Rezension über:

Wolfgang Hage: Das orientalische Christentum (= Die Religionen der Menschheit; Bd. 29,2), Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, 545 S., ISBN 978-3-17-017668-3, EUR 98,00
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Rezension von:
Jens Scheiner
Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Jens Scheiner: Rezension von: Wolfgang Hage: Das orientalische Christentum, Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 12 [15.12.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/12/17968.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 11 (2011), Nr. 12

Wolfgang Hage: Das orientalische Christentum

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Ein Handbuch über das orientalische Christentum, in dem man grundlegende Entwicklungen der ost-christlichen Gemeinden leicht verständlich erklärt, aber dennoch mit wissenschaftlicher Tiefe dargestellt, vorfindet, habe ich mir immer gewünscht. Mit Wolfgang Hages Buch zum orientalischen Christentum liegt nun ein erstklassiges Handbuch zu diesem Thema vor.

Das gesamte Buch ist sowohl auf der Ebene der Abschnitte (A bis G) und der Kapitel (römische Zählung), als auch innerhalb der einzelnen Kapitel so systematisch strukturiert, dass man trotz der Informationsdichte und Vielfalt der zahlreichen christlichen Gruppen und Kirchen immer genau erkennen kann, in welchen Großkontext man die gelesenen Informationen einzuordnen hat. Der Autor beginnt dieses Handbuch damit, dass er die großen Linien (frühes Christentum, christologischer Streit, Christentum unter islamischer Herrschaft, Verhältnis der römisch-katholischen Kirche und der reformierten Kirchen zu den orientalischen Christen), welche allen orientalischen Christen gemeinsam waren, gesondert in einem ersten Teil behandelt (Abschnitt A).

Unter "orientalisch" versteht Wolfgang Hage einen geographischen Raum, der eigens definiert werden muss. Er umfasst den Bereich von Zentralanatolien bis hin zum Kaukasus sowie die zentralen Länder des (heutigen) Nahen Ostens (Syrien, Palästina, Irak, Iran, Ägypten), dehnt sich dann aber weiter nach Süden bis Nubien und Äthiopien und nach Südosten bis auf den indischen Subkontinent aus. "Orientalische Christen" sind somit all jene Christen in diesen Regionen, die in unterschiedlichen ethnischen und sprachlichen Prägungen eigene Konfessionen und Kirchen ausgebildet haben. Die ethnische Breite zeigt sich mitunter daran, dass diese Christen unter anderem Griechen, Syrer, Armenier, Georgier, Araber, "Ägypter", Äthiopier, Perser und Inder sind. Sprachlich dominieren das Griechische, das Syrisch-Aramäische, das Georgische, das Armenische und das Amharische. Letztlich zeigt aber erst die kapitelweise Untergliederung des vorliegenden Werkes den vollen Umfang des Begriffes "orientalisch".

Abschnittsweise stellt der Autor die verschiedenen Kirchen vor. Er beginnt mit den östlich-orthodoxen Kirchen, d.h. mit der alten byzantinischen Reichskirche und deren Patriarchaten in Alexandria, Antiochia und Jerusalem sowie mit der georgisch-orthodoxen Kirche (Abschnitt B). Im Anschluss daran wendet er sich den orientalisch-orthodoxen Kirchen zu, d.h. der syrisch-orthodoxen Kirche, ihrer Schwesterkirche der koptisch-orthodoxen Kirche, der nicht mehr existierenden Kirche in Nubien, der äthiopisch-orthodoxen Kirche, der eritreisch-orthodoxen Kirche, der armenisch-apostolischen Kirche und der untergegangenen Kirche der kaukasischen Albanier (Abschnitt C). In dem folgenden Abschnitt (D) behandelt Hage die apostolische Kirche des Ostens, die früher fälschlicherweise "Nestorianische Kirche" genannt wurde, bevor er die verschiedenen Kirchen der Thomaschristen in Indien beschreibt (Abschnitt E). Zu diesen zählen die syro-malabarische Kirche, die malankarisch-orthodoxe Kirche, die malabarische unabhängige syrische Kirche, die Mar-Thoma-Kirche und die syro-malankarische Kirche. Als nächstes zählt er dann die orientalisch-katholischen Kirchen, das heißt die mit Rom unierten Kirchen im Orient, auf (Abschnitt F), zu denen die maronitisch-katholische Kirche, die chaldäisch-katholische, die syrisch-katholische, die melkitisch-katholische, die armenisch-katholische, die koptisch-katholische, die äthiopisch-katholische Kirche und die katholischen Georgier gehören. Jeder Abschnitt wird vom Autor mit einer Zusammenfassung der einzeln beschriebenen Kirchen in einem kurzen Unterkapitel beendet, indem er über die jeweilige Konfessionsfamilie, deren Umgang untereinander und verschiedene, besondere Aspekte der Familie berichtet. Am Ende des Buches führt er dann all diese Stränge in einem kurzen, letzten Abschnitt (G) unter dem Aspekt der Kooperation in der Ökumene zusammen und schildert die fragile Position einzelner Kirchen im heutigen, islamischen Nahen Osten.

Jede dieser zahlreichen östlichen Kirchen beschreibt der Autor nach einem einleuchtenden und überzeugenden Schema. Zuerst stellt er die Kirchen in ihrer heutigen Verbreitung und Struktur vor. Dann gibt er einen konzisen Überblick über die historische Entwicklung dieser Kirchen von deren Anfängen bis in die heutige Zeit. Als Letztes erläutert er das jeweilige Selbstverständnis der Kirchen und schafft es so das eurozentristische Religionsverständnis aufzubrechen. Auch diese schematische Einteilung, die auf 460 Seiten, bei 23 Kirchen konsequent durchgehalten wird, ist trefflich gewählt und erleichtert das Verständnis und die Vermittlung der vielen Informationen.

Das Handbuch wird durch ein Glossar, eine Liste der Kirchenoberhäupter der jeweiligen Kirchen, ein ausführliches Literaturverzeichnis, in dem man nach Kirche bzw. nach Abschnitten geordnet zahlreiche Hinweise zu weiterführender Lektüre findet, und zwei Registern beschlossen.

Es sind insbesondere zwei Merkmale dieses Buches, die ich abschließend hervorheben möchte. Erstens gelingt es Wolfgang Hage die Inhalte in einer klaren, verständlichen Sprache wiederzugeben, die trotz der Komplexität der Thematik zum Beispiel in der Frage des christologischen Streites zur "Zwei-Naturen-Lehre" und der Dichte der Informationen immer noch leicht lesbar und sehr eingänglich bleiben. Dazu trägt auch das Schriftbild bei, welches ich aus einer ästhetischen Perspektive betrachtet als sehr gut gewählt empfinde. Zweitens zeichnet sich die gesamte Darstellung der Kirchen durch eine sprachliche Präzision in der Benennung der Kirchen, ihrer theologischen Inhalte und Verbindungen zu verwandten Kirchen aus, wie man sie nur sehr selten vorfindet. Bei wem sich bei der Lektüre der einzelnen christlichen Kirchen in Indien in dieser Rezension leichte Verwirrung eingestellt hat, der kann sich vorstellen, wie wichtig eine präzise und zugleich verständliche Sprache für den Leser eines jeden Buches, insbesondere aber eines Handbuches, ist. Wie selbstverständlich löst sich diese leichte Verwirrung nach der Lektüre des Abschnittes in Hages Buch dann auch glücklicherweise vollständig auf.

Zuletzt bleibt zu sagen, dass mit Wolfgang Hages Werk ein Handbuch verfügbar ist, das alle Anforderungen an ein exzellentes Handbuch in höchstem Maße erfüllt. Es werden grundlegende Kenntnisse auf konzise Weise in einer präzisen, aber dennoch gut verständlichen Sprache vermittelt, ohne den eigenen Anspruch an Vollständigkeit aufzugeben. Dieses Buch bietet sich insbesondere dafür an, einen ersten Überblick über eine orientalische Kirche bzw. eines ihrer zentralen Aspekte zu gewinnen. Darüber hinaus bietet es sich aber auch als eine weiterführende Bibliographie an, welche die Vertiefung eines Teilbereichs stark erleichtert. Wer also etwas über die Christen im Orient in Geschichte und Gegenwart erfahren möchte, der greife zu diesem Buch!

Jens Scheiner