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Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
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Islamische Welten

Einführung

Von Stephan Conermann

Die Beiträge in dieser Ausgabe des FORUMS Islamische Welten stehen wieder einmal für die große Bandbreite unseres Faches. Besonders erfreulich sind, wie ich finde, die beiden Rezensionen von Publikationen, die nicht in den gewohnten Sprachen verfasst worden sind. Zum einen geht es um einen Sammelband mit ausgewählten Aufsätzen des türkischen Historikers İlber Ortaylı zur osmanischen Historiographie. Seine Studien sind einzeln zwar recht unterschiedlichen Niveaus, insgesamt jedoch ganz interessant. Alles in allem fehlt es jedoch eindeutig an einer inhaltlichen Klammer. (Wagner über Ortaylı). Zum anderen liegt ein in arabischer Sprache erschienener und von Ahmad Abd al-Halim Atiyya herausgegebener Band vor, in dem sich acht ägyptische und tunesische Wissenschaftler mit der Philosophie Immanuel Kants befassen. Das Buch bietet dem arabischen (und dem des Arabischen kundigen) Leser einen erhellenden Überblick über die erstaunlich breit gefächerte Rezeption kantischer Philosophie in der arabischen Welt. (Abdelhadi über Atiyya)

Aber auch gute sozialwissenschaftliche Arbeiten sind nur vereinzelt anzutreffen. Aus diesem Grund ist es sehr schön, dass hier eine Studie über die Gründe des Erfolges von Kommunalpolitikerinnen in einigen ländlichen Gegenden der Türkei besprochen wird. Wir gewinnen einen hervorragenden Einblick in die Erfolgsstrategien und Handlungsweisen von 18 gewählten Bürgermeisterinnen. Diese nutzen die ihnen zur Verfügung stehenden Spielräume sehr geschickt, ohne die traditionellen Strukturen dabei radikal in Frage zu stellen. (Sen über Akdeniz-Taxer) Dieser Ansatz unterscheidet sich wohltuend von den üblichen textbasierten Werken aus der Feder von Islamwissenschaftler/innen - wobei ich dies natürlich nicht grundsätzlich negativ meine. Mariella Ourghi beschäftigt sich beispielsweise mit der durchaus wichtigen Frage, wie muslimische Autoren unter bestimmten Umständen mit Bezug auf als Autorität deklarierte islamische Texte Gewalt legitimieren. Auch wenn der Rezensent einige Monita aufführt, kommt er zu dem Schluss, dass es sich um eine lesenswerte Promotionsschrift handele. (Polanz über Ourghi) Weniger überzeugend scheint eine andere Qualifikationsschrift zu sein, die sich mit dem für viele Religionen fundamentalen Problem der Unvereinbarkeit der unvollkommenen Gegenwart mit dem normativen Ideal anhand eines ausgewählten Textmaterials auseinandersetzt. Letztlich geht es um die Erneuerung des eigenen Glaubens vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass nicht die göttliche Offenbarung, sondern die menschliche Fehlbarkeit Schuld an dem gesellschaftlichen Übel sei. Die Bearbeiterin habe, so das Fazit der Besprechung, die Debatte, die sie anhand der zwischen 1930 und 2008 in der Zeitschrift der Kairiner Azhar-Universität oder anderen ihr nahestehenden Organen geführten Debatten untersucht, nicht in den Griff bekommen. (Brunner über Corrado) Viel besser kommt da schon eine Habilitation daher, in welcher der Verfasser mit einem religions- und missionswissenschaftlichen Zugang den "Aufruf zum Islam" regional übergreifend und in historischer Tiefe untersucht. (Drover zu Wrogemann) Schließlich mag in diesem Zusammenhang noch ein ganz anregendes Werk erwähnt werden, in dem es um neue Optionen zur Lösung des Afghanistankonfliktes aus der Perspektive von Peacebuilding- und Regionalkonfliktforschung geht. (Schüller zu Sorgalla)

Hadith-Studien stehen eigentlich seit der Herausbildung der Islamwissenschaft traditionellerweise im Mittelpunkt des Faches. Allerdings hat es sehr lange gedauert, bis nun ein brauchbares und gehaltvolles Handbuch veröffentlicht worden ist. Mit gedanklicher Stringenz und dazu noch in einem sehr gut lesbaren Stil führt der Autor in dieses komplexe Thema ein. Ein Problem der Hadith-Forschung besteht darin, zwischen bekenntnisorientierten und historisch-kritischen Erklärungen unterscheiden zu können. Um hier zu einem wirklich differenzierten Urteil zu kommen, müsse der Leser dann doch, so der Rezensent, zu weiterführenden und vertiefenden Abhandlungen greifen. (Scheiner über Brown)

Es bleiben noch zwei weitere, ganz unterschiedliche Werke übrig. Auf der einen Seite gilt es, ein weiteres ausgezeichnetes Buch des weltweit anerkannten Mogulforschers Sanjay Subrahmanyam anzuzeigen, in dem sich dieser mit Bezug zu den Konzepten der "connected history" und der Mikrogeschichte mit drei Gestalten der Frühneuzeit befasst, die durch ihr Leben zwischen Grenzen (geografischen wie politischen) zu "Aliens" wurden, Produkte der Verflechtung ihrer Welt, die zugunsten ihres Mittler- und Grenzgängerstatus die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Heimat aufgaben. (Kollatz zu Subrahmanyam) Auf der anderen Seite ist nun nach zwölf Jahren Arbeit Clifford Edmund Bosworths lang erwartete englische Übersetzung des von dem persischen Chronisten Beyhaqi (gest. 1077) niedergeschriebenen Geschichtswerkes erschienen. Band 1 und 2 beinhalten die komplette Übertragung des Textes, Band 3 liefert einen exzellenten kommentarähnlichen Anmerkungsapparat. Ein Meisterwerk, das Maßstäbe setzt. (Kurz zu Bosworth)

Allen Lesern eine schöne Lektüre der Besprechungen, oder noch besser: der Bücher, die sie interessieren!

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