Rezension über:

Joseph Roisman: Alexander's Veterans and the Early Wars of the Successors, Austin: University of Texas Press 2012, 264 S., 2 Karten, 1 s/w-Abb., 1 Tabelle, ISBN 978-0-2927-3596-5, USD 55,00
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Rezension von:
R. Malcolm Errington
Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
R. Malcolm Errington: Rezension von: Joseph Roisman: Alexander's Veterans and the Early Wars of the Successors, Austin: University of Texas Press 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/21807.html


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Joseph Roisman: Alexander's Veterans and the Early Wars of the Successors

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In seinem lesenswerten Buch versucht Joseph Roisman die Quellen für die ersten Jahre nach dem Tode Alexanders des Grossen "gegen den Strich" zu interpretieren. So will er die Interessenlage der einfachen Soldaten, die den Diadochen für ihre ersten Kämpfe zur Verfügung standen, erkennen, sogar in den Vordergrund des Interesses rücken. Dass dieses Vorhaben nach Lage der Dinge besonders schwierig ist, gibt er unumwunden zu, erklärt aber in einem programmatischen Kapitel seine Vorgehensweise. Dass er ein in den letzten Jahren mehrmals im Detail behandeltes Gebiet erneut beackern will, und zwar in narrativer Form, hat allerdings das Nebenergebnis, dass er viele in der letzten Zeit schon mehrmals ausführlich behandelte Ereignisse wieder aufzählen muss, um seinen eigenen besonderen Schwerpunkt herauszustellen. Dies wirkt leicht ermüdend, wenn auch wohl unvermeidlich.

Der Inhalt ist leicht zu schildern. In sieben Hauptkapiteln behandelt Roisman in chronologischer Reihenfolge die Ereignisse von Alexanders erster bekannter Auseinandersetzung mit den Soldaten in Indien bis zum Tod des Eumenes von Kardia im Jahr 316. Es geht vor allem um jene Ereignisse, bei denen die Soldaten oder einzelne Gruppen davon als selbständig agierende politische Kräfte in den Quellen erwähnt werden. In allen Fällen handelt es sich um sog. Krisensituationen, um zum Ausbruch gekommene Meinungsverschiedenheiten mit dem jeweiligen Kommandeur, auch - zumal für die Hauptquellen - um das Krisenmanagement der Heerführer. Vorangestellt ist ein programmatisches Kapitel über das Quellenwerk des Zeitgenossen Hieronymos von Kardia, die verlorene Hauptquelle für die erhaltenen späteren Darstellungen von Diodor von Sizilien und Plutarch in seiner Eumenesbiographie. Roisman folgt Jane Hornblower indem er auch auf Hieronymos' Betonung des Eigeninteresses (idiopragia) als Motivation, insbesondere bei den Konkurrenten und Gegnern des Eumenes, aufmerksam macht. Dies hält er zunächst nur als literarisches Motiv bei Hieronymos fest, aber gerade bei den ersten Diadochen dürfte dies nicht nur ein literarisches Motiv gewesen sein. Er stellt auch eine elitäre Haltung ("elitist approach") bei Hieronymos fest, wobei er die besondere Beschäftigung mit den Führungspersönlichkeiten als Triebkräfte der historischen Entwicklung meint. Roisman weiß selbstverständlich, dass eine derartige Interessenlage bei einem Militärhistoriker nichts Neues war (18). Für sein Thema ist es zwar hinderlich, doch entsprach Hieronymos' Haltung mit ziemlicher Sicherheit auch der Haltung der führenden Makedonen der Zeit; für sie waren die Soldaten (wie für Alexander selbst) nur ein Mittel zum Zweck (was auch immer das jeweils gewesen sein mag), die es zwar zu pflegen galt (sonst wäre das Ziel nicht zu erreichen), die aber ansonsten unter militärischer Disziplin standen, d.h. sie waren Befehlsempfänger ("Kanonenfutter"). Es gibt keinen antiken (oder modernen?) Militärhistoriker, der in Hinblick auf die Erreichung von Kriegszielen die vermeintlichen Interessen der Truppe über jene der Oberkommandierenden stellte. Insofern stellt Roisman hier nur eine Selbstverständlichkeit fest, die er zwar bedauert, weil es ihn zwingt, manchmal unvermeidlich recht spekulativ vorzugehen, die er aber versucht durch besondere Beachtung der Handlungsweisen der Soldaten zu konterkarieren. Hieronymos war gewiss kein Marxist. Ob er eher als andere Historiker deswegen das Adjektiv "elitär" verdient, mag dahingestellt sein.

In Detail bieten die sieben Sachkapiteln eine inhaltsreiche, quellenbezogene und differenzierende Analyse der kritischen Situationen der frühen Diadochengeschichte, wobei auch eine Auseinandersetzung mit der neuesten Forschungsliteratur Platz findet. Besonders gelungen sind m.E. die Teile, wo die Quellen trotz Hieronymos' grundsätzlichen Desinteresses dennoch mehr Material über die Truppe bieten, etwa bei der Behandlung der Ereignisse in Babylon im Sommer 323 (Kap.2) sowie in den zwei Kapiteln (7 und 8), wo es um Eumenes und die sog. Silberschildner - eine alte Veteranentruppe - geht, welche Hieronymos besonders in den Vordergrund der Auseinandersetzung zwischen Eumenes und Antigonos stellte. Hier ist es Roisman gut gelungen, aus den Quellen Ansätze zu einer "Geschichte von unten" zu entwickeln und einige von Hieronymos stammenden Mythen bezüglich dieser Männer zu korrigieren. Nicht gänzlich überraschend allerdings muss er feststellen, dass die Soldaten, wenn sie doch als Gruppe politisch tätig wurden, normalerweise eher reaktiv ablehnend gegenüber Plänen der Generalität standen, als eigene Vorstellungen zu entwickeln.

Zwei Dinge irritieren an diesem insgesamt interessanten und lesenswerten Buch. Roisman schreibt, er übernimmt den wahrscheinlich richtigen chronologischen Kompromiss von Boiy für diesen Zeitraum (vgl. meine Rezension in Sehepunkte 8 (2008) Nr. 7: http://www.sehepunkte.de/2008/07/14317.html), bietet aber drei verschiedene Datierungen für das Kernereignis, von welchem die ganze Rekonstruktion der Chronologie abhängt, die Verhandlungen von Triparadeisos: J.321 (15), 321/0 (35), 320 (93), Sommer 320 (145). Da die damit zusammenhängenden Ereignisse in Ägypten, Europa und Kleinasien, die er auch behandelt, von dieser Unsicherheit betroffen sind, weiss man nie, was Roisman eigentlich will. Kompromiss kann aber nicht heißen, Chaos zu stiften. Boiys Ansatz ist es auf jeden Fall nicht. Der zweite Punkt geht wohl zu Lasten des Verlags: es ist nicht einzusehen, warum griechische Zitate, ausser termini technici, in lateinischer Schrift wiedergegeben werden. Wer kein Griechisch kann, kommt auch mit Ungetümen wie z.B. (28) oudemian phonēn agennē nicht zurecht, Griechischkundige können nur den Kopf schütteln.

R. Malcolm Errington