Rezension über:

Reiner Rohloff: Johannes Calvin (= UTB; 3456), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 141 S., ISBN 978-3-8252-3456-0, EUR 12,90
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Rezension von:
Christoph Strohm
Lehrstuhl für Reformationsgeschichte und Neuere Kirchengeschichte, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Strohm: Rezension von: Reiner Rohloff: Johannes Calvin, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/20031.html


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Reiner Rohloff: Johannes Calvin

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Im Zusammenhang des 500. Geburtstags Johannes Calvins ist eine Vielzahl von Biografien unterschiedlichen Umfangs erschienen. Mit dem vorliegenden Büchlein kommt eine weitere Darstellung des Lebens und Werks des Genfer Reformators zum Druck. 58 Seiten sind dem Leben, 47 Seiten dem Werk und 26 Seiten der Wirkung gewidmet. Eingeschoben sind zahlreiche "Merkkästen" und Begriffserläuterungen, die nach dem Klappentext "dieses leicht verständlich geschriebene Buch" strukturieren sollen. Der Verfasser ist "evangelisch-reformierter" Studienleiter in der ökumenischen Bildungsstätte Kloster Frenswegen und sucht die bleibende Attraktivität und Aktualität der Theologie Calvins plausibel zu machen.

Entsprechend beginnt das Büchlein mit der Frage "Warum Calvin?" (7-10). Gleich auf der ersten Seite wird Calvin "zum spezifisch reformierten Gegenüber Luthers" (7), nachdem der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli früh verstorben war. Der Verfasser ruft die gemeinsamen Anliegen der Reformation in Erinnerung und formuliert mit Bezug auf Karl Barths berühmten Satz ("Calvin und nicht Luther hat die Reformation welt- und geschichtsfähig gemacht"): "Luther hatte der Reformation zum Durchbruch verholfen, Calvin zu ihrer Bewährung" (8). Um Calvins Eigenständigkeit zu betonen, spricht er unzutreffend nur von "formaler" Anlehnung der Erstausgabe der "Institutio" an Luthers Kleinen Katechismus (23). An anderen Stellen wird aber richtig die Vermittlerrolle Calvins zwischen Luther und Zwingli bzw. dessen Nachfolger Heinrich Bullinger betont.

Dem Verfasser gelingt es, wichtige Stationen der Biografie von der Herkunft über die Prägungen bis hin zu "Gestaltung", "Krise" und "Festigung" elementar und sachgemäß zu skizzieren. Nur an einigen wenigen Stellen ergeben sich kritische Rückfragen. So sollte man trotz Calvins 25 Jahre nach den Ereignissen zu Papier gebrachter Formulierung "subita conversio ad docilitatem" nicht von einem "Bekehrungserlebnis" sprechen (17). Angesichts des knappen Umfangs ist es wohl unumgänglich, dass der Verfasser nicht auf die in der Forschung kontrovers diskutierten Fragen zur Biografie (zum Beispiel nach dem Zeitpunkt der Hinwendung zur Reformation) eingehen kann.

Die Darstellung des Werkes Calvins konzentriert sich auf die Skizzierung von dessen Aussagen zur Heilsgeschichte, Bundestheologie, Gotteslehre, dem Zusammenhang von Gottes- und Selbsterkenntnis sowie dem Verhältnis von Kirche und Staat. Zu Recht betont der Verfasser mehrfach, dass Calvins Theologie im Kontext der Verfolgung entstanden ist. Er geht sogar soweit, von "Theologie als Seelsorge" zu sprechen (86; vgl. 32). Das ist richtig, aber man müsste auch hinzufügen, dass die Wahrnehmung von Verfolgung und Bedrohung ebenso mitverantwortlich für Calvins unduldsamen, intoleranten Stil im Umgang mit Abweichlern in der Lehre oder auch sein scharfes Bemühen um konsequente Kirchenzucht ist. Kontroverse Themen wie Prädestinationslehre oder die Frage nach theokratischen Tendenzen stellt der Verfasser knapp und zurückhaltend in der Bewertung vor. Die in der Forschung vieldiskutierte Frage nach der "Mitte" oder den Grundstrukturen der Theologie Calvins wird nicht behandelt.

Die Stärke des Vorgehens liegt auf der Hand: Es werden elementare, eindrückliche Aussagen Calvins zu zentralen theologischen Themen geboten, und dies erfolgt wohlgeordnet und leicht zugänglich. Mitunter kommt es dabei jedoch zu unhistorischen Harmonisierungen. So betont der Verfasser richtig, dass Calvins Ringen mit den weltlichen Herren Genfs um die Kirchenzucht auf die Eigenständigkeit der Kirche ausgerichtet war. Sie sollte hier der entscheidende Akteur sein. Mit diesem Argument wird die "hartnäckig[e]" Behauptung zurückgewiesen, "Calvin habe mit der Einführung der Kirchenordnung in Genf die Errichtung einer Theokratie oder einer Diktatur der Kirche beabsichtigt, in der geistliche und weltliche Zuständigkeiten vermischt werden" (41). Dem ist zuzustimmen, aber man kann nicht einfach sagen: "Das Gegenteil ist richtig." Die von Calvin nach alttestamentlichem Vorbild stark betonte Verantwortung der weltlichen Obrigkeit für die rechte Gottesverehrung (im Sinne der ersten Tafel des Dekalogs) wird vom Verfasser zwar erwähnt, aber sie wird verharmlost, wenn es dann heißt, dass der Staat "damit auch die freie Religionsausübung gewährleisten müsse" (116). Fällt Calvin nicht hinter Luthers 1523 entfaltete, recht präzise Unterscheidung der beiden Regimente zurück? Und liegt hier nicht doch der Keim zu den offensichtlichen, problematischen "theokratischen" Tendenzen in der weiteren Geschichte des Calvinismus?

Die für Calvins Ethik zentrale Aufforderung zur Selbstverleugnung ("abnegatio nostri") wird als "Absage an alle Selbstbespiegelung und das Kreisen um sich selbst" sowie als "Zuwendung zu Gott und zum Nächsten" interpretiert (76). Das mag eine sachgemäße theologische Aktualisierung sein. Der Historiker hat aber darauf hinzuweisen, dass Calvin Selbstverleugnung deutlich härter, platonischer und leibfeindlicher verstanden hat.

Der dritte Teil "Wirkung" bietet knappe Hinweise auf mögliche Einflüsse der Lehren Calvins in den folgenden Jahrhunderten. Sehr weit ausgreifend werden bis hin zur Skizzierung gegenwärtiger medizinethischer Positionen mögliche Nachwirkungen angesprochen. Das geschieht durchgehend mit knappen Bemerkungen, ohne dass zwischen historisch nachweisbaren Zusammenhängen und denkbarer Aktualisierung der Theologie Calvins klar unterschieden wird. Ämterlehre, Abendmahlspraxis, Umgang mit Bildern, Psalmengesang, presbyterial-synodale Ordnung, Kirchenzucht und -ordnung, Stellung zum Widerstandsrecht, positive Bewertung von Wissenschaft und Kunst sowie ökumenisches Potential sind wesentliche Sachverhalte, die hier behandelt werden.

Das Buch bietet einen um die gegenwärtige Relevanz bemühten Einstieg in Calvins Denken und lässt den Reformator selbst ausgiebig zu Wort kommen. Schwerpunkte der Theologie des Genfer Reformators werden knapp skizziert und mithilfe von "Merkkästen" elementarisiert. Nicht geleistet werden Einblicke in kontroverse Debatten um die Interpretation des reformatorischen Werkes Calvins. Auch eine eingehendere historische Kontextualisierung des Reformators, die seine besondere Geschichtsmächtigkeit plausibel machen könnte, erfolgt nicht. Immerhin bleibt das Werk dadurch im Umfang sehr begrenzt.

Christoph Strohm