Rezension über:

Mirna Zeman: Reise zu den "Illyriern". Kroatienstereotype in der deutschsprachigen Reiseliteratur und Statistik (1740-1809) (= Südosteuropäische Arbeiten; 147), München: Oldenbourg 2013, 376 S., ISBN 978-3-486-72269-7, EUR 49,80
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Rezension von:
Hans-Christian Maner
Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Christian Maner: Rezension von: Mirna Zeman: Reise zu den "Illyriern". Kroatienstereotype in der deutschsprachigen Reiseliteratur und Statistik (1740-1809), München: Oldenbourg 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/03/23515.html


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Mirna Zeman: Reise zu den "Illyriern"

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Auseinandersetzungen mit Bildern des "Anderen", des "Fremden" sind nicht allein ein wichtiges Untersuchungsfeld, sie sind von grundlegender Relevanz für das Zusammenleben der Menschen in Geschichte und Gegenwart. Die hier zu besprechende Arbeit, die auf eine Dissertation an der Universität Paderborn zurückgeht, will tatsächlichen und imaginierten Reisen in Gebiete des heutigen Kroatien zwischen dem Regierungsantritt Maria Theresias 1740 und der Einrichtung der Illyrischen Provinzen durch Napoleon 1809 nachgehen. Der Autorin geht es dabei um Begegnungen überwiegend deutschsprachiger Autoren mit dem kroatisch / dalmatinisch / slawonischen Raum. Der Zugang ist ein interdisziplinär-kulturwissenschaftlicher, wobei im Zentrum der Aufmerksamkeit Fragen der kollektiven Auto- und Heteroidentifizierungen stehen. Dementsprechend ist auch die Arbeit unterteilt: Nach einer problemorientierten Einleitung folgt ein Kapitel zu Imagothemen. Danach widmet sich die Autorin Reise- und Augenzeugenberichten sowie Reisebeschreibungen, die lediglich vom Schreibtisch aus verfasst wurden. Schlussbetrachtungen beenden die Untersuchung.

Kroatien erscheint in der Reiseliteratur im 18. und frühen 19. Jahrhundert als das Fremde, als die Grenze, nicht zuletzt auch entsprechend der große Teile der Region tatsächlich umfassenden Militärgrenze. Blickt man nun vor diesem Hintergrund auf die tatsächlich erfolgten Reisen, so liegen Fragen nach der Motivation für das Unternehmen, nach dem Verlauf und nicht zuletzt nach dem Grund für die Aufzeichnung auf der Hand. Zur Beantwortung derartiger Fragen dienten der Autorin imagologische, historische, kultur- und literaturgeschichtliche Einbettungen.

Im Fokus der Arbeit steht das grundlegende Erkenntnisinteresse: Wie nahmen Reisende die Bevölkerung, die sie in Kroatien antrafen, wahr und mit welchen Stereotypen behafteten sie diese? Die historische Stereotypenforschung bildet demnach das theoretische Grundkonzept der Arbeit. Es geht der Autorin um die Untersuchung von Fremdheitsdiskursen, wobei sie die Diversität der Quellen berücksichtigt (literarische Werke, "klassische" Reisebeschreibungen, Statistiken, Zeitungsartikel, ethnografische Werke bis hin zu wissenschaftlichen Darstellungen) und - ganz wichtig - von einer Uneinheitlichkeit und Ambivalenz der Diskurse ausgeht, das heißt: Es gibt nicht die Aussage über Kroatien oder über "den Kroaten". Auch die Reflexion dessen, dass das jeweilige Bild des Anderen vom zeithistorischen oder kulturellen Kontext abhängt, ist grundlegend. Die Folge ist eine Pluralität von Fremdheitsbezeichnungen, die sogleich den Komplex der Identitäten nicht nur der Beobachteten, sondern auch der Beobachtenden auf den Plan ruft. Ein kompetenter Blick in die Forschungslandschaft belegt die Notwendigkeit der vorliegenden Untersuchung. Zugleich stellt sich die Autorin zwei methodischen Problemen. Zum einen begründet sie ihren Blick auf das Gesamtterritorium des heutigen Kroatien, wobei sie allerdings den Bereich der Republik Ragusa nicht einbezieht. Zum anderen wird die Breite der Fragestellung auf eklektische und zugleich selektive und exemplarische Art und Weise gelöst.

Es waren zunächst allgemein gesprochen die Unbekanntheit, die den Blick auf die "Kroaten" veranlasst hat, sowie dortige Unruhen und Kriegszustände. Weit zurück reicht das Bild von den die Militärgrenze tapfer verteidigenden Bewohnern. Damit ging auch nicht zuletzt die antemurale christianitatis-Symbolik einher. Beginnend im Dreißigjährigen Krieg wandelte sich diese Betrachtung allerdings hin zum Kroaten als dem die Gewalt und Brutalität verkörpernden Fremden; diese war auch noch im 18. Jahrhundert anzutreffen. Ergänzend dazu erzählt die Autorin die ebenfalls im 17. Jahrhundert aufkommende Geschichte um die "Crabaten" oder "Krawatten".

Die Untersuchung stützt sich auf zehn Autoren, die im 18. und 19. Jahrhundert "Kroatien" bereisten. Deren Beschreibungen werden systematisch analysiert. Für die amtlich motivierten Reisen standen militärische und verwaltungspolitische Interessen im Vordergrund. Die Wiener Regierung war natürlich an den Zuständen im Grenzbereich interessiert. Hier stand der politische Blick im Vordergrund. Eine zweite Gruppe an Berichten geht ebenfalls davon aus, doch lenken diese die Aufmerksamkeit auf wirtschaftspolitische Aspekte, zum Beispiel Fragen der Schiffbarmachung von Flüssen, die Gestaltung des Litorale oder der Straßen zwecks Handels. Dem wissenschaftlichen Interesse dienten weitere Reisen: Pflanzen, Gelände- und Bodenbeschaffung, aber auch die Menschen mit ihrer Sprache und ihren Gewohnheiten wollten erforscht werden. Eine besondere Art der Berichte waren die Beschreibungen der Kaiserreisen Joseph II.

Über diese "amtlichen" Perspektiven hinaus wird der Horizont noch weiter ausgeleuchtet. Ein Blick der stärker "von innen" her erfolgt, ist die Betrachtung durch zwei "Hungari". Damit wird auch die aufkommende moderne nationale Problematik deutlich. Im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen in Europa Ende des 18. Jahrhunderts steht die Reise eines hessischen Soldaten in die Gebiete Kroatiens. Abgeschlossen wird dieser Hauptabschnitt mit touristischen Reisebeschreibungen. Anschließend folgen Abbildungen, die die jeweiligen Berichte sehr schön veranschaulichen. Es findet sich leider kein Hinweis darauf im Inhaltsverzeichnis. Eine Platzierung am Ende der Arbeit mit gesondertem Hinweis wäre hilfreicher.

Im zweiten Teil des Hauptkapitels werden Berichte über Kroatien und seine Bewohner untersucht, die lediglich am Schreibtisch entstanden sind, ohne dass die jeweiligen Autoren eine Reise in das Land unternommen hätten. Konzise, gut strukturierte und reflektierte Schlussbetrachtungen beschließen den lesenswerten Band. Er eignet sich nicht nur für jene, die sich für Kroatien im Besonderen interessieren, sondern auch für jene, die Betrachtungen des "Anderen", des "Fremden" nachgehen wollen.

Hans-Christian Maner