Rezension über:

Gero Seelig / Dirk Blübaum (Hgg.): Die holländische Genremalerei in Schwerin. Bestandskatalog Staatliches Museum Schwerin, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2010, 296 S., 186 Farbabb., ISBN 978-3-86568-614-5, EUR 26,95
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Rezension von:
Katja Kleinert
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Katja Kleinert: Rezension von: Gero Seelig / Dirk Blübaum (Hgg.): Die holländische Genremalerei in Schwerin. Bestandskatalog Staatliches Museum Schwerin, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/19896.html


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Gero Seelig / Dirk Blübaum (Hgg.): Die holländische Genremalerei in Schwerin

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Bei der Publikation Die holländische Genremalerei in Schwerin handelt es sich sowohl um den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung als auch um ein umfassendes Bestandsverzeichnis. Die Autoren bieten hier erstmals einen vollständigen, illustrierten Überblick über den kostbaren Besitz holländischer Genremalerei des 17. und 18. Jahrhunderts in Schwerin. Mit der Veröffentlichung wagen sie zudem den Spagat zwischen einem für das breite Publikum zugänglichen Ausstellungskatalog und der wissenschaftlichen Erschließung eines wichtigen Sammlungsschwerpunkts. Schwerin legt damit das dritte in einer Reihe von Verzeichnissen eines jeweils begrenzten Bereichs der niederländischen Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts vor. [1]

Dem eigentlichen Katalogteil sind insgesamt drei Aufsätze vorangestellt. Im ersten geht Gero Seelig ausführlich auf die Schweriner Sammlungsgeschichte ein, die vor allem von Christian Ludwig II. Herzog zu Mecklenburg-Schwerin geprägt wurde. Während seiner Regierungszeit fand der größte Teil an Erwerbungen statt, darunter auch die beiden umfangreichen und finanziell aufwendigen Käufe in den Jahren 1733 und 1735, über die einige der bedeutendsten Genrestücke nach Schwerin gelangten. Bereits 1840 war der heutige Bestand an Genremalerei fast vollständig vorhanden, und in der Folgezeit gelangten nur noch wenige zusätzliche Stücke in die Sammlung. Die Schweriner Bestände spiegeln somit "die Bedürfnisse fürstlicher Repräsentation" (10) weitgehend unverzerrt wider. Diese Tatsache ist für das Verständnis und die Beurteilung der Schweriner Sammlung von großer Bedeutung. Als sehr erhellend erweist sich in diesem Zusammenhang der Abschnitt "Realität der Werke". Detaillierte sachliche Beobachtungen zu den Objekten bieten dem Leser interessante Einsichten und Erkenntnisse zu den Bildrückseiten oder an den Werken vorgenommenen Formatveränderungen. So passte man der besseren Raumgestaltung und Hängung wegen Bildformate den räumlichen Gegebenheiten an. In der Regel handelte es sich dabei um Formatvergrößerungen, mit dem Ziel, "die Zwischenräume auf der Wand zu füllen" (17). In anderen Fällen kam es mitunter auch zu ungewöhnlich umfangreichen Beschneidungen einzelner Bilder. In den entsprechenden historischen Kontext integriert, erweisen sich diese Informationen als sehr aufschlussreich für die Provenienz und den historischen Umgang mit Bildern in Schwerin. An dieser Stelle wünschte man sich allerdings noch mehr Informationen, sind es doch gerade auch solche am Objekt selbst gemachte Beobachtungen, die überraschende Erkenntnisse bringen und bisher ungeahnte Zusammenhänge sichtbar werden lassen. Dichter ist der konkrete Bezug vom Bild als Gegenstand zu seiner historischen Einbettung kaum herzustellen. Damit bildet dieser Abschnitt eine äußerst sinnvolle Ergänzung zu den Ausführungen über Sammlungspolitik und Erwerbungsgeschichte in Schwerin.

Als zweiter umfangreicher Aufsatz ist das Kapitel zur Leidener Feinmalerei von Ellis Dullaart zu nennen. Hier wird dem Leser zunächst ein Überblick über die Stadt Leiden, ihre wirtschaftliche und kulturelle Situation sowie über die verschiedenen Generationen von Feinmalern verschafft. Im Folgenden geht Dullaart allgemein auf die Sammeltätigkeit des 18. Jahrhunderts und auf das Sammeln von holländischen Gemälden in Schwerin im Besonderen ein. Dabei werden Informationen des ersten Aufsatzes teilweise wiederholt, teilweise aber auch weiter ausgeführt und ergänzt, etwa wenn es um die Hängung und Präsentation der Gemälde geht. Hier verliert sich der direkte thematische Bezug zu den Leidener Feinmalern indes weitgehend. Es hätte sich angeboten, diese für den Katalog wertvollen Informationen in den ersten Aufsatz zur Sammlungsgeschichte zu integrieren. Obgleich der Text verständlich und flüssig geschrieben ist, muss an dieser Stelle die Frage gestellt werden, wie sinnvoll eine derart ausführliche Behandlung der Leidener Feinmalerei im Kontext des Kataloges tatsächlich ist, gehört doch nur eine vergleichsweise kleine Anzahl der Schweriner Genrebilder zu dieser Gruppe, wenngleich sich darunter einige herausragende Stücke finden.

Im dritten und letzten Aufsatz mit dem Titel "Rembrandts Ruhm - vom Wandel der Zuschreibungen" thematisiert Gero Seelig schließlich eine größere Gruppe von Gemälden, die ehemals als Werke Rembrandts galten, heute jedoch anderen Künstlern zugeschrieben werden. Bedauerlicherweise ist der Schweriner Sammlung heute kein einziges eigenhändiges Werk von Rembrandt mehr geblieben. Die Auswertung dieses speziellen Bereichs der Sammlungsgeschichte liefert jedoch interessante Einsichten in Geschmack und Kennerschaft der vergangenen Jahrhunderte und eröffnet ungewohnte Perspektiven zur Wahrnehmung und Wertschätzung einzelner Künstler und Gemälde. So kann man heute nur darüber staunen, dass Carel Fabritius' "Torwache", die "Bäuerin in der Küche" aus dem Umkreis des flämischen Malers Davids Ryckaert III. sowie "Die Alte Frau in der Küche" von Willem Kalf als Werke Rembrandts galten. In anderen Fällen jedoch, etwa bei den Historienstücken von Salomon Koninck, ist diese Zuordnung weitaus nachvollziehbarer. Es zeigt sich denn auch, dass es sich bei dem größten Teil der ehemals Rembrandt zugeschriebenen Gemälde um Historienbilder handelt. Es ist ein verständliches Anliegen der Autoren, diese Werkgruppe gemeinsam zu besprechen. Da die Schweriner Bestandskataloge jedoch nach Gattungen getrennt aufgebaut sind, fragt man sich, ob es nicht überzeugender gewesen wäre, den Aufsatz in einem Bestandskatalog zur Historienmalerei unterzubringen.

Der sich anschließende Bestandskatalog umfasst insgesamt 180 Gemälde (einschließlich ehemals vorhandener Bilder). Die einzelnen Werke sind jeweils farbig abgebildet und werden in einigen Fällen von Vergleichsabbildungen ergänzt. Nach einer kurzen biografischen Einführung zu dem jeweiligen Künstler folgen Angaben zur Technik, Provenienz, maltechnischem Befund, Literatur und Ausstellungen. Insgesamt ist der Katalog damit sehr viel ausführlicher angelegt und großzügiger gestaltet als es noch der Bestandskatalog zu den flämischen Gemälden von 2003 war. Auch die damalige, etwas unglückliche Zweiteilung von Ausstellungskatalog und sehr knapp gefasstem Bestandskatalog wurde hier aufgehoben. Positiv fällt auch der Mut auf, unrestaurierte und deutlich schadhafte Gemälde wie die an Gabriel Metsu zugeschriebene "Alte Frau" in Farbabbildung und mit allen dazugehörigen Angaben zu publizieren. Das Bild zeichnet sich nicht nur durch eine für das 17. Jahrhundert überaus interessante Materialkombination aus, es handelt sich zudem um eine Neuzuschreibung, wurde das Gemälde doch bis vor kurzem noch als "Kopie nach Peter Paul Rubens" bewertet. [2] Wie wichtig besondere maltechnische Befunde auch von kunsthistorisch weniger interessanten Bildern sein können, zeigt ein Werk von Jan Miense Molenaer d.J.: Dessen Bildträger wurde vermutlich aus Abfallholz hergestellt, das ohne Grundierung auf ein bereits vorhandenes altes Gemälde aufgebracht, also zweitverwendet wurde. Derartige Informationen bieten wichtige Wissensbausteine zum Werkprozess der Maler sowie zu Fragen nach den Produktionsbedingungen und dem Kunstmarkt.

Insgesamt ist der Katalog angenehm übersichtlich, verständlich und fundiert geschrieben, auf eine ausufernde Wiedergabe des Forschungsstandes und übertrieben detaillierte Befunde zur Maltechnik wird verzichtet. Damit dokumentiert die Publikation sowohl für das Fachpublikum als auch für den interessierten Laien neben neuesten Erkenntnissen vor allem eines: den großen qualitativen Reichtum und die erstaunliche Vielfalt der holländischen Genremalerei des Schweriner Museums. Es ist ein großes Verdienst der Autoren, den Schatz vieler bislang auch wenig bekannter, jedoch wunderbarer Genrebilder aus den Beständen der Schweriner Sammlung auf diese Weise wieder ans Licht geholt zu haben.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Kornelia von Berswordt-Wallrabe (Hg.): Stillleben des goldenen Zeitalters: die Schweriner Sammlung, Schwerin 2000; Gero Seelig: Jan Brueghels Antwerpen. Die flämischen Gemälde in Schwerin, hg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Schwerin 2003.

[2] Seelig 2003, 147.

Katja Kleinert