Rezension über:

Walther L. Bernecker: Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg (= Beck'sche Reihe; 284), 4. Aufl., München: C.H.Beck 2010, 336 S., mit 1 Karte, ISBN 978-3-406-61114-8, EUR 16,95
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Michael Seidman: The Victorious Counterrevolution. The Nationalist Effort in the Spanish Civil War, Madison, WI: University of Wisconsin Press 2011, XIII + 352 S., 11 s/w-Abb., 4 Kt., ISBN 978-0-299-24964-9, USD 29,95
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Peter Day: Franco's Friends. How British Intelligence Helped Bring Franco to Power in Spain, London: Biteback Publishing 2011, 249 S., 15 s/w-Abb., ISBN 978-1-84954-098-8, GBP 19,99
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Rezension von:
Reiner Tosstorff
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Reiner Tosstorff: Neue Studien zur spanischen Geschichte im 20. Jahrhundert (Rezension), in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20923.html


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Neue Studien zur spanischen Geschichte im 20. Jahrhundert

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Das 1984 erstmals erschienene Buch von Walther L. Bernecker, seitdem in drei weiteren Auflagen herausgekommen, hat sich sehr schnell als eine Standard-Überblicksdarstellung etabliert. Die zweite Auflage von 1988 war, neben kleinen Korrekturen und Ergänzungen, um Ausführungen zur endgültigen Westintegration unter der Regierung des Sozialisten Felipe González (EU-Beitritt und NATO-Referendum) erweitert worden. Die Ausgabe von 1997 erfolgte nach der Wahl von 1996 mit der Regierungsübernahme durch die 1989 unter José María Aznar neuformierte Partido Popular (Volkspartei), nachdem die dreimal wiedergewählte González-Regierung sich in einer Reihe von Korruptionsskandalen verbraucht hatte.

Da ist man natürlich gespannt auf die vierte Auflage, bei der das Erscheinungsdatum 2010 nicht nur eine Bilanz der konservativen Regierung, sondern vielleicht auch ein Augenmerk auf den Ausbruch der ökonomischen Krise und den Beginn des erneuten politischen Niedergangs einer sozialistischen Regierung (von Zapatero seit 2004) erwarten lässt. Leider wird der Leser herb enttäuscht. Es handelt sich um nichts anderes als einen einfachen Nachdruck der Ausgabe von 1997. Da hat es sich der Verlag reichlich einfach gemacht. Oder wollte er sich keine Konkurrenz machen? Denn im selben Jahr erschien dort, vom selben Verfasser, ein - empfehlenswerter - Band zu Spanien im Rahmen einer Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Dieser reicht bis an das Veröffentlichungsjahr, ist allerdings vom Charakter her deutlich akademischer, der Text ist dichter und mit einem Anmerkungsapparat versehen. [1]

Was macht aber den zu besprechenden Band mit seiner ja immerhin großen Verbreitung aus? Einem ersten Kapitel über die Voraussetzungen des Bürgerkriegs schließen sich Überblicke an über seinen Verlauf, die Formierung des neuen Staates unter General Francisco Franco sowie die von Hunger und Autarkie gekennzeichneten vierziger Jahre mit dem Überleben des Regimes nach 1945 als Bündnispartner des Westens im Kalten Krieg. Es folgen die Jahre nach 1956 mit wirtschaftlichem Wandel, aber ohne grundlegende Änderung der Diktatur. Doch die ökonomischen Veränderungen führten letztlich zu sozialen Verschiebungen. Eine neue, nicht mehr vom Bürgerkrieg geprägte Generation kam zum Durchbruch, so dass mit dem Tod des Diktators im November 1975 die formalen Strukturen des Regimes sehr schnell zusammenbrachen. Unter König Juan Carlos erlebte das Land dann nach mühsamen Aufräumarbeiten den Anschluss an Europa. Politisch galt die transición als vorbildhaft, wirtschaftlich wurde Spanien ein modernes Industrieland, das auch international, zum Beispiel in Lateinamerika, als zugehörig zum Klub der führenden westlichen Wirtschaftsmächte auftrat.

Die Stärke dieser Darstellung liegt in der Verbindung von ereignisgeschichtlicher Erzählung und strukturgeschichtlicher Analyse. Wenn etwa die Etablierung der frankistischen Verfassungsstruktur und die Stützen der Herrschaft wie Militär, Kirche und die Wirtschaftseliten vorgestellt werden, so schließt das mit der Frage nach der Typologie des Regimes, nach seiner Zuordnung zum Faschismus, ab. Auf diese Weise werden die Grundzüge der Entwicklung Spaniens seit 1936 komprimiert, aber mit einem Blick auf ein breiteres, an Hintergründen interessiertes Leserpublikum dargestellt. Der Verfasser verzichtet auf einen Anmerkungsapparat, gelegentlich sind Belege im Text eingebaut. Eine Chronologie und eine Auswahlbibliographie mit einem hohen Anteil spanischer und zum Teil auch englischsprachiger Literatur schließen den Band ab, allerdings auf dem Stand der Auflage von 1997.

Damals galt Spanien noch als großes Erfolgsmodell, was man auch in dieser Darstellung spürt, die allerdings nicht unkritisch ist, sondern durchaus auch Defizite benennt, wie die sehr stark verbreitete Schattenwirtschaft, die Korruption und sozialen Ungleichgewichte bei der Modernisierung des Landes. Doch stellt die Entwicklung der letzten Monate mit dem vor einigen Jahren kaum vorstellbaren Absturz des Landes notwendigerweise vieles an Einschätzungen erneut auf den Prüfstand.[2] Und so sollte eine sicherlich notwendige Aktualisierung durchaus auch noch einmal kritisch den Blick auf die letzten Jahrzehnte zurückwerfen. Trotzdem gilt, dass Berneckers Darstellung für den großen und informativen Überblick durchaus weiter mit Gewinn zu lesen bleibt - aber eben leider nur für die Zeit bis Mitte der neunziger Jahre.

Dagegen ist das Buch von Michael Seidman, Professor an der University of North Carolina in Wilmington und Verfasser mehrerer sozialgeschichtlicher Untersuchungen zur "republikanischen Zone" im Bürgerkrieg, eine akademische Forschungsmonographie mit einer spezialisierten Fragestellung, die, trotz ihrer Bedeutung, bisher in dieser Tiefe noch nicht angegangen worden ist. Es geht darum, wie die Putsch-Generäle ihre "nationale Zone" vor allem wirtschaftlich organisierten, das heißt, es geht um die Basis der siegreichen Konterrevolution, wie es im Haupttitel heißt. Dazu hat Seidman die Presse ausgewertet, mit ihren vielen kleinen Notizen zum - scheinbar wenig bedeutungsvollen - Alltagsleben, und ebenso in staatlichen Archiven mit ihren oft bezeichnenden Lücken geforscht. Immer wieder zieht er Parallelen nicht nur zur Entwicklung in der "republikanischen Zone", sondern versucht auch den Vergleich mit zwei weiteren bedeutenden, in diesen Fällen aber letztlich unterlegenen konterrevolutionären Bewegungen in vorwiegend agrarischen Ländern im zwanzigsten Jahrhundert, in Russland nach 1917 und in China vor allem nach 1945, um die Gründe für den Sieg Francos herauszuarbeiten.

Zunächst untersucht Seidman den Putsch und die Organisierung der Armee Francos bis hin zum Angriff auf Madrid im November 1936, dessen Scheitern aus dem Bewegungs- einen Stellungskrieg machte, in dem es nun mehr denn je auf die Fähigkeit zur Mobilisierung der Ressourcen ankam. Zentral dafür war die Versorgung mit Lebensmitteln, die sich als sehr effektiv herausstellte. In der "nationalen Zone" gab es keinen allgemeinen Hunger, nicht nur nicht für die Armee, sondern vor allem auch nicht für die Zivilbevölkerung (zumindest solange sie sich politisch gehorsam verhielt), während in der Republik die Versorgungslage immer schwieriger wurde. Seidman ist dem äußerst detailliert nachgegangen, bis hin zur Versorgung mit Fisch und zur Viehzucht (die ja auch noch immer wichtige Transport- oder Zugmittel bereitstellte), nicht zu vergessen den Verkehrs- und Kommunikationssektor. Zusätzlich zur materiellen Basis war aber auch der Einsatz des "symbolischen Kapitals" bedeutsam, des neotraditionalistischen Katholizismus, der die verschiedensten Kräfte im Franco-Lager zusammenband und deren Elemente Seidman vom Rollenverständnis der Frau über die Entwicklung der Feindbilder (Marxisten, Freimaurer, Juden und Protestanten) bis hin zur Organisierung einer entsprechenden Kultur analysiert. Hinzu trat die staatliche Kontrolle abweichenden Verhaltens, etwa die vergleichsweise erfolgreiche Eindämmung des Schwarzmarkts und verbotener Preiserhöhungen, der Alltagskriminalität und nicht zuletzt der politischen Dissidenz.

Diese Untersuchung ist zweifellos in Fragestellung wie Materialfülle sehr anregend. In einem gewissen Sinne kollabierte die "republikanische Zone" im Winter 1938/39 nicht so sehr aufgrund fehlender Waffen als aufgrund des Hungers und der dadurch untergrabenen Moral der Zivilbevölkerung. Doch inwieweit lässt sich das verabsolutieren? Immer wieder stellt Seidman die These in Frage, es sei die fatale internationale Isolierung der Republik gewesen (im Unterschied zur kontinuierlichen faschistischen "Solidarität"), die zu ihrem Untergang geführt habe. Doch lässt sich daraus kein Gegensatz konstruieren. Wäre die faschistische Unterstützung im Frühjahr 1937 so zurückgegangen wie etwa die sowjetischen Lieferungen, wäre es auch für die Franco-Truppen schwierig geworden. Die gefüllten Bäuche hätten dann möglicherweise die numerische Unterlegenheit in der Bevölkerungszahl der Franco-Zone nicht mehr ausgleichen können. Es war der historische Zufall, dass sich der Putsch im Sommer 1936 vor allem in den agrarischen Zonen durchsetzen konnte und in den Industrie- und damit auch Bevölkerungszentren scheiterte. Vor allem aber konnte er auf einer zentralisierten Organisation, eben der Armee, aufbauen, der die administrativen Strukturen absolut untergeordnet waren, während die Republik in den entscheidenden ersten Monaten eine zersplitterte politische Landkarte aufwies. Das war eben das genaue Gegenteil des ansonsten immer wieder angeführten Beispiels Russland. Hier waren die Bolschewiki die zentralisierte Kraft, während die "Weißen" in die verschiedensten Fraktionen mit rivalisierenden Heerführern zerfielen, was sich durch die ganz andere geographische Situation verstärkte, so dass die beträchtliche Unterstützung durch die Alliierten versickerte.

Manchmal tendiert Seidman in seinen Formulierungen, wenn es um die verschiedenen Kräfte in Spanien wie auch um die Vergleiche geht, zu Übertreibungen und Ungenauigkeiten, was ihn in die Gefahr bringt, sich in den Kontext der neuen "revisionistischen" Historiographie zu Spanien zu begeben. Das beginnt schon mit der Frage, ob die Konterrevolution einer geplanten Revolution zuvorgekommen sei. Dies war die Behauptung der Putschisten und wird heute eifrig von einer neofrankistischen Publizistik um den ehemaligen maoistischen Terroristen und heutigen Bestseller-Autor Pίo Moa nachgebetet.[3] Dagegen bestand ein weitgehender historiographischer (und antifrankistischer) Konsens darin, dass der Putsch, der sich im Übrigen zuallererst gegen das Reformwerk der Republik richtete und dann die Paralysierung des Staatsapparats herbeiführte, erst die Revolution auslöste. Seidman ist da nicht eindeutig, spricht dann aber doch zumeist von der Republik als dem Gegensatz zum Lager der Konterrevolution. Allerdings hat er jüngst in einer längeren Rezension genauer Stellung bezogen und diesen Geschichtsrevisionismus, wenn auch nicht sehr zugespitzt, zurückgewiesen.[4] Insgesamt jedenfalls stellt sein Buch einen Beitrag dar, der die Erforschung der Franco-Diktatur vorwärts bringt und neue Erkenntnisse zu ihrer Etablierung liefert.

Zum internationalen Kontext der ersten Jahre der Diktatur liefert der britische Journalist Peter Day einen Beitrag über britische Akteure, die wichtige Hilfestellung leisteten. Sie waren eingebunden in ein britisch-spanisches, zumeist katholisch geprägtes Netzwerk mit Geschäftsinteressen in Spanien und mit Verbindungen zum britischen Geheimdienstmilieu. Aus diesem Kreis wurde zum Beispiel das Flugzeug für Franco organisiert, das ihn zu Putschbeginn von den kanarischen Inseln, wohin ihn die Regierung der Republik aus gesundem Misstrauen versetzt hatte, nach Spanisch-Marokko brachte. Ist dieser Fakt schon ziemlich bald nach Beginn des Bürgerkriegs bekannt geworden, so werden hier doch eine Reihe von Details aufgezeigt, die die Frage aufwerfen, inwieweit der britische Geheimdienst über diese ganze Operation von Anfang an informiert war und sie zumindest hätte behindern können.

Wie sehr der britische Geheimdienst schon lange einschlägige Informationen sammelte, zeigt auch ein weiteres von Days Beispielen. Auf Mallorca, interessant als Marinebasis und damit ein möglicher Ausgangspunkt zur Gefährdung britischer Schiffsrouten, war seit Anfang der dreißiger Jahre ein britischer Honorarkonsul mit einschlägiger Doppelbeschäftigung aktiv. Er konnte schon früh einen Kontakt zu Franco knüpfen, der 1933/34 dorthin versetzt worden war. Ihm kam dann unter der Diktatur ab 1939 - offiziell als Marineattaché - in Madrid die Aufgabe der Fortführung ehemaliger Kontakte, sozusagen zur Kompensation alter Freundschaftsdienste, zu, deren Schilderung das letzte Drittel des Buchs ausmacht. Ein Kriegseintritt Franco-Spaniens an der Seite der Nationalsozialisten sollte durch umfassende Bestechungsaktionen einflussreicher Offiziere, bis in das unmittelbare Umfeld Francos, verhindert werden.

Zweifellos lieferten all diese "Freunde Francos" eine nicht unwichtige Hilfestellung zur Errichtung und Festigung der Diktatur. Insofern ist der Blick darauf richtig, doch sollte ihr Einfluss nicht übertrieben werden. Die Grundsätze der Haltung zu Spanien wurden im Foreign Office oder gar im Kabinett formuliert, was sich hier allenfalls in gelegentlich wiedergegebenen Äußerungen von Eden, Churchill oder Chamberlain niederschlägt. Das gilt es zu berücksichtigen. So hat Day zweifellos eine flott und spannend geschriebene Story vorgelegt, die sich, da zumeist im undurchsichtigen Geheimdienstmilieu angesiedelt, auch unterhaltsam liest. Sie stützt sich wesentlich auf eine Reihe in den letzten Jahren freigegebener Dokumente im britischen Nationalarchiv, ergänzt unter anderem durch Materialien aus dem Imperial War Museum und von Familienangehörigen der Akteure.

Für das wirklich entscheidende internationale Umfeld, die Unterstützung Francos durch den "faschistischen Block" und den Boykott der Republik durch die Westmächte in Gestalt der "Nicht-Interventionspolitik", die sie wiederum von sowjetischer Unterstützung abhängig machte, wird man, was die neuesten Forschungsergebnisse anbetrifft, auf die in den letzten Jahren vorgelegte umfangreiche Trilogie von Ángel Viñas zurückgreifen müssen.[5] Dieser hat auch soeben in El País auf allerneueste Funde zu italienischen Hilfsversprechen bei der Putschvorbereitung verwiesen[6], wobei er anmerkte, dass in den spanischen Archiven dazu auch heute noch Akten nicht zugänglich sind. Aber das galt übrigens auch bei Days Recherchen im britischen Nationalarchiv.

So ist, mehr als fünfundsiebzig Jahre danach, der Spanische Bürgerkrieg noch immer ein gelegentlich nicht leicht zugängliches Terrain für die Forschung, weil die daraus entstandene Diktatur über Jahrzehnte das Land prägte und ihre Schatten bis auf die Gegenwart wirft. Der aktuelle Absturz Spaniens wird auch Fragen nach den Ursachen und Voraussetzungen dafür im Erbe aus dieser Vergangenheit aufwerfen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. die Rezension von Till Kössler zu Walther L. Bernecker, Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert, München 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 4 (15.4.2012), http://www.sehepunkte.de/2012/04/20808.html

[2] Eine Einschätzung der aktuellen Lage durch Bernecker findet sich auf http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav id=3070 (Abruf am 10.8.2012).

[3] Vgl. Alberto Reig Tapia: Revisionismo y polİtica. Pİo Moa revisitado, Madrid 2008. Der einzige international bekannte Historiker von Renommee in diesem Umfeld ist Stanley Payne.

[4] Michael Seidman: 'The Longest Dictatorship', in: Contemporary European History, Nr. 1, 2011, 97-107.

[5] La soledad de la República: el abandono de las democracias y el viraje hacia la Unión Soviética, Barcelona 2006; El escudo de la República: el oro de España, la apuesta soviética y los hechos de mayo de 1937, Barcelona 2007; El honor de la República: entre el acoso fascista, la hostilidad británica y la política de Stalin, Barcelona 2008.

[6] Ángel Viñas: 'Una sublevación militar con ayuda fascista', in: El Paίs, 17.7.2012.

Reiner Tosstorff