Rezension über:

Wolfgang Sofsky: Todesarten. Über Bilder der Gewalt, Berlin: Matthes & Seitz 2011, 271 S., ISBN 978-3-88221-557-1, EUR 29,90
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Rezension von:
Andreas Plackinger
München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Plackinger: Rezension von: Wolfgang Sofsky: Todesarten. Über Bilder der Gewalt, Berlin: Matthes & Seitz 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/05/21554.html


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Wolfgang Sofsky: Todesarten. Über Bilder der Gewalt

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Auf das Verhältnis von Kunst und Gewalt wird in der kunsthistorischen Forschung gelegentlich angespielt, einer ernsthaften Reflexion wird dieser Konnex jedoch kaum unterzogen. Und wenn, dann meist nicht mit Blick auf die künstlerische Produktion der frühen Neuzeit, sondern in Bezug auf zeitgenössische Kunst. [1] Nimmt man Wolfgang Sofskys Buch Todesarten. Über Bilder der Gewalt zur Hand, so glaubt man als unbedarfter Leser zunächst, dass genau dieses Forschungsdesiderat angegangen worden sei. Schließlich sind auf dem Schutzumschlag Details aus Gemälden von Baldung Grien, Caravaggio und Rubens abgebildet. Die dem Text vorangestellten Zitate von Theodore Géricault und Francis Bacon machen jedoch deutlich, dass ein zeitlich breiter angelegtes Panorama in Todesarten anvisiert wird.

Der Untertitel Über Bilder der Gewalt verheißt Überlegungen, die über einen eng gefassten Kunstbegriff hinausgehen und das Bild als visuelles Artefakt in einen erweiterten Betrachtungshorizont stellen, im Sinne eines von Gottfried Boehm, Hans Belting, Horst Bredekamp und anderen entwickelten bildwissenschaftlichen Ansatzes. [2] Doch derartige, durch Titel und Umschlaggestaltung geweckte Erwartungen erfüllt das Buch keineswegs. Wolfgang Sofsky, ehemaliger Professor für Soziologie und Preisträger des Geschwister-Scholl-Preises für sein Buch Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager verfolgt mit Todesarten. Über Bilder der Gewalt denn auch nicht die Absicht, eine wissenschaftliche, historisch oder systematisch argumentierende Arbeit zu liefern. [3] Vielmehr handelt es sich um ein stark assoziatives und dadurch sehr persönliches Buch mit essayistischem Anspruch.

Zwei Kernthesen liegen Todesarten zu Grunde:
1. Gewalt und Gewalt ins Bild zu bringen, müssen als anthropologische Konstanten betrachtet werden. Sofskys Grundidee von Gewalt als einer der "mißlichen Neigungen der Spezies" (15) findet ihren Niederschlag bereits im zeitlichen und medialen Spektrum, das von den behandelten Bildbeispielen abgedeckt wird: von Höhlenmalereien aus Lascaux (25-35) bis zur Fotografie einer Straßenexekution 1996 in Monrovia (243-248).
2. Es besteht ein eklatanter Unterschied zwischen Gewaltbildern und Gewalt. Der Differenzcharakter, der durch das Medium entsteht, bleibt laut Sofsky unhintergehbar. "Bilder der Gewalt sind niemals Gewalt selbst. Solange der Betrachter der Realität entrückt ist, kann er Bilder des Schreckens goutieren, die Schönheit des Furchtbaren genießen, sich den Ekstasen der Gewalt hingeben, mit dem Grauen sympathisieren" (18).

Nun ist letztere Position keineswegs neu, sondern ließe sich etwa in Aristoteles' Poetik oder Edmund Burkes On the Sublime finden. [4] Sofsky wendet sich auf der Basis des Differenzcharakters des Bildes gegen den "öffentlichen Exorzismus" (15), also die Tabuisierung von Bildern der Gewalt. Die Angst vor ihnen beruhe auf einer Fiktion, denn "Bilder entmachten die Gewalt, rauben ihr die sinnliche Substanz und überwältigende Kraft. [...] Bildlichkeit trennt die Sichtbarkeit eines Sachverhalts von der materiellen Anwesenheit der Tatsache" (18). Fragen nach eben der Kraft der Bilder, wie sie David Freedbergs The Power of Images, Louis Marins Des Pouvoirs de l'image und neuerdings Horst Bredekamps Theorie des Bildakts diskutieren, bleiben damit unberücksichtigt. [5] Und das, obwohl gerade im hybriden Status des Bildes zwischen Präsenz und Absenz die besondere Brisanz des Gewaltbildes zu liegen scheint, wie Peter Sloterdijk erläutert hat, indem er darauf hinwies, dass die visuelle Verdoppelung der Gewalt durch die Wiedergabe im Bild deren Macht potenziert und medial verlängert. [6]

Aktuelle und ältere Beiträge zur Frage nach dem Status des Bildes (selbst wenn man deren Schlussfolgerungen nicht teilt) stillschweigend zu übergehen, stellt für ein Buch mit dem Untertitel Über Bilder der Gewalt zweifellos ein Defizit dar. Rein methodisch lässt sich Todesarten am ehesten unter dem Schlagwort 'Phänomenologie' fassen. Ausgehend von Bildbeschreibungen werden unterschiedliche Erscheinungsformen von 'Gewalt' vorgestellt. Dem entspricht eine Einteilung von Todesarten in die sechs Hauptkapitel I. Tiere und Menschen. II. Menschenopfer. III. Qualen und Strafen. IV. Freitod. V. Mord und Kampf. VI. Krieg. Diese Vorgehensweise hat Sofsky bereits in seinem Buch Traktat über die Gewalt durchexerziert, dort waren es allerdings Situationsschilderungen oder Paraphrasen von literarischen und historischen Quellentexten, die als Ausgangspunkt und Leitmotiv zum Aufzeigen verschiedener Aspekte von Gewalt dienten. [7]

Weiterhin fällt auf, dass der Soziologe Sofsky keinesfalls versucht, zur Klärung des facettenreichen und in den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften diskutierten Begriffs 'Gewalt' beizutragen. [8] Angesichts einer Vielzahl von Gewaltkonzepten in unterschiedlichen Disziplinen - man denke nur an Galtungs strukturelle Gewalt oder Bourdieus symbolische Gewalt - bleibt 'Gewalt' in Todesarten eine intuitiv gebrauchte, vage Vokabel. [9] Die Auffassung dessen, was 'Gewalt' ist, unterliegt aber zweifellos wie fast jedes Konzept einem historischen Wandel. [10] Diese kulturhistorische oder diskursive Kontextualisierung fehlt in Todesarten jedoch völlig. So ist es fraglich, ob der quattrocenteske Betrachter von Uccellos Georg als Drachentöter (49-58) den im Bild gezeigten Vorgang als Akt der Gewalt begriffen hätte.

Ob der literarische Duktus (Todesarten wurde bereits als "ein Buch von erlesener Sprache" gelobt) die erwähnten Mängel aufwiegt, muss jeder Leser selbst entscheiden. [11] Die Bildbetrachtungen besitzen einen subjektiv-narrativen Charakter, der einer präzisen Erfassung des visuellen Materials zuweilen entgegen steht. So beginnt der Abschnitt zu Donatellos Abraham und Isaak beispielsweise mit den Worten "Schweigend stiegen sie hinauf" (71) und zu Otto Dix' Flandern heißt es einleitend: "Der Morgen kommt lautlos" (223).

Überraschend an einem Buch, das eine Annäherung an Bilder verspricht, ist die Tatsache, dass sich der Leser häufig mit Abbildungen konfrontiert sieht, die entweder ein hohes Maß an Unschärfe oder eine mit bloßem Auge erkennbare Pixel-Struktur aufweisen. Dieses Manko ist symptomatisch für den Umgang, den das Phänomen 'Bild' in Todesarten erfährt.

Abschließend stellt sich die Frage, WER aus diesem Buch, das man laut FAZ-Rezensent Lorenz Jäger "nur einem eminenten Kenner oder einem Kunsthistoriker vom Fach zugetraut hätte", etwas ziehen kann und vor allem WAS? [12] Der Kunsthistoriker oder Kulturwissenschaftler scheidet zumindest als möglicher Kandidat aus, da das kulturelle Artefakt/Bild in Todesarten lediglich Anlass liefert für eine freie Assoziationstätigkeit ohne Denkanstöße, die über das hinausgehen, was bereits im Traktat über die Gewalt zu finden ist. Der Einbau des Mediums Bild in das Nachdenken über Gewalt fördert hier keinen Mehrwert zu Tage: das Bild ist Vorwand, nicht Gegenstand des Buches. Dabei wären durchaus spannende Fragehorizonte denkbar gewesen, z.B. zu welchem Zweck (Kunst)Bilder auf Gewalt rekurrieren, in wie weit dadurch eine Reflexion des Mediums stattfindet, welche diskursiven und medialen Bedingungen die Wahrnehmung von Gewalt im Bereich der Bildkünste konditionieren. Die Chance der Gattung Essay Forschungsmeinungen zu einer pointierten Synthese zusammenzuführen oder bisher kaum gestellte Fragen ohne wissenschaftlichen Ballast zu durchdenken, wurde mit Todesarten nicht wahrgenommen.

Im Zusammenhang mit Todesarten von einem "'iconic turn' der Kulturwissenschaften" zu sprechen, ist jedenfalls nicht haltbar. [13] Vielmehr erweist sich einmal mehr die Bedeutsamkeit der Disziplin Kunstgeschichte/ Kunstwissenschaft in ihrer Aufgabe, Bilder und die Analysemethode Bildbeschreibung ernst zu nehmen, zu stärken und damit zu verhindern, dass sie als bloßes Beiwerk in der Grauzone zwischen Assoziation und Wissenschaft jeglichen Aussagewert verlieren.


Anmerkungen:

[1] Eine Ausnahme bietet Horst Bredekamp: Der Künstler als Verbrecher. Ein Element der frühmodernen Rechts- und Staatstheorie, München 2008.

[2] Vgl. Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild?, München 1995; Hans Belting: Bild-Anthropologie, München 2001; Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, Berlin 2010.

[3] Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager, Frankfurt 1993.

[4] Arist. poet. 4, 1448b. Edmund Burke: A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful [1757], hg. von James T. Boulton, London 1958, 44f. (Part I, Section XIII).

[5] David Freedberg: The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago u.a. 1991; Louis Marin: Des pouvoirs de l'image. Gloses, Paris 1993; Bredekamp wie Anm. 2.

[6] Peter Sloterdijk: Bilder der Gewalt - Gewalt der Bilder. Von der antiken Mythologie zur Postmodernen Bilderindustrie, in: Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder, hg. von Hubert Burda / Christa Maar, Köln 2004.

[7] Wolfgang Sofsky: Traktat über die Gewalt, Frankfurt 1996.

[8] Frédéric Chauvaud (éd.): La dynamique de la Violence. Approches pluridisciplinaires, Rennes 2010; Willem Schinkel: Aspects of Violence. A Critical Theory, New York 2010.

[9] Johan Galtung: Violence, Peace and Peace Research, in: Journal of Peace Research 6 (1969), 3, 167-191; Pierre Bourdieu / Jean-Claude Passeron: Grundlagen der Theorie einer symbolischen Gewalt, Frankfurt 1973.

[10] Vgl. Valentin Groebner: Der verletzte Körper und die Stadt. Gewalttätigkeit und Gewalt in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts, in: Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, hg. von Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke, Frankfurt 1995; Lauro Martines: Violence and Civil Disorder in Italian Cities 1200-1500, Berkeley u.a. 1972; Yves Michaud: La violence, Paris 72007; Julius R. Ruff: Violence in Early Modern Europe 1500-1800, Cambridge / New York 2001; Robert Muchembled: Anthropologie de la Violence dans la France Moderne (XVe-XVIIIe Siècle), in: Revue de Synthèse CVIII (1987), 1, 31-55; Markus Neumann / Dirk Niefanger (Hgg.): Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997; Guido Ruggiero: Violence in Early Renaissance Venice, New Brunswick 1980.

[11] Arno Orzessek: Die Kunst zu sterben. Online-Rezension vom 02.01.2012: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1642144/ (21.02.2012).

[12] Lorenz Jäger: Wolfgang Sofsky: Todesarten. Untröstlichkeit ist seine Pflicht. Online-Rezension vom 23.11.2011: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/wolfgang-sofsky-todesarten-untroestlichkeit-ist-seine-pflicht-11538387.html (21.02.2012).

[13] Jäger wie Anm. 12.

Andreas Plackinger