Rezension über:

Marjorie Elizabeth Plummer: From Priest's Whore to Pastor's Wife. Clerical Marriage and the Process of Reform in the Early German Reformation (= St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot: Ashgate 2012, XV + 340 S., ISBN 978-1-4094-4154-0, GBP 65,00
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Rezension von:
Heide Wunder
Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Heide Wunder: Rezension von: Marjorie Elizabeth Plummer: From Priest's Whore to Pastor's Wife. Clerical Marriage and the Process of Reform in the Early German Reformation, Aldershot: Ashgate 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20935.html


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Marjorie Elizabeth Plummer: From Priest's Whore to Pastor's Wife

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Die sozialen Dimensionen der Reformation und deren Wurzeln im späten Mittelalter sind bislang vor allem für städtische Gesellschaften und den Bauernkrieg erforscht worden, während die Laisierung der Kleriker und der Religiosen überwiegend anhand der theologischen Debatten, bezogen auf einzelne (prominente) Personen und oft verkürzt auf das Schlagwort "Priesterehe", bearbeitet wurde. Hier setzt Plummer neue Maßstäbe: Sie verbindet und systematisiert diese Ansätze, verleiht ihnen jedoch eine neue Ausrichtung, indem sie nach der aktiven Rolle der ersten Generation heiratender Kleriker und Religiosen für die Ausbreitung der reformatorischen Bewegung zwischen 1521 und dem Augsburger Interim 1548 fragt. Räumliche Schwerpunkte sind die beiden Sachsen, Franken und Schwaben sowie eine Reihe von Reichs- und Territorialstädten, denn die spezifischen Handlungsoptionen von Territorialherren und städtischen Gemeinwesen sollen angesichts der reformatorischen Herausforderungen vergleichbar werden.

Gestützt auf ein vielgestaltiges Quellenkorpus verfolgt Plummer ihr Ziel in 7 Kapiteln, die jeweils bestimmte Klerikergruppen in der zeitlichen Abfolge ihrer Laisierung behandeln. Die gewählte kleinschrittige Analyse erweist sich als sehr geeignet, das Interagieren einer Vielzahl von Akteuren herauszuarbeiten: Kleriker und Religiose, weltliche und geistliche Obrigkeiten, Reichsstände und Kaiser, lokale Gemeinden und Bürgerschaften sowie die Frauen und Männer, die einen Kleriker oder eine Nonne heirateten. Die Erträge dieser innovativen, perspektivenreichen Studie können hier nur skizziert werden.

Die konzeptuelle Entscheidung, die Untersuchung mit dem spätmittelalterlichen Kampf der Kirche gegen die Sittenlosigkeit von Klerikern und Religiosen, insbesondere gegen das Klerikerkonkubinat, zu beginnen (Kap. 1), situiert die Debatten um die "Priesterehe" im altkirchlichen Reformkonzept, das im Verlauf der Reformation nicht aufgegeben wurde, so dass die Klerikerehe immer als Konkubinat verfolgt wurde. Die kirchlichen Reformbestrebungen trafen sich mit den gleichgerichteten Bestrebungen der weltlichen Obrigkeiten für die Laiengesellschaft. In den Städten stellte das sittliche Fehlverhalten vieler Kleriker, vor allem die sexuellen Attacken auf unverheiratete wie verheiratete Frauen, ein großes Problem dar, weil sie gegen die exemten Kleriker nicht gerichtlich vorgehen konnten. Wurden beim Bischof verklagte Kleriker meist milde behandelt, bestrafte die weltliche Obrigkeit die Konkubine umso härter. In diesem Kontext stellte Luthers neue Anthropologie eine radikale Antwort auf das Unvermögen dar, die Gelübde der Ehelosigkeit und Keuschheit einzuhalten, und öffnete Klerus und Religiosen den Weg in die Laiengesellschaft, für die die Ehe konstitutiv und als "erste Ordnung im Paradies" legitimiert war. Die Laisierung des geistlichen Standes über die Eheschließung, so darf gefolgert werden, war die Kehrseite des "Priestertums aller Gläubigen".

Ausgehend von Sachsen, wo 1521 die ersten Priester heirateten, wird in Kap. 2 die dadurch entstehende Problemlage aufgerollt: die Zurückhaltung der führenden Reformatoren, mit Ausnahme Karlstadts, die wenig erfolgreich agierenden Bischöfe, die unterschiedlichen Reaktionen der beiden Landesherrn. Vor allem tritt die Eigendynamik der frühen evangelischen Bewegung hervor, die von den medial wirksamen Apologien der ersten heiratenden Priester ausging, denn vor allem sie verbreiteten die theologische Rechtfertigung für Klerikerehen und propagierten das neue Lebensmodell in den Jahren 1521-1523. In den beiden folgenden Jahren (Kap. 3) trugen die Priester ihre Eheschließung nicht allein publizistisch in die Öffentlichkeit, sondern inszenierten sie als lokales Ereignis in der Öffentlichkeit von "Straße und Kirche", nicht zuletzt, um den Unterschied zu den "heimlichen" Ehen, die nicht vom Konkubinat zu unterscheiden waren, zu betonen. 1525 waren alle führenden Reformatoren verheiratet. Doch erst als einige Territorien und Reichsstädte die Reformation einführten, konnten Priester ungefährdet heiraten.

Plummer unterstreicht die Bedeutung des Bauernkriegs für den Fortgang der Laisierung. Die Forderung nach der Verheiratung von Priestern wurde in einigen Bauernartikeln erhoben, vor allem aber schuf der Klostersturm für die aus ihren Klöstern vertriebenen Mönche und Nonnen eine neue Situation (Kap. 4). Hatten bereits vorher Mönche und Nonnen ihre Konvente mit der Begründung verlassen, dass die klösterliche Lebensweise nicht Gottes Wort entspreche, so standen nunmehr viele von ihnen unfreiwillig vor der Frage, wie sich ihre Zukunft angesichts ihrer prekären materiellen Lage gestalten würde. Die Mehrzahl der Mönche erstrebte eine stadtbürgerliche Existenz über die Erlernung eines Handwerks und die Heirat einer Bürgertochter oder - witwe. Beidem standen zunächst Stadträte, Bürgergemeinden und Familien ablehnend gegenüber. Die Situation der Nonnen war womöglich noch schwieriger, es sei denn, sie wurden von ihren Familien unterstützt oder erlangten eine Abfindung ihres Klosters, was sie als Ehepartnerinnen attraktiv machte.

Gleichzeitig ging der Kampf gegen das Konkubinat selbst in evangelischen Territorien weiter, wie Plummer am Konflikt des brandenburgisch-ansbachischen Markgrafen Casimir und seines Superintendenten Georg Vogtherr 1538 mit den Feuchtwanger Kanonikern zeigt (Kap. 5). Die Kanoniker bestritten nicht nur, dass sie mit Konkubinen lebten, sondern sahen - wie viele andere - keinen Unterschied zwischen einer Konkubine und einer Pfarrersfrau. Bis zur Auflösung des Stifts 1563 gelang es nicht, das Konkubinat abzuschaffen. Obwohl geistliche und weltliche Obrigkeiten überall im Reich mit Verboten und Sanktionen gegen das Konkubinat vorgingen, blieben sie so lange ohne Erfolg, wie die lokalen Gemeinden, die eher das Konkubinat duldeten als Angriffe auf ihre Ehefrauen und Töchter zu gewärtigen, sie dabei nicht unterstützten.

Die Situation der Frauen, die Priester und der Männer, die Nonnen heirateten, zu erforschen, ist wegen des Mangels an Selbstaussagen dieser Gruppe schwierig. Nur wenige wie die Straßburger Pfarrfrau Katharina Zell verfassten eine Rechtfertigung. Im Allgemeinen ist die Entscheidung, einen Priester zu heiraten, wohl als Glaubensbekenntnis zu werten, zumal eine unsichere Lebenssituation die Frauen erwartete. Gleich welcher Herkunft, ob Konkubine, (adelige) Nonne, Bürgertochter, alle waren der Diffamierung als "Pfaffenhure" ausgesetzt und mussten sich bemühen, durch "nachbarliches" Verhalten in der Gemeinde Akzeptanz zu erlangen, ja gemeinsam mit dem Pfarrer zum vorbildlichen christlichen Ehepaar zu werden. (Die unsichere Rechtsstellung der Pfarrwitwe und ihrer Kinder hätte sich am Beispiel Katharina v. Boras darstellen lassen.[1]) Bedeutete die Priesterehe für eine ehemalige Konkubine einen Aufstieg, so mussten heiratende Nonnen vielfach einen sozialen Abstieg in Kauf nehmen, vor allem wenn sie adeliger Herkunft waren.

Abschließend (Kap. 7) rekapituliert Plummer die bis 1530 andauernden scharfen Auseinandersetzungen um die heiratenden Priester, von denen einige bereits um 1530 zum alten Glauben konvertierten. Gleichzeitig begannen Gemäßigte auf beiden Seiten, u. a. Bucer und Melanchthon, vermittelnde Positionen zu entwickeln, um eine Kirchenspaltung zu vermeiden. In den 40er Jahren ließ die Intensität der Verfolgung heiratender Priester nach, auch in Erwartung des Konzils, doch machte das Interim 1547/48 dem ein Ende.

Plummers "aus den Quellen" gearbeitete, instruktive Studie vermittelt eine reiche Anschauung der sozialen Verwerfungen im Prozess der Laisierung, ohne die übergreifenden Fragestellungen aus den Augen zu verlieren, wobei die jedem Kapitel beigegebene weiterführende "Conclusion" hilfreich ist.


Anmerkung:

Pauline Puppel unter Mitarbeit von Stephan Buchholz: Zur Rechtsstellung der Katharina von Bora, in: Martin Treu (Hg.): Katharina von Bora. Die Lutherin, Wittenberg 1999, 33-51.

Heide Wunder