Rezension über:

Thomas Mann: Briefe III 1924-1932. Ausgewählt und herausgegeben von Thomas Sprecher, Hans R. Vager und Cornelia Bernini (= Thomas Mann. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke - Briefe - Tagebücher), Frankfurt a.M.: S. Fischer 2011, 2 Bde., 1535 S., ISBN 978-3-10-048372-0, EUR 95,00
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Rezension von:
Florian Keisinger
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Florian Keisinger: Rezension von: Thomas Mann: Briefe III 1924-1932. Ausgewählt und herausgegeben von Thomas Sprecher, Hans R. Vager und Cornelia Bernini, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/19601.html


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Thomas Mann: Briefe III 1924-1932

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Zu seinem Glück erlebte Thomas Mann das Zeitalter der Email nicht mehr. Klagte er doch schon 1925 in einem Schreiben an den österreichischen Künstler Alfred Kubin über den Zeitdruck, der mit dem "Briefeschreiben heute" verbunden sei. Vorbei, so Mann, seien die Zeiten, als man "noch richtige, lange, betrachtsame Briefe an Freunde" geschrieben habe. Maßgeblich dafür verantwortlich war nicht zuletzt die Effizienz der Deutschen Reichspost. Wer in Frankfurt einen Brief an die Münchner Adresse Thomas Manns aufgab, konnte davon ausgehen, dass dieser das Schreiben bereits am nächsten Tag in seiner Post vorfand. Entsprechend groß war die Erwartung, eine zügige Antwort aus der Feder des Schriftstellers zu erhalten.

Tatsächlich war Thomas Mann zeit seines Lebens ein äußerst gewissenhafter Briefschreiber. Wer sich an ihn wandte, konnte in aller Regel mit einer persönlichen Replik rechnen. Mitunter zum Leidwesen seiner Frau Katia, die ihn bei seiner Korrespondenz unterstützte - Mann diktierte zumeist -, und sich bei Tochter Erika bisweilen über die "immer grässlichere[n] Dimensionen" der nachmittäglichen Briefeschreiberei beklagte.

Für die Nachwelt ist das umfangreiche epistolarische Werk Manns hingegen ein Glücksfall. Das gilt vor allem für die Zeit, aus der keine Tagebücher erhalten sind, sprich: die Jahre vor 1933, abgesehen von der kurzen Spanne zwischen September 1918 und Dezember 1921.

Im Rahmen der monumentalen, auf 38 Bände angelegten "Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe" (GKFA) der Werke Thomas Manns im S. Fischer Verlag sind nun die Briefe der Jahre 1924 bis 1932 erschienen; flankiert wird die Korrespondenz von einem gut 800 Seiten starken Kommentarband der beiden Herausgeber, Thomas Sprecher und Hans Rudolf Vaget, sowie der Mitarbeiterin des Thomas-Mann-Archivs in Zürich, Cornelia Bernini. Ausgewählt wurden 523 Briefe, die, so die Herausgeber in ihrem Vorwort, den erhaltenen Briefbestand weitgehend umfassend wiedergeben, und darüber hinaus "substantielle Aussagen zu Leben, Werk und Zeitgeschichte darstellen". Lediglich rund 200 davon waren bislang im Rahmen einer älteren, von Erika Mann herausgegebenen Edition in Buchform zugänglich.

Wenngleich chronologisch angelegt, lässt sich die Korrespondenz Manns recht trennscharf in drei Kategorien einteilen.

Da ist zum einen der (umfangreiche) Austausch mit ihm gänzlich unbekannten Personen, die ihm - unaufgefordert - ihre Texte zukommen ließen, bzw. anderweitig den Rat des Autors wünschten. Zwar fallen die Antwortschreiben Manns hier meist kurz aus, auf Standardantworten in Form von Textbausteinen verzichtet er jedoch, und es scheint, als habe er sich in vielen Fällen die ihm überlassenen Manuskripte tatsächlich näher angesehen - zumindest lässt der Inhalt mancher Briefe darauf schließen. Dass das mitunter amüsante Züge annehmen konnte, zeigt ein Schreiben an einen Mediziner, der dem Autor im September 1925 sein literarisches Leid geklagt hatte. Mann erinnert den Verzweifelten zunächst daran, dass mit Alfred Döblin "einer unserer ersten Erzähler" ebenfalls Arzt sei, um ihm dann den zwar wenig sensiblen, dafür umso praktischeren Rat zu geben, nach Leipzig, Berlin oder eine andere Stadt zu gehen, um dort - "wenn auch ohne viel äußere Ehre" - dem Arztberuf nachzugehen. Den Gedanken an Selbstmord weist er streng zurück: "Wenn Sie zugrunde gehen, so werden nicht objektiv erdrückende Umstände daran schuld sein, sondern einzig Hypochondrie und Willensschwäche. Ihr Schicksal entscheidet sich in ihnen; mein Reden kann wenig helfen, Sie aber doch vielleicht ein wenig zur Männlichkeit auffordern."

Ein weiterer Teil der Korrespondenz ist dem literarischen Schaffen sowie dem Austausch mit Schriftstellerkollegen im In- und Ausland vorbehalten. Das ist reizvoll, zumal die Jahre 1924 bis 1932 einen Höhepunkt in der literarischen Produktivität Thomas Manns markieren. Der "Zauberberg" war 1924 erschienen, die ersten Bände der monumentalen Joseph-Tetralogie waren in der Entstehung begriffen; daneben entstanden mit "Unordnung und frühes Leid" (1925) und "Mario und der Zauberer" (1930) zwei autobiografische Erzählungen, die sich - anders als der "Zauberberg", bei dem die Vorkriegszeit aus dem Blickwinkel der Nachkriegszeit betrachtet wird - dezidiert mit den gesellschaftlichen Zuständen nach dem Ersten Weltkrieg befassen. Die Korrespondenzpartner dieser Jahre lesen sich im Rückblick wie ein Who-is-Who aus Literatur, Kunst und Wissenschaft der Weimarer Republik (und darüber hinaus), u.a. zählen dazu Martin Buber, André Gide, Elias Canetti, Albert Einstein, Sigmund Freud, Max Brod, Arthur Schnitzler und Arnold Schönberg; hinzu kommt der regelmäßige Austausch mit den Verlegern, allen voran Samuel Fischer und Alfred A. Knopf, sowie alten Bekannten wie Hans Reisiger, Ernst Bertram oder Ida Boy-Ed - und natürlich immer wieder Tochter Erika sowie, wenngleich seltener, Sohn Klaus. Aus literaturgeschichtlichem Blickwinkel lesenswert ist zudem der Austausch mit Gerhart Hauptmann, dem großen Kollegen und zugleich Rivalen, dem Mann im "Zauberberg" in der Gestalt des naiven Lebemanns und Liebhabers Mynheer Peeperkorn ein nicht gerade freundliches Denkmal gesetzt hatte; die Figur war von Mann derart markant gezeichnet worden, dass nicht nur Hauptmann die Boshaftigkeit sofort auffiel (Hauptmanns Exemplar des "Zauberberg" ist erhalten, seine Notizen verdeutlichen, dass er von der Aufmerksamkeit, die ihm der jüngere Kollege hier zuteil werden ließ, alles andere als geschmeichelt war). Dass es dennoch nicht zum Bruch zwischen den beiden kam, verdankte Mann nicht zuletzt einem eindringlichen Schreiben, das er dem "Liebe[n], große[n], verehrte[n] Gerhart Hauptmann" wenige Monate nach Erscheinen des Buches zusandte. Unumwunden räumt er darin ein, "gesündigt" zu haben, fügt jedoch an, dass dies ausschließlich aus "künstlerischer Not" geschehen sei, weswegen er fest mit Vergebung rechne. Tatsächlich scheint Hauptmann ihm die Sache rasch nachgesehen zu haben, zumal er sich wenige Jahre später - mit Erfolg - dafür einsetzte, dass Mann der Nobelpreis zugesprochen wurde.  

Am interessantesten sind die Briefe Manns aber vor allem dann, wenn sie als ein Dokument der Genese des politischen Denkens des Schriftstellers gelesen werden können; die Jahre 1924 bis 1932 sind dafür besonders geeignet. Bereits 1924 befand sich der Verfasser der "Betrachtungen eines Unpolitischen" (1918) im Visier der Republikgegner. Mit seiner Rede "Von deutscher Republik" (1922) und dem Appell an die Jugend, es ihm gleichzutun und die Weimarer Republik zu unterstützen, hatte er sich den unversöhnlichen Hass der völkischen Rechten in Deutschland zugezogen. Das äußerste sich zunächst in Form von Verunglimpfungen durch die Hugenberg- und Cossmann-Presse, später dann auch durch gezielte Störaktionen bei seinen öffentlichen Auftritten. Die "Interessen des Geistes, der Freiheit, der Zukunft", lies er 1932 die Buchhändlerin Ida Herz wissen, verorte er heute eher bei der Arbeiterschaft als beim Bürgertum. Seine eigene politische Überzeugung bezeichnete er als "sozialistisch unter Wahrung des demokratischen Prinzips". Aus seiner Abneigung gegenüber der Hitler-Partei hatte Mann bereits 1923 keinen Hehl gemacht, wenngleich er noch 1932 - wie so viele seiner Zeitgenossen - davon überzeugt war, dass eine mögliche nationalsozialistische Regierung nicht von langer Dauer sein werde. Wie falsch er mit dieser Einschätzung lag, sollte er in den kommenden Jahren schmerzlich erfahren. Thomas Mann und seine Familie verließen Deutschland 1933, sie kehrten bis 1949 nicht mehr dorthin zurück.

In den Briefen der Jahre 1924 bis 1932 erwies sich Mann, etwa im Dialog mit dem liberalen Abgeordneten Theodor Heuss, als gut informierter und hellsichtiger Beobachter des politischen Geschehens, der offen für die Demokratie eintrat. Daran änderte sich auch in den folgenden Jahren nichts; frühzeitig erkannte Mann in Roosevelt den einzig wahren Gegenspieler Hitlers, und wurde, neben Albert Einstein, zur wichtigsten deutschen Stimme im Exil. [1]


Anmerkung:

[1] Hans Rudolf Vaget: Thomas Mann, der Amerikaner. Leben und Werk im amerikanischen Exil, 1938-1952, Frankfurt/M. 2011.

Florian Keisinger