Rezension über:

Elizabeth A. Meyer: The Inscriptions of Dodona and a New History of Molossia (= HABES. Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien; Bd. 54), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, 201 S., ISBN 978-3-515-10311-4, EUR 39,00
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Rezension von:
R. Malcolm Errington
Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
R. Malcolm Errington: Rezension von: Elizabeth A. Meyer: The Inscriptions of Dodona and a New History of Molossia, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/23221.html


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Elizabeth A. Meyer: The Inscriptions of Dodona and a New History of Molossia

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Wer sich die Mühe macht, diese technisch anspruchsvolle Untersuchung durchzuarbeiten, erlebt eine recht erfrischend neue Sicht auf die Geschichte Nordwestgriechenlands vom 4. bis 2. Jahrhundert v.Chr. Ausgehend von einer erneuten systematischen Untersuchung der Inschriften, insbesondere jener aus Dodona, welche die Hauptquellen für die politisch-administrative Struktur des Raumes darstellen, macht Meyer zurecht auf die große Unsicherheit bei der Datierung der Dokumente aufmerksam. Sie bietet daraufhin nicht zu vernachlässigende Argumente für die Datierung mehrerer einschlägiger Texte ins 3. Jahrhundert, die bislang immer ins 4. Jahrhundert gesetzt wurden. Sie weist außerdem darauf hin, dass die Texte keinen ausreichenden Grund für die in der Forschung verbreitete Annahme bieten, sie belegten eine irgendwie geartete föderalistische Struktur noch während und neben der Monarchie.

Die Argumentation ist allerdings nicht ohne Lücken und Tücken. Meyer bringt eine detaillierte Diskussion über die Funktion der in zwei Texten aus dem späteren 4. Jahrhundert vorkommenden Funktionäre mit dem Namen damiorgoi (46f.). Sie werden neben dem König Neoptolemos, dem prostatas der Molosser sowie einem grammateus in unterschiedlicher Zahl bei Bürgerrechtsverleihungen an zwei Frauen aufgelistet. Die zwei damiorgoi-Listen sind bislang als Aufzeichnungen von Regionalvertretern des Staates der Molosser betrachtet worden und schienen damit dessen föderale Struktur zu belegen. Doch Meyer argumentiert für deren eher unpolitische Rolle als Verantwortliche für das Heiligtum, d.h. nach ihrer Meinung erfüllten sie eine Funktion parallel zu jener der delphischen hieromnemones. Eine spätere Inschrift nennt sogar hieromnamones in Dodona (80). So attraktiv diese Interpretation ist, ist sie nicht ganz wasserdicht. Der erhaltene Stein, auf welchen die zwei Dokumente aufgeschrieben sind, ist, wie Meyer selbst beobachtet hat, anscheinend eine spätere, aus dem 3. Jahrhundert stammende Aufzeichnung der Dokumente, die nach dem König Neoptolemos ins spätere 4. Jahrhundert fest datiert sind. Da es sich um eine Vergünstigung für Privatpersonen handelt, dürfte die späte Aufzeichnung im Heiligtum keine offiziöse Veröffentlichung, sondern eine aus einer privaten Initiative seitens der betroffenen Nachkommen der Neubürgerinnen entstandene Aktion sein. Deswegen bietet er keine sichere Handhabe für die Annahme, dass die ursprünglichen Verleihungsurkunden auf Stein aufgeschrieben oder gar in Dodone aufbewahrt wurden. Deswegen fehlt die letzte Sicherheit, dass die nur dort erwähnten damiorgoi doch mit Dodone zu tun hatten.

Hier ist nicht der Ort, Meyers andere Überlegungen, die stark technisch-epigraphischer Art sind, im Detail darzustellen. Es reicht vielleicht festzustellen, dass sie mir zumindest genauso fundiert erscheinen, wie die bisherigen Annahmen zur Datierung, selbst dann, wenn (wie bei den damiorgoi) die letzte Sicherheit fehlt. Das historische Ergebnis der Neudatierung ist aber auf jeden Fall viel befriedigender als der bisherige Forschungsansatz, lässt ihre Umdatierung über die technischen Argumente hinweg plausibel erscheinen und rechtfertigt ihren Untertitel, "A New History of Molossia". Kurzgefasst, nach Meyer gab es keine formale föderale Organisation in Molossia, noch weniger in Epeiros insgesamt, solange die Monarchie der Aiakidai in Molossia sich halten konnte, also vor 232 v.Chr. Phasen der politischen Schwäche entstanden immer wegen innerdynastischer Auseinandersetzungen - mit oder ohne auswärtige Einmischung etwa seitens der Makedonen oder der Illyrer -, Phasen der Stärke (wie etwa zur Zeit Alexanders I. oder des Pyrrhos) durch dynastische Solidarität sowie eine charismatische königliche Führung, die in der Lage war, die epeirotischen Nachbarn als Bundesgenossen zu gewinnen und an das molossische Königtum zu binden. Erst als die Dynastie ausstarb, entstand aus dem bestehenden Allianzsystem ein föderaler Staat Epeiros.

Dieses von Meyer gezeichnete Entwicklungsmodell hat gegenüber dem bisherigen Forschungsansatz den ganz großen Vorteil, dass die strukturellen Parallelitäten mit der besser bekannten und intensiver erforschten Monarchie der benachbarten und (über Olympias' Eheschließung mit Philipp II.) verwandten Makedonen bis ins spätere 3. Jahrhundert erhalten bleiben. Damit entfällt die sowieso eher unwahrscheinliche Annahme der bisherigen Forschung, dass die von den jeweils regierenden Königen beherrschten Molosser dennoch Vorreiter bei der Entwicklung von föderalen staatlichen Strukturen in Griechenland waren. Auch die den angeblichen föderalen Organen zugedichtete Kontroll- und Mitbestimmungsfunktion, die sich in der Ereignisgeschichte nie feststellen lässt, durch welche die Aktivitäten der Monarchen beeinflußt wurden, verschwindet. Die dürftige literarische Überlieferung kennt bei den Molossern - wie bei den Makedonen - nur Mitglieder der Dynastie bzw. deren Berater als aktive Gestalter der Politik, und nach Meyers Ausführungen dürfte sie in dieser Hinsicht richtig liegen.

Selbst wenn man gelegentlich im Detail Meyer nicht immer folgen kann und einige Aspekte ihrer Arbeit unsicher und spekulativ bleiben - allerdings keineswegs unsicherer oder spekulativer als beim bisher in der Geschichtsforschung herrschenden Modell - hat sie einen historischen Entwurf vorgelegt, welcher der inneren Geschichte des nordwestgriechischen Raumes in der späten klassischen und der frühen hellenistischer Zeit eine erhöhte Plausibilität und wohl auch größere Realitätsnähe verpasst, und der es somit verdient, bis auf weiteres als die neue Orthodoxie zu gelten.

R. Malcolm Errington