Rezension über:

John Kent: America, the UN and Decolonisation. Cold War Conflict in the Congo (= LSE - International Studies), London / New York: Routledge 2010, XII + 244 S., ISBN 978-0-415-51010-3, GBP 26,00
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Rezension von:
Katrin Zippel
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Katrin Zippel: Rezension von: John Kent: America, the UN and Decolonisation. Cold War Conflict in the Congo, London / New York: Routledge 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/22310.html


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John Kent: America, the UN and Decolonisation

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Schaut man, welche Themen in den 1960er Jahren die meisten Regalmeter der US-Regierungs-Archive füllten, so waren es nicht - wie vielleicht zu erwarten wäre - die Sowjetunion, Kuba oder Deutschland. Nach Vietnam war es die Beschäftigung mit der Situation in der heutigen Demokratischen Republik Kongo, die so genannte "Kongokrise", die zu den meistdiskutierten Themen gehörte (2). Die Bedeutung dieses Konflikts wird nun auch in der aktuellen Forschung zunehmend wiederentdeckt und bildet das Thema von John Kents Studie America, the UN and Decolonisation. Cold War Conflict in the Congo. Immerhin ging es nach Auffassung der Zeitgenossen im Kongo in den 1960er Jahren um nicht weniger als die Zukunft des internationalen Systems nach dem Ende kolonialer Herrschaft; das riesige zentralafrikanische Land galt gewissermaßen als Schlüssel für den gesamten Kontinent.

Die ältere Literatur beschreibt den Konflikt als eine der schwersten Krisen des Kalten Krieges, in deren Zentrum der erste kongolesische Premierminister, Patrice Lumumba, und dessen Ermordung 1961 steht. Dabei wurde oft vernachlässigt, dass es sich zu einem wesentlichen Teil um eine Dekolonisierungskrise nach dem Ende des besonders brutalen belgischen Kolonialregimes handelte. Die militärische Intervention der UN-Blauhelme im Kongo, ein Ereignis mit weitreichenden Folgen für die UNO, wurde ebenfalls wenig, und wenn, dann ebenfalls meist durch die Brille des Kalten Krieges, betrachtet. Dieser recht enge Fokus hat sich in den letzten Jahren erweitert; das Verhältnis von Dekolonisierung und Kaltem Krieg steht auch im Zuge der gewandelten Cold War Studies immer häufiger im Mittelpunkt. So steigt in den letzten Jahren das Interesse an der Kongokrise und der ersten UN-Operation im Kongo.

Kents Werk ist eine dieser neueren Studien, die die Kongokrise in den Mittelpunkt der Analyse stellen, sie aber aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. John Kent, Reader for International Relations an der London School of Economics, legt den Fokus auf die internationalen Verflechtungen der kongolesischen Wirtschaft. Der Kongo war und ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt, und die Erträge aus dem Bergbau machen einen wesentlichen Teil der kolonialen wie postkolonialen Wirtschaft aus. Eine wichtige Weltmarktposition hatte das Land vor allem als Lieferant für Kupfer und Diamanten (heute auch Coltan). Die Uranlieferungen aus der kongolesischen Provinz Katanga stellten zudem die Versorgung der USA mit atomwaffenfähigem Material sicher - das Plutonium der über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben war aus katangesischem Uran gewonnen worden. Für den ehemaligen Kolonialherrn Belgien, aber auch für Frankreich, Großbritannien oder Rhodesien mit ihren jeweiligen umfangreichen Investitionen im Kongo bzw. seinen Nachbarländern galt es, ihre Profite aus der kongolesischen Wirtschaft auch nach der Unabhängigkeit des Landes zu sichern. Zugleich stand der Kongo im Mittelpunkt des ideologischen Ringens um die Zukunft Afrikas. Es galt, den Kongo mit seiner gesamtafrikanischen Bedeutung für den Westen zu gewinnen.

Das Buch ist keine Arbeit zur Krise im Kongo selbst, sondern beschreibt primär die internationalen Interessen am Kongo; die Lage im Kongo selbst bleibt in der Darstellung recht blass. Auch der Titel ist etwas irreführend: Kent konzentriert sich fast ausschließlich auf die USA und nur nachrangig auf die Vereinten Nationen. Die Arbeit ist chronologisch in acht Kapitel und eine Schlussbetrachtung gegliedert und folgt wesentlichen Akteuren der US-amerikanischen Regierung durch die Kongokrise vom Sommer 1960 bis 1964/65. Die Grundlage der Darstellung bildet die Analyse umfangreicher Quellen vor allem der Eisenhower- und Kennedy-Administrationen, mit einigen Ausblicken in die Regierungszeit Johnsons. Die Vereinten Nationen, Belgien oder auch der Kongo selbst werden aus Sicht der Hauptakteure dieser US-Administrationen beschrieben, wodurch sich naturgemäß einige Verzerrungen ergeben. Gerade im Hinblick auf die UNO ist das Bild etwas zu einseitig: Das Handeln der Vereinten Nationen war nicht so unmittelbar von den USA bestimmt, wie Kents Darstellung vermittelt. Doch die mit vielen Quellenzitaten angereicherte detaillierte Beschäftigung mit den unterschiedlichen Positionen innerhalb der US-amerikanischen Administrationen, deren Rhetorik sowie die Hintergründe der Strategiewechsel sind an sich spannend und aufschlussreich genug.

Kent zeigt eindrücklich die Schwierigkeiten, wirtschaftliche und stärker geopolitische Ziele in Einklang zu bringen. Der Leser erfährt, wie gering die Kenntnis von den realen Bedingungen vor Ort, wie hilflos die Reaktionen auf das Fortschreiten der Krise und wie geradezu tragisch die Folgen des internationalen Engagements im Kongo für das Land selbst waren.

Kents Analyse ist dort besonders gewinnbringend, wo sie deutlich macht, wie stark die Brille des Kalten Krieges die Sicht versperrte auf die reale sozio-ökonomische und politische Situation im Kongo und auf die Folgen des brutalen belgischen Kolonialsystems. Es wird klar, wie gering die Gefahr sowjetischer Einflussnahme im Kongo - Washingtons Albtraum - tatsächlich war. Zugleich ist es ein Szenario, mit dem einige Akteure in den USA oder Belgien geschickt ihre Position durchzusetzen wussten. Kent zeichnet damit ein detailreiches, plausibles Bild von den Hintergründen der US-amerikanischen Kongopolitik zu Beginn der 1960er Jahre, das frühere Befunde aus Arbeiten mit engerem Fokus auf den Kalten Krieg richtig stellen kann.

Schade ist, dass die Lesbarkeit des Buches durch zum Teil immense Detailverliebtheit, Redundanzen, einen häufig unklaren Aufbau und komplizierte Satzstrukturen etwas eingeschränkt wird. Bedauerlich sind auch einige Flüchtigkeitsfehler: Kent meint offensichtlich die Stadt Bukavu, wenn er von Bakuvu spricht (9), auf Seite 15 geht es sicher um die kongolesische Partei "Parti Solidaire Africain", (er schreibt "Parti Africain Socialist", doch eine solche Partei existierte im Kongo nicht) usw. Kent stürzt sich und den Leser mitten hinein ins Geschehen nach der Unabhängigkeit des Kongo. Eine angemessene Einordnung der Zusammenhänge verlangt dem Leser daher erhebliches Vorwissen ab. Eine Beschreibung der Ausgangsbedingungen, des belgischen Kolonialsystems, der wesentlichen Akteure und der Wirtschaftsstrukturen im Kongo sowie Erläuterungen zum Verhältnis der USA zu den Vereinten Nationen, ihren Interessen am Kongo und ähnliche Informationen wären notwendig und wünschenswert gewesen. So ist Kents Studie eine wichtige Arbeit mit neuen, spannenden Befunden, die über den Gegenstand der Arbeit hinaus reichen, die man sich allerdings etwas erarbeiten muss.

Katrin Zippel