Rezension über:

Thomas Lau: Unruhige Städte. Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt (1648-1806) (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 10), München: Oldenbourg 2012, 156 S., ISBN 978-3-486-70757-1, EUR 24,80
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Rezension von:
Peer Frieß
Zorneding
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Peer Frieß: Rezension von: Thomas Lau: Unruhige Städte. Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt (1648-1806), München: Oldenbourg 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/20858.html


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Thomas Lau: Unruhige Städte

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Die Erforschung der Geschichte der Städte in der Frühen Neuzeit hat sich lange Zeit auf die Untersuchung der aufstrebenden Residenzstädte oder auf die Entwicklung von neuen Sonderformen, wie zum Beispiel Bergstädte, Exulantenstädte oder Festungsstädte, konzentriert. Die Reichsstädte waren zwar noch im Zusammenhang der Reformations- und Konfessionalisierungsforschung von einem gewissen Interesse, für die Zeit nach 1648 spielten sie allerdings kaum mehr eine nennenswerte Rolle. Wenn überhaupt, so wurden sie als Relikte einer vergangenen Epoche wahrgenommen. Dies hat sich in den letzten Jahren erfreulicherweise geändert. Zahlreiche Einzelarbeiten haben unser Bild der Reichsstädte in der Frühen Neuzeit verändert. Die Studie von Thomas Lau gibt diesem Bild dank einer neuen Perspektive zusätzliche Tiefenschärfe.

Im Mittelpunkt seines Interesses steht die Rolle des Reichshofrats in Wien für die Weiterentwicklung reichsstädtischer Konfliktlösungsmechanismen. In einem ersten Kapitel ("Die streitende Stadt", 19-57) erläutert Lau anhand ausgewählter Fallbeispiele die grundlegenden Wechselbeziehungen zwischen Reichsstädten, Reichsorganen und dem regionalen Umfeld vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Souveränitätsdebatte. Als erstes Ergebnis postuliert er eine Homogenisierung reichsstädtischen Konfliktverhaltens, was auf die strukturierende Vorgehensweise des Reichshofrats zurückgeführt wird. Dabei betont Lau zu Recht, dass es sich um eine wechselseitige Beziehung handelte, da die Reichsstädte stets auch auf die Rechtsprechung des Reichshofrats zurückwirkten und damit als "kollektive Akteure im Reichssystem" (50) agierten.

Im zweiten Kapitel ("Streit in der Stadt", 59-108) werden typische Spannungsfelder und die beteiligten Akteure - Juden, Eliten, Zunftbürger, Geistliche und Randgruppen - näher behandelt. Die einzelnen Darstellungen belegen eine beachtliche Dynamik des innerstädtischen Gefüges, in dem es auf Grund der Verfahrenspraxis des Reichshofrats zu signifikanten Gewichtsverlagerungen zugunsten eines juristisch geschulten Verwaltungspersonals gekommen sei.

Im dritten Abschnitt ("Der Streit um die Stadt", 109-126) werden die Reichsstädte als Bühnen symbolischer Politik im Spannungsfeld überregionaler Konflikte in den Blick genommen. Sowohl bei militärischen Auseinandersetzungen als auch im diplomatischen Ringen mit Frankreich, etwa um den Einfluss im Rheingebiet, galt es für den Kaiser, vor Ort Präsenz zu zeigen. Dies gelang, so Lau, unter anderem auch durch das Wirken kaiserlicher Residenten in den Reichsstädten. "[...] sie trugen dazu bei, das Reich als politische Interaktionsgemeinschaft und als gemeinsam imaginiertes Ordnungssystem zu stabilisieren" (126).

Die Entwicklung der Reichsstädte im Alten Reich aus der Perspektive Wiens zu betrachten, erweist sich demnach grundsätzlich als durchaus ertragreich. Wenn man sich allerdings auf diese Sichtweise beschränkt, wie es hier weitgehend geschehen ist, dann läuft man Gefahr, wesentliche Aspekte aus dem Blick zu verlieren. So waren die kaiserlichen Kommissionen keineswegs ausschließlich Instrumente zur Stärkung des kaiserlichen Einflusses im Reich. Sie wurden ebenso von den lokalen Mächten, wie etwa den Herzögen von Württemberg, zur Ausweitung ihrer regionalen Position genutzt. Ein zweiter Aspekt ist die Beharrungskraft spätmittelalterlicher Wertmaßstäbe. Trotz der zunehmenden Orientierung der reichsstädtischen Räte an den Impulsen aus Wien blieb das Ideal des "Gemeinen Nutzens" auch im 18. Jahrhundert noch lebendig und wurde im Konfliktfall von oppositionellen Gruppen aktiviert. Zahlreiche Unruhen in frühneuzeitlichen Reichsstädten, zum Beispiel in Wangen 1678, 1690-1692, 1705, 1717, in Memmingen 1704/05 oder in Biberach 1677, 1704-1707 sind im Übrigen nur dann ganz zu verstehen, wenn man neben dem Eingreifen kaiserlicher Kommissare auch die Rolle von Bürgerausschüssen im Inneren und die Schlichtungsbemühungen benachbarter Reichsstädte mit berücksichtigt. Damit soll die These von der harmonisierenden und strukturierenden Wirkung des Reichshofrats nicht negiert, wohl aber etwas relativiert werden.

Mit der Auswahl der Fallbeispiele deckt Lau nahezu den gesamten Raum der Verbreitung von Reichsstädten im Alten Reich ab. Auch die sonst gerne vergessene "Dekapolis" der elsässischen Reichsstädte (41-43) wird berücksichtigt und zutreffend als Beispiel für die schwindende Wirksamkeit älterer Formen reichsstädtischer Kooperation behandelt. Nur die Wahl von Bad Buchau als Exempel für die Behandlung der zwischen jüdischen und nichtjüdischen Einwohnern auftretenden Konflikte überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass die Juden aus den oberdeutschen Reichsstädten um 1500 fast vollständig vertrieben worden waren, die Situation in Bad Buchau also ausgesprochen ungewöhnlich war, entzündete sich der mehrfach zitierte, in seinem durchaus spektakulären Ablauf aber nicht näher erläuterte Konflikt zwischen Rat und Bürgerschaft im Jahre 1748 (28, 32, 64, 68, 70, 79) eben gerade nicht an antijüdischen Spannungen, sondern - ganz typisch für die Zeit - an der Aufdeckung angeblicher Unstimmigkeiten in der Stadtrechnung. [1]

Der Zielsetzung der Publikationsreihe entsprechend legt Thomas Lau insgesamt gesehen eine gut verständliche Zusammenfassung vielfältiger, wenn auch nicht aller relevanten Forschungsergebnisse vor, die fachübergreifende Zusammenhänge deutlich werden lässt und zentrale wissenschaftliche Kontroversen knapp, aber treffend präsentiert. Der besondere Wert liegt darin, dass es ihm gelingt, die Reichsstädte als Räume dynamischer politischer und gesellschaftlicher Prozesse im Alten Reich ins richtige Licht zu rücken. Leider verschonte der Fehlerteufel auch die Publikation eines ausgesprochen versierten Verlages nicht, worauf an dieser Stelle der Vollständigkeit halber kurz hingewiesen sei, zum Beispiel 115, Anm. 32, Zeile 3 "zu verhindern" (nicht "zu erreichen"); 138 "Hauptmeyer, Carl-Hans" (nicht "Carl-Christian").


Anmerkung:

[1] Urs Hafner: Republiken im Konflikt. Schwäbische Reichsstädte und bürgerliche Politik in der frühen Neuzeit, Tübingen 2001, 130-145.

Peer Frieß