Rezension über:

Monika E. Müller (Hg.): Schätze im Himmel - Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim (= Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Nr. 93), Wiesbaden: Harrassowitz 2010, 472 S., ISBN 978-3-447-06381-4, EUR 49,80
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Rezension von:
Harald Wolter-von dem Knesebeck
Abteilung Klassische Archäologie, Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Harald Wolter-von dem Knesebeck: Rezension von: Monika E. Müller (Hg.): Schätze im Himmel - Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim, Wiesbaden: Harrassowitz 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/12/18879.html


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Monika E. Müller (Hg.): Schätze im Himmel - Bücher auf Erden

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Der hier zu besprechende Katalog- und Aufsatzband stellt eine willkommene Ergänzung zu dem Tagungsband dar, der ebenfalls anlässlich der 1000-Jahrfeier der Weihe von St. Michael in Hildesheim entstanden und gerade erst erschienen ist. [1] Im Fokus der Wolfenbütteler Publikation stehen hierbei die mittelalterliche Buchkunst und Buchkultur Hildesheims. Hierzu gab der Erwerb des Bernward-Psalters für die Bibliothek in Wolfenbüttel (Kat.-Nr. 17) Anlass, konnte doch um diese Handschrift ein von der Herausgeberin geleitetes Forschungsprojekt in Wolfenbüttel initiiert werden, dessen Ertrag sich vielfach in der Publikation widerspiegelt - und jetzt auch zu einer Monografie durch Monika E. Müller geführt hat. [2] Entsprechend liegt der Schwerpunkt des Buchs auf dem Zeitraum von der ottonischen Zeit bis zum 12. Jahrhundert, ergänzt um dankenswerte Ausblicke in das Spätmittelalter.

Der Katalogteil versammelt 60 Objekte, vornehmlich reich illuminierte oder kulturwissenschaftlich beziehungsweise bildungsgeschichtlich interessante Handschriften. Hierbei sind neben den Hildesheimer Institutionen Dom und St. Michael auch die Benediktinerklöster Corvey und Helmarshausen als Zentren der Buchproduktion präsent, ebenso wie das gerade im 12. Jahrhunderts recht gut mit Hildesheim vergleichbare Bistum Halberstadt (vgl. etwa Kat. Nr. 56-60). Einen Kernbereich der Publikation bilden diejenigen Bücher rund um den Bernward-Psalter, die für Bischof Bernward von Hildesheim (amtierte 993-1022) entstanden sind - und unter diesen insbesondere die mit dem Namen des Regensburger Schreibers und Diakons Guntbald (Kat. 14-17) verbundenen Codices, zu denen auch der Bernward-Psalter zählt. Guntbald ist heute zudem der einzige noch namentlich fassbare "Künstler" aus dem umfangreichen für Bischof Bernward tätigen Kreis, was seinem Status als Kleriker zu verdanken sein könnte.

Deutlich dünner ist das 13. Jahrhundert besetzt (Kat. 12, 26). Es schlägt sich auch in den Aufsätzen weniger nieder, als es die Verbindung von damals entstandenen Handschriften zu Hildesheim erlaubt hätte. So wären etwa das Wolfenbütteler Musterbuch (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 61.2 Aug. 8°) und sein Umfeld, insbesondere der sogenannte Donaueschinger Psalter (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Don. 309) einbeziehbar gewesen, sind beide doch eng mit der Holzdecke von St. Michael in Hildesheim verbunden.

Auch bei der eindrucksvollen Reihe von Aufsätzen im ersten Teil des Buchs liegt der Schwerpunkt auf der Zeit zwischen 1000 und 1200. Sie werden nun flankiert durch die Publikation von Vorträgen zur Ausstellung. [3] Neben der Bistums- und Bildungsgeschichte werden im Ausstellungskatalog die (Aufbewahrungs-)Orte und Funktionsräume der Bücher in Liturgie, Bibliothek und Schule behandelt. Auch die Bedeutung des Kults des 1192/93 endgültig heiliggesprochenen Bernwards für Bewahrung alter und die Genese neuer Handschriften (Monika E. Müller) ist ein Thema.

Ebenso wird der Umgang der Mönche und Augustinerchorherren mit den Büchern im Rahmen der (frühscholastischen) Gelehrsamkeit des 12. Jahrhunderts betrachtet, die sich mit dem Namen des möglicherweise aus Sachsen nach Paris gekommenen Hugo von St. Viktor verbinden lässt. Hier ist das von Christian Heitzmann analysierte Testament des Hildesheimer Bischofs Bruno (amtierte 1153-1161) mit seiner umfangreichen Stiftung vor allem aktueller Buchformen und Titel wie einer vielbändigen glossierten Bibel und den Werken des Hugo von St. Viktor ein zentrales Dokument. Ergänzt wird dies um den Blick, den Felix Heinzer auf die Lektürepraxis der Mönche innerhalb einer monastischen Kultur des Hochmittelalters wirft, die sich "grundsätzlich im Spannungsfeld von biblisch-patristisch fokussierter Tradition und klassischem Erbe" (110) bewegte. Vor diesem Hintergrund versucht Monika E. Müller, sich dem "intellektuellen Klima" des Klosters St. Michael von Seite der dort entstandenen Miniaturen zu nähern, wobei sie den Darstellungen der Prudentia beziehungsweise der Divina Sapientia und deren Rezeption der Schriften des Rupert von Deutz nachgeht.

Kodikologische Einblicke vermitteln Beiträge zu Bucheinbänden aus Hildesheim (Helmar Härtel) oder zu den verschiedenen, in erstaunlicher Vielfalt erhaltenen mittelalterlichen Lesezeichen und Lesehilfen, den "Registerknöpfen und Leserädchen" (Bertram Lesser). Den in den Handschriften Bernwards verwendeten Farbmaterialien, darunter auch Gold und Silber, widmen sich Robert Fuchs und Doris Oltrogge.

Kunsthistorisch relevante Einzelergebnisse ergeben sich hierbei an vielen Stellen. Bernhard Gallistl verweist auf einen Vorgänger Bernwards, Bischof Othwin (amtierte 954-984), dessen gute Kontakte zur Reichenau und seine Buchbeschaffungen vielleicht auch noch unter Bernward nachwirkten und für seine Handschriftenbestellungen und die Hildesheimer Handschriftenproduktion von Bedeutung gewesen sein mögen. Werner Jacobsen (53f.) betont die Sichtbeziehungen zwischen dem Marienaltar am Grabe Bernwards in der Westkrypta von St. Michael zur Bernwards Säule am Ostende des Langhauses, in die am Anniversartag Bernwards vermutlich auch sein Kostbares Evangeliar eingebunden war.

David Ganz betrachtet verschiedene Typen von Prachteinbänden im Hinblick auf ihre Nutzung beziehungsweise ihre optisch-liturgische Inszenierung, um dann die Art und Weise, in der Stifter wie Bernward auf ihnen und mit ihnen beständig präsent sein wollten, zu analysieren. Seine Ansicht, dass die ottonischen Auftraggeber hierbei auf eine ikonografische Passgenauigkeit der mittelbyzantinischen Elfenbeine, die sie auf ihren Prachteinbänden anbringen ließen, wenig Wert legten, greift aber wohl zu kurz. Dies mag etwa die sehr sinnvolle Verteilung eines byzantinischen Tryptychons auf ein Set liturgischer Handschriften des Bischofs Sigebert von Minden (amtierte 1022-1036) zeigen. [4]

Monika E. Müller (besonders 88-92) kann gerade für das 12. Jahrhundert ein wesentlich komplexeres Bild von der Produktion des Skriptoriums von St. Michael als bisher entwerfen, in das so wichtige Codices wie das Ratmann-Sakramentar (Hildesheim, Dom-Museum, DS 37) und das Stammheimer Missale (Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Ms. 64) einzubetten sind.

Es sind die besonderen Chancen, die ein Handschriftenbestand wie der Hildesheimer und ein Forschungszentrum wie Wolfenbüttel ergeben, die in diesem Band zu einem in vorbildlicher Weise vielgestaltigen und weitere Forschungen anregenden Überblick über die ottonische und romanische Buchkunst und Buchkultur Norddeutschlands führten.


Anmerkungen:

[1] Gerhard Lutz / Angela Weyer (Hgg.): 1000 Jahre St. Michael in Hildesheim. Kirche - Kloster - Stifter (= Schriften des Hornemann Instituts; Bd. 14), Petersberg 2012.

[2] Der Bernward-Psalter - Herzog August Bibliothek (= Patrimonia; Bd. 343), Berlin / Wolfenbüttel 2012.

[3] Monika E. Müller / Christian Heitzmann (Hgg.): Einen Platz im Himmel erwerben. Bücher und Bilder im Dienste mittelalterlicher Jenseitsfürsorge. Vorträge zur Ausstellung "Schätze im Himmel - Bücher auf Erden" (= Wolfenbütteler Hefte; Bd. 32), Wiesbaden 2012.

[4] Vgl. Anton von Euw: Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (= Monasterium Sancti Galli; Bd. 3), St. Gallen 2008, Bd. 1, 242ff., Kat. Nr. 149-156.

Harald Wolter-von dem Knesebeck