sehepunkte 11 (2011), Nr. 11

Simon Kempny: Die Staatsfinanzierung nach der Paulskirchenverfassung

Kempny widmet seine Münsteraner rechtswissenschaftliche Dissertation einem bislang wenig beachteten Teilaspekt der Arbeit der deutschen Nationalversammlung von 1848/49 und untersucht systematisch die Genese und die Inhalte derjenigen Bestimmungen der Frankfurter Reichsverfassung, die finanz- und steuerverfassungsrechtliche Relevanz besaßen. Dieses Unternehmen legitimiert Kempny in seiner Einleitung ebenso knapp wie überzeugend: Der "gegenwärtige Stand der Wissenschaft auf dem Gebiet des Finanz- und Steuerverfassungsrechts der Paulskirchenverfassung" sei "eher bescheiden" (5), obschon dieses Themenfeld den Zeitgenossen als überaus wichtig erschienen sei; als Zeugen führt er den früheren preußischen Finanzminister David Hansemann an, der in der Rückschau auf die Revolution die Nichtverwirklichung des "Grundsatzes der gleichmäßigen Besteuerung" für eine ihrer Ursachen hielt (3f.). Über den engeren Rahmen der Revolution hinaus besitzt das Thema jedoch auch Relevanz für die allgemeine Entwicklung des deutschen Finanz- und Steuerverfassungsrechts und gibt mithin auch in dieser Hinsicht Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage, inwiefern mit dem Scheitern der Revolution Modernisierungschancen verpasst worden sind.

Kempny skizziert zunächst die Entstehung der Paulskirchenverfassung und den verfassungsrechtlichen Rahmen seines Untersuchungsgegenstands, unter anderem das Verhältnis zwischen Reichs- und Einzelstaatenrecht sowie die Bedeutung des Grundrechtskatalogs, dessen egalitäre Tendenzen Steuerprivilegien und ungleicher Besteuerung die Rechtsgrundlage entzogen, um anschließend umfassend diejenigen Verfassungsbestimmungen zu erörtern, die Auswirkungen auf das Abgabewesen hatten. Als erstes Hauptthema nimmt er dabei die Steuergesetzgebungshoheit in den Blick, die zu vielfachen Kontroversen Anlass gab, da die Rechte der Paulskirche in dieser Frage - mit guten Gründen - ein Präjudiz für die föderalistische oder zentralistische Prägung der neu zu schaffenden politischen Ordnung in Deutschland erblickte. Erhebliche Widerstände verursachte nicht nur der Anspruch auf Vergemeinschaftlichung der indirekten Steuern, der als Gefährdung der einzelstaatlichen Haushalte betrachtet wurde, sondern auch die als Kardinalproblem wahrgenommene Frage, ob das Reich überhaupt eigene Steuern erheben dürfe. Wie groß diese Widerstände waren, ist noch in der abschließenden Fassung des § 51 der Reichsverfassung zu erkennen, der der Reichsgewalt die Befugnis erteilte, nur "in außerordentlichen Fällen Reichssteuern aufzulegen und zu erheben oder erheben zu lassen" (142).

In den folgenden Kapiteln erörtert Kempny die Probleme, die mit der im Grundsatz anerkannten, aber für die direkte Besteuerung als Ausnahmefall kaschierten Steuergesetzgebungshoheit des Reiches zusammenhingen: ihre Begrenzung durch grundrechtliche Festlegungen, zum Beispiel durch das Verbot der Einführung von Pressesteuern; die Steuerertragshoheit, die in Zusammenhang mit der Verteilung der Zolleinkünfte zwischen Reich und Einzelstaaten strittig war; schließlich die Steuerverwaltungshoheit, bei der die Mehrheit der Paulskirche sich für eine Weiterentwicklung der im Zollverein geltenden Bestimmungen entschied und dem Reich die Option einer eigenen Abgabenverwaltung eröffnete. Weniger breit als die Erörterungen über das Abgabewesen in der Verfassung sind Kempnys abschließende Ausführungen über Staatsfinanzierung und Lastenverteilung (249-282), die einen instruktiven Überblick darüber geben, wie die Frankfurter Nationalversammlung die künftigen Ausgaben des Reiches bestreiten wollte: in erster Linie durch seinen Anteil an den Zolleinkünften, in zweiter Linie durch Reichssteuern und Matrikularbeiträge, das heißt finanziellen Umlagen der Einzelstaaten, sowie in außerordentlichen Fällen durch Schuldenaufnahme.

Da der Frankfurter Reichsverfassung die praktische Erprobung verwehrt blieb, lassen sich über die Wirkungen ihrer weitgehend gestaltungsoffenen Regelungen zu Steuer- und Finanzproblemen nur Spekulationen anstellen. Kempnys plausibel begründete Vermutungen sind, dass es zu einer "gewissen Zentralisierung in der Finanzverfassung gekommen wäre" und dass die Paulskirchenverfassung "die Entwicklung zum Steuerstaat und zur progressiven Einkommenssteuer beschleunigt" hätte (292f.). Auch in seiner Gesamtwertung hebt er das Modernisierungspotential hervor: Das "Finanz- und Steuerverfassungswerk" der Frankfurter Reichsverfassung stellte "ein ausgewogenes, sachgerechtes und zukunftsweisendes Regelwerk dar, für dessen Schaffung den Mitgliedern der Nationalversammlung um so mehr Hochachtung gebührt, als es sich für Deutschland um eine Erstlingstat handelte" (299).

Rezension über:

Simon Kempny: Die Staatsfinanzierung nach der Paulskirchenverfassung. Eine Untersuchung des Finanz- und Steuerverfassungsrechts der Verfassung des deutsches Reiches vom 28. März 1849 (= Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht; Bd. 9), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, XXIII + 372 S., ISBN 978-3-16-150814-1, EUR 79,00

Rezension von:
Frank Engehausen
Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Empfohlene Zitierweise:
Frank Engehausen: Rezension von: Simon Kempny: Die Staatsfinanzierung nach der Paulskirchenverfassung. Eine Untersuchung des Finanz- und Steuerverfassungsrechts der Verfassung des deutsches Reiches vom 28. März 1849, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/11/19908.html


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