Rezension über:

Karin Friedrich: Brandenburg - Prussia, 1466-1806. The Rise of a Composite State (= Studies in European History), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, XXIV + 157 S., 7 s/w-Karten, ISBN 978-0-230-53565-7, GBP 16,50
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Rezension von:
Michael Kaiser
Max Weber Stiftung, Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker / Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kaiser: Rezension von: Karin Friedrich: Brandenburg - Prussia, 1466-1806. The Rise of a Composite State, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/22225.html


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Karin Friedrich: Brandenburg - Prussia, 1466-1806

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Die in Aberdeen lehrende Spezialistin für preußische Geschichte hat eine Einführung in die Geschichte Brandenburg-Preußens in der Vormoderne vorgelegt. Das Genre des textbook verlangt Komprimierung und Beschränkung auf das Wesentliche - und wenn die hier vorzustellenden knapp 350 Jahre auf knapp 120 Seiten zusammenschnurren, ist dies ein Unterfangen, das nur gelingen kann, wenn markante Schwerpunkte gesetzt werden und eine Grundidee die Darstellung trägt. Nun lag der Fokus der Forschungen Karin Friedrichs auf der preußischen, nicht der brandenburgischen Geschichte, und dies bestimmt auch ihren Ansatz in diesem Buch. Sie betont besonders die preußischen Wurzeln der Geschichte Brandenburg-Preußens, die auch dann noch sehr stark wirksam gewesen seien, als sich der Herrschaftsschwerpunkt deutlich nach Westen verlagert habe. Der Aspekt der "Prussian legacy" (8) zieht sich dann auch wie ein roter Faden durch die Darstellung.

Das Thema hat zudem eine umstrittene historiographische Tradition, die durch nationalistische Perspektiven sowohl auf preußisch-deutscher wie auch polnischer Seite gekennzeichnet ist. Auch diesen Kontext hat die Autorin stets im Blick und verweist immer wieder auf Ereignisse, deren Deutung von diesen historiographischen Vereinnahmungen geprägt wurde. Die Darstellung gliedert sich in sechs Kapitel, die weitgehend der Chronologie folgen, aber dabei thematische Schwerpunkte setzen.

Den Auftakt bildet die Geschichte des Deutschen Ordens von der Landnahme bis zur Säkularisation 1525, eine Phase, die konstitutiv war für die Herausbildung der selbstbewussten Städte und des preußischen Landadels als intermediäre Gewalten sowie der Trennung in ein königliches (polnisches) und ein herzogliches Preußen. Dass letzteres noch unter die Lehensabhängigkeit der polnischen Krone kam, wertet Friedrich weder als Niederlage des Ordens noch als verpasste Chance des polnischen Königtums, ganz Preußen zu inkorporieren (beide Sichtweisen spiegeln die jeweils nationalistische Sicht früherer Jahrzehnte), sondern als für beide Seiten sinnvollen Kompromiss (20 f.). Der zweite Abschnitt folgt dem Stichwort der Staatsbildung und thematisiert Aspekte der Primogenitur, der Justiz, der Behördenentwicklung und der Rekrutierung der Amtsleute im Hinblick auf deren integrative Kraft innerhalb der zusammengesetzten Hohenzollernmonarchie. Im Weiteren wird der Stellenwert des Militärs für die Herausbildung von Staatlichkeit angesprochen sowie der Faktor der Konfession. Auch wenn der Calvinismus als prägend für die brandenburg-preußische Staatsbildung angesehen wird, weist Friedrich darauf hin, dass dies nur einen sehr etatistischen Ansatz darstellt, der regionale, landständische und andere, vor allem kirchliche Faktoren ausblendet (42).

Die große Bedeutung regionaler Varietäten wird erneut im dritten Kapitel deutlich, wenn es um ständische Strukturen geht. Die Autorin skizziert die Entwicklung in den verschiedenen Territorien, wobei sie besonderes Augenmerk auf die Konflikte der Hohenzollern mit den regionalen Eliten und den dort bewahrten Machtstrukturen des Landadels legt. Neben den preußischen Ständen zeigten sich vor allem die Territorien am Niederrhein (aus Herrschersicht) widerborstig: Hier sei allerdings angemerkt, dass sich das Selbstbewusstsein der klevischen Stände, anders als die Autorin es sieht (51 f.), direkt aus der militärischen Präsenz der Generalstaaten wie auch aus dem nach wie vor offenen Erbfolgestreit in Jülich-Kleve ableitete, so dass bis 1666 eine Huldigung der Stände und damit eine wirkliche Herrschaftsübernahme durch die Hohenzollern unterblieben war. Abschließend wird ein differenzierteres Bild der Gutsherrschaft gezeichnet, die gerade im europäischen Vergleich viel von ihrem traditionellen Schrecken verliert.

Das vierte Kapitel wendet sich erneut den inneren Verhältnissen zu, vor allem im 18. Jahrhundert. Prägende Stichworte sind hier Hof und Militär; bezeichnenderweise fehlt die Bürokratie. Friedrich konstatiert zwar eine Entpolitisierung des Hofes, doch ging diese Entwicklung nicht mit dem Aufbau eines reibungslos funktionierenden bürokratischen Apparats einher. Vielmehr entspannen sich Uneindeutigkeit in der Zuständigkeit und Verantwortung einzelner Minister, während die Kompetenzen immer stärker in der Hand des Monarchen zusammenflossen. Im fünften Abschnitt nimmt die Autorin die auswärtige Politik in den Blick, auch hier mit einem Schwerpunkt im 18. Jahrhundert. Dabei versäumt sie nicht, die Rückprojizierung außenpolitischer Ambitionen ins 17. Jahrhundert als Mythos zu demaskieren: Der Große Kurfürst sei doch nur ein "relatively small fry in the larger European picture" gewesen (79). Besonderes Augenmerk kommt wenig überraschend Friedrich dem Großen zu, dessen Größe jedoch gleich mit einem Fragezeichen versehen wird ("Prussia's Greatest King?"): Entsprechend kritisch fällt die Bilanz für diesen König aus (89-94), wobei auch jüngere biographische Wertungen einbezogen werden. Kunischs Versuch etwa, Friedrichs Absichten auf Polen als nicht genuin geplant zu relativieren, tut Karin Friedrich als "bizarre" ab (93).

Die kritische Würdigung Friedrichs setzt sich im folgenden sechsten Kapitel fort, in dem Aufklärung und Öffentlichkeit im Vordergrund stehen. Bei der Frage nach der Einschätzung des aufgeklärten Absolutismus verweist die Autorin auf die Reformtätigkeit des Monarchen und entdeckt in der historiographischen Wahrnehmung die Schieflage, dass Friedrich Wilhelm I. deutlich stärker reformerisch tätig gewesen ist als sein Sohn Friedrich II., im Gegensatz zu ihm aber überhaupt nicht mit dem Begriff der Aufklärung in Zusammenhang gebracht wird (97). Wie brüchig liebgewonnene Erkenntnisse sind, erweist auch der Begriff der Toleranz (101-108). Neuere Forschungen lassen wenig von der üblicherweise behaupteten preußischen Toleranzpolitik etwa gegenüber den Juden übrig (wobei seltsamerweise nur ein Aufsatz, nicht aber die gewichtige Dissertation von Tobias Schenk angeführt wird).

Eine knappe Zusammenfassung bilanziert am Ende die Leistung des brandenburg-preußischen Wegs bis 1806 (114-117): Hier stellt Karin Friedrich fest, dass es ungeachtet vielfältiger Bemühungen nicht gelang, die zusammengesetzte Monarchie durch ein vereinheitlichendes, preußisches Einheits- oder gar Nationalgefühl zu stabilisieren. Den Grund dafür sieht die Autorin in der mangelnden Einbeziehung partizipatorischer Elemente in die Herrschaftskultur der Hohenzollernmonarchie, wodurch erst die Grundlage für eine solche einheitsstiftende Staatsidee geschaffen worden wäre.

Anregungen und Vorbilder hätten aber im ostmitteleuropäischen Umfeld zur Verfügung gestanden, doch die Teilungen Polens hatten einen Staat beseitigt, dessen Verfassung gerade höchst erfolgreich modernisiert worden war (94). Dass dieses politische Erbe auch noch für Preußen fruchtbar wurde, geschah durch westpreußische Adlige, deren aufgeklärte Vorstellungen dem preußischen Staat nach 1806 zugutekommen sollten (97 f.). Die hier beispielhaft sichtbar werdende, vielleicht sogar etwas übertrieben positive Betonung der politischen Kultur Ostmitteleuropas für das preußische Erbe wird auch noch im Kontext der ständischen Partizipation bedeutsam. Gerade mit Blick auf das Absolutismus-Konzept konstatiert die Autorin, dass der Modernisierungsschub, der mit absolutistischen Ansätzen in Verbindung gebracht wird, nur unter Einbeziehung partikularer Gewalten erfolgen konnte, jedoch nie allein durch den Herrscher (57). Dem ist zwar zuzustimmen, doch verwundert hier die Betonung preußisch-polnischer Vorbilder, dass eben nicht nur in den östlichen Territorien, sondern auch in den westlichen Landesteilen eine libertäre Kultur blühte und Bestand hatte. Daher ist nicht nur der Verweis auf den Niederländer Lipsius als Kronzeugen für konfessionelle Uniformität wichtig (36), sondern der generelle niederländische Einfluss auch im politischen Denken und der politischen Kultur wäre mehr zu würdigen gewesen. Hier wird der Blick nach Osten allzu starr und befördert eine Engführung der Argumentation.

Ein grundsätzliches Problem für die Darstellung insgesamt birgt diese Perspektive allerdings nicht. Vielleicht ist es sogar einmal angemessen, der ansonsten stets prävalierenden Westorientierung einmal ein preußisches im Sinne von ostmitteleuropäisches Erbe gegenüberzustellen. Ansonsten überzeugt das Buch durch eine durchweg ausgewogene Balance in der Rezeption klassischer und neuer Forschungsansätze, so dass immer wieder überkommene Vorstellungen korrigiert, ein übertriebener Revisionismus aber auch explizit in die Schranken gewiesen wird (vgl. 63, 77). Insgesamt handelt es sich damit um ein ebenso knapp geschriebenes wie klug komponiertes Buch, das nicht nur in der englischsprachigen akademischen Welt für Orientierung sorgen kann.

Michael Kaiser