Rezension über:

Anna Margarete Schlegelmilch: Die Jugendjahre Karls V. Lebenswelt und Erziehung des burgundischen Prinzen (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 67), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, X + 654 S., ISBN 978-3-412-20525-6, EUR 54,90
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Rezension von:
Alfred Kohler
Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Kohler: Rezension von: Anna Margarete Schlegelmilch: Die Jugendjahre Karls V. Lebenswelt und Erziehung des burgundischen Prinzen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 12 [15.12.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/12/19606.html


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Anna Margarete Schlegelmilch: Die Jugendjahre Karls V.

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Diese umfangreiche Darstellung der ersten 20 Jahre im Leben des späteren Kaisers stößt in eine Lücke; sie steht unter dem Motto "Lebenswelt und Erziehung des burgundischen Prinzen" (Untertitel und zugleich Generalüberschrift nach der Einleitung, 18-587), deren Pendant ein abschließendes Resümee (588-628) ist. Der umfangreiche Mittelteil enthält folgende Abschnitte: I. Frühe Jahre im Bannkreis des burgundischen Hofes und seiner Tradition, II. Die formale (!!!) Erziehung des burgundischen Prinzen, III. Der Prinz in der Sicht seiner Zeitgenossen, und IV. Das Ende einer langen Vormundschaft: Zur Emanzipation des Herzogs von Burgund und ihren Begleitumständen.

Die an der Universität Bremen entstandene Dissertation führt in die grundsätzliche Thematik und in die Einzelphänomene gut ein und vermittelt eine Vielzahl von Kenntnissen; darin liegt ihr Gewinn für den Leser / die Leserin. Leitende Gestaltungsprinzipien sind Narratio und Analyse. Die Narratio ist Stärke und Schwäche der Arbeit zugleich. Auf der einen Seite bekommt der Leser / die Leserin einen instruktiven Einblick in die Details der Kindheit, Jugend, Erziehung und Sozialisation eines frühneuzeitlichen Fürsten, nicht zuletzt durch ausgedehnte Zitate aus den Quellen. Aus der Anwendung dieses Prinzips erklärt sich wohl auch der beträchtliche Umfang der Darstellung der ersten fünf Regierungsjahre Karls V. (1515-1520), die zunächst im familiären Rahmen und erst seit 1517 auch in den Bahnen der internationalen Beziehungen verlaufen sind (vergleiche die so genannte 'Rochade' mit Ferdinand I., seinem jüngeren Bruder, beim Antritt der Herrschaft in den spanischen Königreichen). Die Fülle und Vielfalt der Quellen der mittleren und späten Regierungsjahre Karls V. als Kaiser ist in diesen frühen Jahren noch nicht gegeben.

Die in einem überschaubaren höfischen Milieu verlaufende Entwicklung des jungen Fürsten dokumentiert und interpretiert die Autorin anhand von Quellen verschiedenster Art und Entstehungszeit, etwa von chronikalischen Quellen wie Santa Cruz (1530) und Petrus Martyr (1551) bis Prudencio de Sandoval (1603). Wohl übt die Autorin an Ort und Stelle Quellenkritik, doch hätte sich der Leser / die Leserin auch eine systematische Darlegung der Quellensituation und -problematik erwartet, so wie dies bei der Auswertung der Bilder Karls V. erfolgt (Kapitel III.1, 319-327). Eine Analyse der Problematik der schriftlichen Quellen wäre insbesondere im Umgang mit der Sicht des Prinzen durch seine Zeitgenossen (Kapitel III. 2, 327-355) von großer Wichtigkeit gewesen.

Befremdend ist das Faktum, dass die Autorin keine handschriftlichen Quellen benützt hat und sich nur auf die gedruckten Quellen verließ. Dabei hätte es sich gelohnt, über die seit Jahrzehnten publizierten Editionen hinauszugehen und vor allem in den Archiven in Brüssel, Simancas und Madrid nochmals nach unveröffentlichtem Material zu suchen, auch wenn im Einzelnen wohl wenig zu erwarten ist; aber eine so umfangreiche Dissertation hätte eine solche Quellenrecherche nahegelegt.

Die Autorin setzt sich in lobenswerter Weise intensiv mit der Historiographie auseinander, zitiert aus den einschlägigen älteren und neueren Werken und bietet auf diese Weise einen instruktiven Einblick in die Problematik und komplexe Thematik der Vita Karls V. Hierbei fällt zum Beispiel auf, dass sie stereotyp vom spanischen Standpunkt, der spanischen Perspektive spricht; als erkennbarem Kontrast zu den so genannten mitteleuropäischen Bezügen, die allerdings durch die wohl als westeuropäische Bezüge zu bezeichnenden burgundisch-niederländischen Perspektiven und Interessen zu erweitern und zu differenzieren wären. Es sind die nationalen Historiographien, die ihre Vorläufer im 16. Jahrhundert haben.

Die Hauptthese der Autorin (16f.) hebt vor allem auf die Erzieher Karls aus der Großvätergeneration ab und sieht hierin auch die Ursachen für eine unzureichende Vorbereitung des jungen Mannes auf seine künftige Herrschaft, die über die burgundischen Niederlande weit hinausging. Dem ist zuzustimmen. Die epochale Parallele zum Gegensatz zwischen Mittelalter und Neuzeit trägt allerdings wenig. Vielmehr wird durch die neuere Sichtweise eines 'langen 16. Jahrhunderts', das sozusagen schon im 15. Jahrhundert begann, der angeblich so große Unterschied zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert stark relativiert und nivelliert. Es darf auch bezweifelt werden, "daß das Milieu, in dem der Prinz aufwuchs, die Erziehung, die ihm zuteil wurde, und die Menschen, die ihn begleiteten, wesentlich zur Ausbildung von Zügen und Auffassung beitrugen, die Karl zu einem 'Fremdling in seiner Zeit' und zum 'letzten Kaiser des Mittelalters' werden ließen" (Resümee, 588). Hierbei darf Karl V. als Vertreter der hochentwickelten burgundischen Kultur nicht isoliert gesehen werden, sondern es müsste in einer vergleichenden Studie die Prägung seiner fürstlichen Zeitgenossen untersucht werden. Dann würde sich wohl die Relativierung der Epochengrenze von Mittelalter und Neuzeit bestätigen.

Alfred Kohler