Rezension über:

Ian S. Moyer: Egypt and the Limits of Hellenism, Cambridge: Cambridge University Press 2011, X + 347 S., 2 Kt., ISBN 978-0-521-76551-0, GBP 65,00
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Rezension von:
Stefan Pfeiffer
Technische Universität, Chemnitz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Pfeiffer: Rezension von: Ian S. Moyer: Egypt and the Limits of Hellenism, Cambridge: Cambridge University Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/20684.html


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Ian S. Moyer: Egypt and the Limits of Hellenism

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In der angezeigten Monographie beschäftigt sich Ian S. Moyer mit ägyptischem Priesterwissen und dessen Einwirkung auf Griechen in einer longue durée von über einem halben Jahrtausend. Gegliedert ist die Arbeit in vier jeweils eigenständige thematische Studien. Die erste hat Herodot zum Thema, die zweite den ägyptischen Priester Manetho von Sebennytos, die dritte behandelt die große Sarapis-Aretalogie von Delos und die vierte den griechischen Arzt Thessalos von Tralles. Eingerahmt werden diese Studien von einer ausführlichen thematisch-theoretischen Hinführung und einem etwas zu kurzen Epilog. Sehr erfreulich ist, dass Moyer zu jeder Studie eine ausführliche Einleitung mit seinen Fragestellungen ebenso wie zu den zu erwartenden Ergebnissen gibt und Letztere am Ende jeweils zusammengefasst werden. Die ersten beiden Studien passen ausgezeichnet zusammen, berichten sie doch aus der griechischen (Herodot) und der ägyptischen (Manetho) Perspektive über das Bemühen, ägyptische Vorstellungen in das griechische Denken einzuführen. Auch betreffen die ersten beiden Studien zwei literarische Texte, die in einem entsprechenden Diskurs zu verorten sind, denn in der Interpretation Moyers ist das Werk des Manetho eine Antwort auf Herodot und falsche Vorstellungen von der ägyptischen Chronologie. Das ganze setzt sich stringent in der vierten Studie zu Theasslos fort, der als Nichtägypter eine ägyptische invented tradition in die griechisch-römische Welt einführt. Die dritte Studie hingegen zur Sarapis-Aretalogie von Delos fügt sich nicht ganz so einfach in dieses Bild. Gemeinsam mit den anderen drei Studien hat sie aber die Thematik "Ägyptische Priester" in Auseinandersetzung mit griechischer Kultur und Bildung.

Kurz sei auf einige Aspekte der überaus inhaltsreichen und die Literatur reichhaltig, aber nicht immer erschöpfend rezipierenden Studien eingegangen. [1] Moyer ist der Ansicht, dass die Vorstellungen ägyptischer Priester einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Herodots Konzept von Vergangenheit ausgeübt hatten. Er habe das ägyptische Zeitverständnis genutzt, um griechische mythische und genealogische Vorstellungen zu kritisieren. Ansichten von Hartog u.a., nach denen Herodots Beschreibungen im Grunde genommen allein etwas über das griechische Selbstverständnis zu erkennen geben, hält Moyer einen dialogischen Ansatz entgegen, nach dem Herodot tatsächlich die indigenen Einstellungen zur Vergangenheit referiere (51, Anm. 30).

Die zweite Studie zu Manetho richtet sich gegen die Ansicht der Forschung, dass dessen ägyptische Geschichte nach griechischen Vorbildern strukturiert sei. Moyer möchte nachweisen, dass Manetho seine ägyptische Geschichte nach dem Muster einer ägyptischen Königsliste strukturiert und die Erzählstrategie ägyptischer Texte mit ihrem Königsideal aufgegriffen habe. Manetho biete "a critical, counter-discursive response, as an attempt to "write back" to Greek historical representations." (113).

Die delische Sarapis-Aretalogie (IG XI 4, 1299) besteht aus zwei Teilen, die einmal in Prosa und einmal im Versmaß über dasselbe Geschehen berichten: verschiedene Traumoffenbarungen des Sarapis, die Gründung eines Sarapis-Heiligtums sowie ein hierüber ausgetragener Rechtsstreit. Überzeugend ist die Feststellung, dass der Hymnus mit seiner homerischen Sprache intertextuell auf die Odyssee anspielt. So wird der Konflikt um den Sarapis-Tempel mit den Taten des Odysseus verglichen, Delos zu einem mythischen Ithaka. Wenig wahrscheinlich, im Sinne der Parsimonie wohl auszuschließen, ist hingegen der Vergleich des Rechtsstreits mit dem mythischen Streit zwischen Horus (= Apollonios) und Seth (= Gegner des Apollonios) als eine "metanarrative". Die Säule wurde zudem sicher nicht als Textträger gewählt, weil sie an einen Djed-Pfeiler erinnert.

Moyer bietet auch eine Neuinterpretation des archäologischen Befundes und der Frage nach dem konkreten historischen Kontext der Inschrift. Alle drei Serapeen auf der Insel seien ungefähr zeitgleich errichtet worden. Der in der Inschrift erwähnte Rechtsstreit beziehe sich deshalb auf einen Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen unter den Sarapis-Anhängern der Insel. So habe der Text also nicht, wie bisher angenommen, eine externe, sondern eine interne Ausrichtung.

Die letzte Studie beschäftigt sich mit einer Thessalos von Tralles zugeschriebenen Abhandlung über astrologische Heilkräuter (De virtutibus herbarum), die häufig in die Spätantike datiert wird. Im Prooem berichtet der Verfasser über seinen Aufenthalt in Ägypten und wie er unter Mithilfe eines ägyptischen Priesters in Theben eine Offenbarung durch Asklepios erhielt. Moyer datiert den Text auf die Zeit zwischen 100 und 150 n. Chr. (Appendix III). Thessalos habe nicht nur den Anspruch erhoben, sein Wissen durch einen ägyptischen Priester erhalten zu haben, sondern sich selbst zu einem ägyptischen Priester gemacht. Es sei schließlich zu bedenken, dass im Thessalos-Manuskript Pharao Necho (26. Dynastie) Erwähnung findet. Üblicherweise erscheint Necho in der späten ägyptischen Tradition gemeinsam mit dem weisen Priester Petosiris, der ihn unvollständig mit den Geheimnissen der Astrologie vertraut gemacht habe. Da Thessalos diesen Petosiris aber nicht erwähnt, sehe sich Thessalos selbst in dessen Funktion. Und indem Thessalos den Kaiser anspreche, trete wiederum der Kaiser in die Position des Pharaos. Auf diese Weise würde die bisher unvollendete Offenbarung an Necho in ihrer vollständigen Vermittlung an den Kaiser vollendet. Auch hier scheint dem Rezensenten die Interpretation etwas über das vom Text gegebene Maß hinauszugehen. Es handelt sich bei dem Traktat aber sicherlich, und darin liegt die Leistung Moyers, nicht um eine Vorspiegelung ägyptischer Traditionen, sondern um eine tatsächliche Übernahme von ägyptischen Vorstellungen, die sich in der graeko-ägyptischen Literatur ptolemäischer Zeit entwickelt haben.

Festzuhalten bleibt, dass es Moyer in seinen vier Studien darum ging, den Dialog zwischen Griechen und Ägyptern herauszuarbeiten, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf die aktive Rolle von Ägyptern und das Einwirken ägyptischer Vorstellungen auf die griechischen Rezipientenkreise gelegt hat. Im ersten und vierten Fall betrachtet Moyer den Umgang von Griechen mit ägyptischem Denken. Diese beiden über ein halbes Jahrtausend auseinanderliegenden Beispiele rahmen zwei ägyptische Priester des frühen Hellenismus in ihrer Auseinandersetzung und ihrem Dialog mit griechischer Kultur. Zweimal ist also der Blick gerichtet auf griechische Rezeption und Aneignung ägyptischer Vorstellungen und zweimal der Blick auf die Fähigkeit von Ägyptern, ihre Vorstellungen auf griechische Art und Weise ihren Rezipienten zu vermitteln. Moyer hat damit eine eindrucksvolle und innovative Monographie vorlegt, die auch in ihren zahlreichen Details vielfältig Neues bietet.


Anmerkung:

[1] Es fehlt insbesondere deutschsprachige Literatur: zu Herodot etwa R. Bichler: Herodots Welt, Berlin 2000; zu Sarapis M. Bommas: Heiligtum und Mysterium. Griechenland und seine yptischen Gottheiten, Mainz 2005; zum Kontext des Theassalos A. Jördens: Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti, Stuttgart 2009.

Stefan Pfeiffer