Rezension über:

Alfred Kohler: Von der Reformation zum Westfälischen Frieden (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte; Bd. 39), München: Oldenbourg 2011, XII + 253 S., ISBN 978-3-486-59803-2, EUR 24,80
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Rezension von:
Helga Schnabel-Schüle
Fachbereich III, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Helga Schnabel-Schüle: Rezension von: Alfred Kohler: Von der Reformation zum Westfälischen Frieden, München: Oldenbourg 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20024.html


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Alfred Kohler: Von der Reformation zum Westfälischen Frieden

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1979 erschien als einer der ersten Bände der Reihe "Oldenbourg Grundriss der Geschichte" der Band von Heinrich Lutz mit dem Titel Reformation und Gegenreformation. Nachdem zuletzt 2002 die fünfte von Alfred Kohler redigierte Auflage erschienen war, entschloss sich der Verlag zu einem neuen Band mit dem Titel Von der Reformation zum Westfälischen Frieden. Als Autor wurde Alfred Kohler verpflichtet, der, wie er im Vorwort nachvollziehbar darlegt, vor einem Dilemma stand. Einerseits wollte er die Konzeption des bereits 1986 verstorbenen Heinrich Lutz, seines akademischen Lehrers und nicht nur von ihm hochgeschätzten Historikers, nicht völlig aufgeben, andererseits verlangte die Entscheidung des Verlags für einen ganz neuen Band erkennbare Modifikationen. Der Verfasser selbst sieht diese in der "globalgeschichtlichen Perspektive" (XI), der Einbeziehung der europäischen Expansion sowie den "bis heute zu wenig beachteten mediengeschichtlichen Aspekten der Reformation" (XI). Die Gliederung des Bandes in Teil I Darstellung, Teil II Grundprobleme und Tendenzen der Forschung und Teil III Quellen und Literatur ist durch die Grundkonzeption der Grundriss-Reihe vorgegeben.

Der Darstellungsteil ist gegliedert in eine Einleitung und drei Kapitel. Im ersten Hauptkapitel "Europa in der Epoche der Reformation" nimmt die Politik Kaiser Karls V. im Spannungsfeld der Auseinandersetzungen mit Frankreich, den Osmanen und den Reichsfürsten den größten Raum ein. Daneben werden Anfänge und Ausbreitung der Reformation beleuchtet, wobei der Verfasser der bei Lutz konzeptionell angelegten - aber dort im Text auch immer wieder in Frage gestellten - Vorstellung treu bleibt, dass die Reformation vom Reich ausging und nach Europa ausstrahlte. Während die Vorgänge im Reich ausführlich dargestellt werden, behandelt Kapitel 2.4. "Die Ausbreitung der Reformation in Europa" auf nicht einmal sechs Seiten die Reformation in Dänemark, Schweden, im Baltikum, in Polen, Ungarn, Frankreich und England. Die Forschungen der letzten drei Jahrzehnte hätten es durchaus ermöglicht, die Reformation in den Ländern Europas als eigenständige Prozesse zu bewerten und darzustellen, was besser zum Anspruch einer globalgeschichtlichen Perspektive gepasst hätte.

Das zweite Hauptkapitel trägt die Überschrift "Die konfessionellen und politischen Konflikte in der Epoche des spanischen Universalreiches". Leider geht der Verfasser auf den Begriff "spanisches Universalreich" nicht ein, so dass es nicht nur bei Studierenden Verständnisschwierigkeiten geben dürfte, zumal das Unterkapitel über die spanische Monarchie unter Philipp II. - lediglich zwei Seiten umfassend - sich darüber ebenfalls ausschweigt. Außerdem wird auch die Verbindung von Konfession und Politik einem nicht mit ausreichenden Vorkenntnissen ausgestatteten Leserkreis verschlossen bleiben. Die kenntnisreich, aber ohne Hilfestellung zur Einordnung präsentierten Ereignisse im Reich, in Frankreich und England zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges werden - so ist zu fürchten - bei solchen Lesern und Leserinnen nicht zu einem nachhaltigen Wissenszuwachs führen.

Das dritte Hauptkapitel ist dem Dreißigjährigen Krieg vorbehalten, der Verfasser liefert auf knapp elf Seiten eine problemorientiert Darstellung, die die Vorgeschichte ebenso einschließt wie die nachhaltigen Folgen des Krieges. Was der Verfasser aber mit "irreversible[n] soziokulturelle[n] Folgen" meint (Kapitel 4.4.), bleibt aber im Dunkeln.

Gegenüber dem Band von Heinrich Lutz finden sich im Darstellungsteil nur wenige Änderungen. Alle neuen Aspekte reißt der Verfasser in der langen Einleitung kurz an. Hier wird zum Beispiel unter der Überschrift "Europa im globalhistorischen Kontext" der europäischen Expansion viel Raum gegeben, im Darstellungsteil findet sie hingegen dann keine Beachtung mehr, so dass das Bekenntnis des Autors zur globalhistorischen Perspektive letztlich nicht eingelöst wird. Erstaunlich ist auch, dass entgegen der Ankündigung im Vorwort in der Darstellung die mediengeschichtlichen Aspekte der Reformation weder für das Reich noch für die europäischen Länder eine Rolle spielen. Selbst Ausführungen zur Bedeutung des Buchdrucks für die Verbreitung der Reformationen finden sich nur in wenigen Sätzen der Einleitung, in der Darstellung selbst wird dieser Aspekt vernachlässigt. Die Modifikationen, die der Verfasser vornimmt, erschöpfen sich somit in Ergänzungen, die keine Auswirkungen auf die Konzeption des Darstellungsteils haben.

In Teil II sollen der Konzeption der Reihe entsprechend die wichtigsten Tendenzen der Forschung vorgestellt werden, um gleichsam den wissenschaftlichen Unterbau für den Darstellungsteil plausibel zu machen. Hier kann keineswegs ein umfassender Forschungsbericht zu allen im Darstellungsteil behandelten Themen erwartet werden, der Autor muss eine Auswahl treffen. Diese sollte dann aber den neuesten Forschungstand abdecken und die wichtigen Kontroversen aufgreifen. Dies ist bedauerlicherweise in diesem Band nicht gelungen. Beispiele müssen genügen: Das Kapitel über Europa zwischen Expansion und Bedrohung deckt die Forschungen zur europäischen Expansion und zur Kolonialisierung nicht ab. Die wichtigen Beiträge von Urs Bitterli fehlen, die Arbeiten von Jürgen Osterhammel wurden nicht einmal ins Literaturverzeichnis aufgenommen. Die Passagen zur Konfessionalisierungsforschung, dessen Nestor Ernst Walter Zeeden trotz der im Band ansonsten weit zurückreichenden historiografischen Perspektive völlig fehlt, bilden die intensiven Forschungsdiskussionen der letzten Jahrzehnte nur unzureichend ab. Die Darstellung der Forschung zum Bauernkrieg beginnt immer noch mit dem Jubiläumsjahr 1975, obwohl die Debatte über den Bauernkrieg als frühbürgerliche Revolution beendet ist. Hingegen bleiben die Arbeiten Peter Blickles außen vor, ebenso wie die angelsächsische Forschung, der insgesamt wenig Beachtung geschenkt wird.

Aber auch zum Kern der Darstellung, den politik- und verfassungsgeschichtlichen Vorgängen vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, werden wichtige Beiträge der letzten Jahre ausgeblendet. Dies hier allesamt aufzulisten, würde den Rahmen der Rezension sprengen, einige Beispiele müssen daher genügen: die Debatten über den die Bedeutung des Kommunalismus für frühneuzeitliche Staatlichkeit wie auch für die Reformation (Peter Blickle), die Forschungen zum Schmalkaldischen Bund, (Gabriele Haug-Moritz), die Diskussion über die Staatlichkeit des Reichs (Georg Schmidt), die europäische Perspektive des Dreißigjährigen Krieges (Christoph Kampmann), die Forschungen zu den Ritualen des Reichs und seiner Performanz (Barbara Stollberg-Rilinger). Diese Liste ließe sich aber nahezu beliebig erweitern.

Insgesamt hat der Autor, das Dilemma, vor dem er stand, nicht lösen können. Eine mutige Neukonzeption, durch die das Andenken an Heinrich Lutz keinen Schaden genommen hätte, wäre sicher der bessere Weg gewesen. Für Fachleute hat der Band zu viele Leerstellen, als Studienliteratur ist er nicht zu empfehlen, da große Textteile für eine Leserschaft ohne Vorkenntnisse nur schwer verständlich sind.

Helga Schnabel-Schüle