um Istanbul. Wichtige politische, kulturelle, künstlerische und vor allem ökonomische Entwicklungen bekommen dort ihre Richtung zugewiesen.

Es waren also Griechen, die sich Römer nannten und auch unter der Herrschaft der Türken als rum (Römer) bezeichnet wurden. Bezeichnend ist, dass sich Sultan Mehmet II. der Eroberer in der Tradition des römischen Imperiums sah. Er war nicht der erste türkische Herrscher, der sich mit der Bezeichnung schmückte: Herrscher des rum (Roms) zu sein. Den Namen Konstantinopel haben die Türken bis 1930 in seiner arabischen Version: Kostantiniyye stets beibehalten. Erst in der nationalistischen Republik Türkei wurde das eher in der Umgangssprache gebrauchte Istanbul eingeführt. Es kommt aus dem Griechischen: is tin polin, d.h. "in die Stadt". Konstantinopel war eben auch bis in die republikanische Zeit hinein das Zentrum hellenischen Wirkens. Bis heute hat hier das orthodoxe Patriarchat seinen Sitz. Obwohl die Griechen Konstantinopels von der Vereinbarung des Bevölkerungsaustausches ausgenommen waren, gingen dennoch viele. Nach der Vermögenssteuer von 1942, den Ausschreitungen im September 1955 und der griechischen Provokation der Zypernkrise 1964 sank die Zahl bis heute auf etwa 2000 Griechen. Der ewige Streit zwischen den Nationalismen der Türkei und Griechenlands, die sich in vielem sehr ähneln, zerrieb das Griechentum in Istanbul. Mit den Griechen ging aber auch das Handwerk und die traditionellen Berufszweige verloren, die diese Stadt über Jahrhunderte hinweg mitgeprägt hatten.

Trotz seiner Kürze ist dieses Buch eine überreiche Fundgrube für alle, die sich kurz, aber facettenreich über die Geschichte dieser Metropole informieren möchten. Dabei bleiben weder griechische Mythologien, noch die Heilsgeschichten griechisch-orthodoxer Religiosität, noch die Auseinandersetzung zwischen dem katholischen "Westen" und dem orthodoxen "Osten", noch die Grundmuster des Zusammenlebens von Juden, Christen und Muslime im Osmanischen Reich, noch die Geheimnisse des Harems der Sultane, noch die Konflikte im Zeitalter der Nationalismen unerwähnt. Es ist kein Werk, das in die Tiefe geht und auch keine Ansprüche auf neue Forschungsergebnisse stellt. Jedoch sind die Ausführungen auf der Basis neuerer Literatur fundiert und regen zur weiteren Lektüre an. Gleichzeitig ist es wohl die einzige und sehr gelungene Alternative als Überblickswerk zur kleinen Lektüre vom Osmanisten Klaus Kreiser. [1]


Anmerkung:

[1] Klaus Kreiser: Geschichte Istanbuls, von der Antike bis zur Gegenwart, München 2010.

Murat Caglayan