Rezension über:

Karl Schütz: Das Interieur in der Malerei, München: Hirmer 2009, 384 S., ISBN 978-3-7774-4405-5, EUR 138,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Andreas Baumerich
Stadtmuseum, Euskirchen
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Baumerich: Rezension von: Karl Schütz: Das Interieur in der Malerei, München: Hirmer 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/05/17610.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Karl Schütz: Das Interieur in der Malerei

Textgröße: A A A

Karl Schütz, wissenschaftlicher Leiter der Gemäldegalerie des kunsthistorischen Museums in Wien, hat mit seinem reich ausgestatteten Buch ein hervorragendes Überblickswerk zur Geschichte der Interieurmalerei verfasst: Die Vorläufer in der Antike, die mittelalterlichen Autorenbilder, frühniederländische Interieurmalerei, italienische Interieurs der Hochrenaissance und des Manierismus. Das umfangreichste Kapitel ist dem holländischen Interieur des 17. Jahrhunderts gewidmet. Hier liegt der Forschungsschwerpunkt des Autors. Danach folgen Kapitel zum 18. Jahrhundert, dem 19. Jahrhundert mit seiner Kultur der Heimeligkeit und abschließend zum Interieur des 20. Jahrhunderts. Das Buch selbst gehört zu einer Reihe des Hirmer-Verlags, die den verschiedenen Gattungen in der Malerei gewidmet ist. Damit wird die Möglichkeit gegeben, Malereigeschichte als Gattungsgeschichte zu erfahren.

Der Literaturteil mit einer Fülle von älteren aber auch aktuellen Publikationen weist auf die Bedeutung hin, die dem Interieur in der kunsthistorischen Forschung zukommt. Hier zeigt sich in den letzten Jahren auch eine psychologische Sichtweise, die in verschiedenen Ausstellungen zu bemerken war.

In der Einleitung bietet der Autor eine Definition des Interieurs, bei der zunächst die Wände den Raum definieren, der als Handlungsraum die Wandöffnungen benötigt. Spiegel ermöglichen weitere Reflexionen - sowohl buchstäbliche als auch solche im übertragenen Sinne.

Als Gattung löst sich das Interieur aus der religiösen Historie, aber behält weiterhin oft Verbindungen zu Portrait oder Genre. Seit seiner Blüte im Holland des 17. Jahrhunderts ist es mit der nordischen Malerei verbunden. Mit der Reflexion der Künstler über ihre Arbeit wird das Atelier-Interieur als Motiv für das programmatische Selbstverständnis genutzt.

Nach einem kurzen Überblick über Ansätze zum Interieur in der antiken Wand- und der mittelalterlichen Buchmalerei wendet sich Karl Schütz in umfangreicherer Weise Giotto zu. Aber erst Masaccios zentralperspektivisch angelegte "Trinität" (um 1426) stellt dann Raum und Personen mit überzeugender Illusion dar. Bei Jan van Eyck verbindet sich das Raumbild mit der Brillanz der Ölmalerei und ihren virtuosen Oberflächeneffekten. Der Spiegel in seiner "Arnolfinihochzeit" (1434) macht die Einbeziehung des Betrachters als Teil des Interieurs deutlich. Das Interieur der italienischen Renaissance sieht der Autor als reine Architekturdarstellung wie etwa bei Leonardos "Letztem Abendmahl" (um 1495/98).

Im 16. Jahrhundert findet sich gegenüber dieser nüchternen Raumdarstellung - befördert durch deren Realitätssinn bei den Niederländern - eine reiche Darstellungswelt des irdischen Lebens. Für die Bilder Pieter Breugel d.Ä. - wie "Bauernhochzeit" (um 1568) - betont Schütz deren sachliche Schilderung, die beispielsweise den Bauern nicht verspottet.

In der holländischen Malerei sind die meisten Interieurdarstellungen des 17. Jahrhunderts dem Genre zuzuordnen, wobei Schütz deren symbolische und moralische Bedeutung betont. Neben dem in allen Gattungen arbeitenden Rembrandt sind hier eigene Kapitel Jan Steen sowie Pieter de Hooch und Jan Vermeer gewidmet. De Hooch bietet seinen Protagonisten stimmungsvolle, behagliche Räume, die den Blick des Betrachters auch in die angrenzenden Räume mit wechselnder Lichtsituation schweifen lassen. Dagegen zeigt Vermeer meist beschränkte Raumausschnitte mit großer illusionistischer Überzeugungskraft. Licht und Schatten werden durch einen punktartigen Farbauftrag zu "ungeahnten Valeurs gesteigert." (199) Vermeers wenige Themenkomplexe verweisen auf die Kraft der Liebe, aber auch auf die Vanitasthematik.

Für die Malerei des Rokoko betont Schütz den Verstoß gegen die Regeln der Akademien durch das Capriccio und die Parodie. Das Gemälde Watteaus "Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint" (1721) steht für den Epochenwechsel. Hier wird das Porträt des verstorbenen, gestrengen Sonnenkönigs als Kommentar dazu weggepackt. Den neuen Geist erfasst Boucher mit seiner erotisch-eleganten "La toilette" (1742). Chardins einfache häusliche Genreszenen stehen dagegen in der schlichteren holländischen Tradition. Für den satirisch-polemischen Geist steht Hogarth, der mit seiner Serie "Marriage à la Mode" (um 1743) erstmals eine Satire auf die höheren Stände lieferte.

Die neue Bedeutung des Wohnens im 19. Jahrhundert zeigt sich in den Interieurs des Biedermeier. Friedrichs Fensterbilder seines Ateliers (1805/06) verweisen auf dessen asketische Einstellung und Tendenz, alltägliche Momente allegorisch aufzuladen. Bei Kerstings im Lichtkegel einer Lampe nähenden Frau (1825) verbindet sich Friedrichs Formenstrenge mit einer traulichen Stimmung. In den seit 1815 beliebten Zimmerbildern werden die aktuellen Zustände der schlichten bürgerlichen und luxuriösen aristokratischen Wohnungen für die Nachwelt teils akribisch dokumentiert. Dagegen hält Menzel mit seinem "Eisenwalzwerk" (1872-75) die moderne Arbeitswelt in nüchterner Genauigkeit fest. Bei Caillebottes "Fußbodenschleifern" (1875) ist dann die Welt der Arbeit - ganz im Sinne seiner Freunde aus dem Impressionismus - Basis für die Darstellung der Lichtreflexe auf dem Parkett.

Van Goghs "Schlafzimmer in Arles" steht für Ruhe und Rückzug, während das "Nachtcafé" (beide 1888) als Gegenstück Einsamkeit und Verzweiflung vergegenwärtigt. Die Farbwahl wird dabei subjektiv zeichenhaft eingesetzt. Die persönliche Stimmung wird zusätzlich vermittels der beschleunigten Perspektive mit nahem Fluchtpunkt zum Ausdruck gebracht. Das Unheimliche in den Interieurs des 19. Jahrhunderts zeigt sodann u.a. Munchs "Nacht in St. Cloud" (1890). Hierbei weist Schütz auf die Gefahren einer simplifizierenden biografischen Interpretation hin.

Matisses "Harmonie in Rot" (1908) steht für die Abkehr von der räumlichen Illusion um 1900 hin zur reinen Farbe, Fläche und Ausdruck. Dominiert wird der perspektivlose Raum von einer durchgehenden Arabeske, die den Einfluss islamischer Kunst auf die Künstler um 1900 zeigt. Bei Braque und Picasso werden Raum und Gegenstände dagegen mehransichtig in ihre Grundformen zerlegt.

Abschließend behandelt Schütz die Tradition des Gegenständlichen in der Kunst der Moderne. Magritte bietet in diesem Rahmen die Kombination aus einer klassischen Malweise mit einem in sich widersprüchlichen Inhalt an. Im Zusammenhang mit Richard Hamiltons berühmter Collage "Just what is it?..." (1956), einer Inkunabel der Pop Art, verweist Schütz Gramaccini folgend auf die Möglichkeit einer Anspielung auf van Eycks "Arnolfinihochzeit" (1434), indem der Künstler den Zeugnischarakter in den Gegenständen des Interieurs aufruft. Hier stehen sie für "Errungenschaften und Konsequenzen der Moderne" (364). Seit den 1960er-Jahren hält in die deutsche Interieurmalerei der Gegenwart die Dimension des Geschichtlichen Einzug. Kiefers "Sulamith" (1983) weckt mit einem Gewölberaum sowohl Assoziationen an NS-Soldatenehrenmale als auch die Öfen in Auschwitz, wobei ein siebenarmiger Leuchter den Hintergrund erhellt.

Das Buch verbindet auf gelungene Weise qualitativ hochwertige Abbildungen mit einem gut lesbaren Text. Einen besonderen Stellenwert und Reiz haben dabei die sehr guten Bildbeschreibungen. Sie ermöglichen es, dem Leser das Bild mit einem nachdrücklicheren Blick zu betrachten und zu analysieren. Gerade die Gattung des Interieurs erzwingt ein intensives Schauen, zu dem die Texte in hervorragender Weise hinleiten. Damit wird ein Basiselement kunstgeschichtlicher Forschung gegeben, das bei wissenschaftlich ambitionierteren Werken bedauerlicherweise oft fehlt.

Nach einer prägnanten Einleitung in die einzelnen Kapitel steht die Reihung der Bildbeschreibungen allerdings meist ohne stärker verbindenden Text hintereinander. Auch am Ende der Kapitel fehlen Schlussbemerkungen, sodass das nächste jeweils unvermittelt folgt. Eine Einordnung in das Forschungsgeschehen wird nur ansatzweise geliefert, was für den wissenschaftlichen Leser sicher ein Manko ist. Es bleibt trotz der sehr guten Darstellung für den Kenner beim Bekannten. Als Nachschlagewerk zu den Bildern ist es mit seinen Bildbeschreibungen und den sehr guten Abbildungen hervorragend geeignet. Dem Laien dagegen wird eine spannende und gut geschriebene Darstellung geboten, die einen sehr guten Überblick der Entwicklung des Interieurs bietet.

Das Buch ist ein visueller und inhaltlicher Genuss. Es bietet einen sehr guten Überblick sowie eine gelungene Annäherung an die Bilder und die Geschichte des Interieurs. Der wissenschaftlich Interessierte wird neben den Bildbeschreibungen am ehesten noch den Literaturteil zu schätzen wissen, wenn auch im Text selber Forschungsstand und aktuelle Tendenzen in der Forschung meist nicht erkennbar werden.

Andreas Baumerich