Rezension über:

Martin Krieger: Kaffee. Geschichte eines Genussmittels, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 307 S., 12 Farb-, 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20786-1, EUR 24,90
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Rezension von:
Rengenier Rittersma
Rotterdam Business School, Rotterdam
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Rengenier Rittersma: Rezension von: Martin Krieger: Kaffee. Geschichte eines Genussmittels, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20407.html


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Martin Krieger: Kaffee

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Bei Übelkeit hinterlässt sonst wohlschmeckender Kaffee plötzlich einen komischen Geschmack auf der Zunge. Damit ist Kaffee ein wichtiger Indikator unseres Wohlbefindens. Wie es dazu kam, erzählt uns Martin Krieger in seinem Buch Kaffee. Geschichte eines Genussmittels. Der Autor ist Professor für die Geschichte Nordeuropas und hat sich vor allem im Feld der dänischen und hanseatischen (Handels-)Geschichte einen Namen gemacht. Über diesen Weg hat er ein besonderes Forschungsinteresse für die Geschichte der meistkonsumierten Genussmittel entwickelt. So erschien 2009 im selben Verlag von seiner Hand eine Kulturgeschichte des Tees, jetzt gefolgt von einer historischen Kaffeestunde in ähnlichem Format.

Warm und behaglich wie ein Kaffeehaus lädt diese Monographie zu einer Reise durch "die lange und vielfältige Geschichte des Anbaus, Handels und Konsums von Kaffee" ein. Das Buch will dabei einerseits die Kulturbedingtheit des Kaffeekonsums, andererseits die "enorme ökonomische Reichweite dieses Getränks" zeigen (12-13). In Anbetracht des Untertitels, der die Geschichte eines Genussmittels in Aussicht stellt, sieht sich der Leser also mit einer wenig waghalsigen Arbeitshypothese konfrontiert. Doch es hängt wohl vom Erwartungshorizont des jeweiligen Lesers ab, ob das Fehlen einer klar und stringent herausgearbeiteten Forschungsperspektive als Defizit oder vielmehr als Verdienst zu bewerten sei. Gerade in der konzeptuellen Schwammigkeit könnte nämlich auch die wichtigste Stärke dieses Buches liegen: Diese Welt- und Zeitreise berichtet in unterhaltsamer und kompetenter Weise über die mannigfaltigen Facetten von Kaffee und bietet Interessierten somit ein ideales Werk zum Einstieg ins Thema. Dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem Genuss-Aspekt dabei größtenteils auf der Strecke bleibt und die verschiedenen Stationen der Reise eher willkürlich ausgewählt scheinen, stört kaum, solange dieser Tour du café interessante und abwechslungsreiche Wirkungsstätten ansteuert und in unterhaltsamer und kompetenter Weise über sie berichtet.

Im ersten Kapitel stellt Krieger sein Produkt und vor allem dessen ökobiographische und chemische Eigenschaften vor und zeigt damit, dass er sich der Materialität seines Themas bewusst ist. Im folgenden Kapitel geht er der geographischen Herkunft der coffea arabica auf den Grund und ordnet diese in die Provinz Kaffa im heutigen Äthiopien ein. Kapitel IV führt aus, wo die botanische Gleichsetzung des Kaffees mit der arabischen Halbinsel herrührt. In dieser Region und dann vor allem im Küstengebirge des Jemen liegen die Anfänge des kommerziellen Siegeszuges des Konsumgutes. Hier wurde Kaffee - vermutlich ab dem 16. Jahrhundert - erstmals systematisch angebaut.

Wie Kapitel V klarmacht, beschränkten sich der Kaffeekonsum und die dazugehörige Kaffeetrinkkultur bis tief ins 17. Jahrhundert hauptsächlich auf Nordafrika, die arabische Halbinsel, Persien, das Osmanische Reich und die islamisch geprägten Regionen Asiens. Größtenteils unklar bleibt allerdings weshalb diese orientalische "Kaffeelust" mit der Einflusssphäre muslimischer Kultur zusammenfällt. Die herkömmliche These, dass der Sufismus dem Kaffee den Weg bereitet und die osmanische Expansion ihm zum Durchbruch verholfen habe, klammert z.B. die Verbreitung nach Indien aus. Außerdem zeigt das Vorkommen ähnlicher Kaffeetrinkrituale und damit verbundener Kommunikationspraktiken zwischen Algier und dem Golf von Bengalen, dass gerade die islamische Religion einen günstigen Nährboden für dieses Produkt und seine kulturellen Begleiterscheinungen bereitgestellt haben dürfte.

Die Kapitel VI und VII sind der europäischen Kaffeekultur gewidmet, wobei ersteres die Einführung des Kaffees in Europa in den Blick nimmt und sich letzteres auf das Phänomen des Kaffeehauses konzentriert. In den Kapiteln VIII und IX steht die globale Perspektive wieder im Zentrum: Hier geht es um die kolonialen Anbauprojekte in Fernost, in Südamerika und in der Karibik beziehungsweise um die enorme Intensivierung des Kaffeehandels mit ihren weitreichenden logistischen Implikationen. Die außergewöhnliche Zunahme des Kaffeekonsums beeinflusste ihrerseits die Formen, in denen Kaffee angeboten und vermarktet wurde. Das zehnte Kapitel setzt sich mit den verschiedenen Manifestationen dieser "Kaffeerevolutionen" auseinander, indem es den Aufmarsch des koffeinfreien und des löslichen Kaffees sowie des Espresso und der globalen Kaffeebar-Ketten untersucht.

Der letzte Abschnitt ist dem Thema "Deutschland - Kaffeeland" gewidmet, wobei sich mancher Leser nicht ganz unberechtigt fragen wird, ob nun gerade Deutschland und Kaffee (historisch) so eng zusammengehören. Als formenreiches Phänomen der Alltagskultur hat der Kaffee Länder wie z.B. Österreich und insbesondere Italien viel stärker geprägt.[1]

Wie dieser Abriss zeigt, handelt es sich bei dieser Studie - anders als es ihr Untertitel suggeriert - mehr um eine Handelsgeschichte als um eine Genussgeschichte. Dies mag verzeihlich sein; gravierender ist dagegen die mangelnde Berücksichtigung wichtiger Forschungsergebnisse, allen voran der Studie Annerose Menningers. Aber auch das Fehlen anderer einschlägiger Untersuchungen, beispielsweise von Peter Lummel, Wolfgang Schivelbusch, Jordan Goodman oder Jonathan Morris, verwundert.[2] Positiv hervorzuheben sind hingegen der Schreibstil des Autors sowie die typographische Schönheit und Sorgfalt dieser Ausgabe, die mit nützlichen Karten und hübschen Abbildungen ausgestattet ist, wofür dem Böhlau-Verlag Lob gebührt. Kriegers Reise durch die Geschichte des Kaffees bietet alles in allem eine flüssig geschriebene Synthese und schlägt damit - was durchaus als Verdienst zu würdigen ist - eine Brücke zwischen Fachwissenschaft und dem breiteren Lesepublikum.


Anmerkungen:

[1] Vgl. beispielsweise Jonathan Morris: Making Italian Espresso, Making Espresso Italian, in: Food & History 8.2 (2010), 155-185.

[2] Annerose Menninger: Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16.-19. Jahrhundert), Stuttgart 12004, 22008; Peter Lummel (Hg.): Kaffee - vom Schmuggelgut zum Lifestyle-Klassiker. Drei Jahrhunderte Berliner Kaffeekultur, Berlin 2002; Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel, Frankfurt a.M. 2002; Jordan Goodman: Excitantia. Or, how Enlightenment Europe took to soft drugs, in: Jordan Goodman / Paul E. Lovejoy / Andrew Sherratt (eds.): Consuming habits. Drugs in history and anthropology, London, New York 1995, 126-147; Jonathan Morris: La globalizzazione dell'espresso italiano, in: Memoria e Ricerca 14 (2006), H. 23, 27-46; Jonathan Morris: Storia dell' espresso nell'Italia e nel mondo, in: Maurizio Cociancich (a cura di) 100% Espresso Italiano, Trieste 2008, 4-32.

Rengenier Rittersma