Rezension über:

Katherine L. Jansen / G. Geltner / Anne E. Lester (eds.): Center and Periphery. Studies on Power in the Medieval World in Honor of William Chester Jordan (= Later Medieval Europe; Vol. 11), Leiden / Boston: Brill 2013, XXVI + 304 S., ISBN 978-90-04-24359-0, EUR 112,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Katherine L. Jansen / G. Geltner / Anne E. Lester (eds.): Center and Periphery. Studies on Power in the Medieval World in Honor of William Chester Jordan, Leiden / Boston: Brill 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/24879.html


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Katherine L. Jansen / G. Geltner / Anne E. Lester (eds.): Center and Periphery

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Größer geht es nicht: "I regard him truly as one of the greatest living medievalists" (xvii). Hier preist nicht schlicht ein Mediävist den anderen, was im Rahmen einer Festschrift auch nicht weiter verwunderlich wäre, sondern "der" Biograph Ludwigs IX. - Jacques Le Goff - denjenigen, der durch seine eigenen Arbeiten maßgeblich zur Erforschung eben dieses "heiligen" Ludwig beigetragen hat - William Chester Jordan. Le Goffs Vorwort, das wohl zu den letzten schriftlichen Äußerungen des jüngst verstorbenen französischen Großmediävisten gehören dürfte, ist bemerkenswert, weil es das dezidierte Urteil nicht scheut. Nach einem kurzen Blick auf die Karriere Jordans, der korrekt als "product of Princeton University" (xvii) bezeichnet wird (glanzvolle Karrieren waren damals ganz augenscheinlich ohne extensive peregrinationes academicae möglich), werden seine Monographien inhaltlich knapp skizziert. Besonders hervorgehoben wird dabei Jordans Arbeit über "The Great Famine: Northern Europe in the Early Fourteenth Century" (1996), die für Le Goff nicht nur the "principal work of Jordan's career" (xix), sondern "one of the masterpieces of global history" (xx) ist. Die augenscheinliche Begeisterung Le Goffs teilen wenig überraschend sämtliche Beiträger des Bandes. Insbesondere die Einleitung der Herausgeber (Introduction, 1-11) evoziert nicht allein das Bild eines begnadeten akademischen Lehrers, stets inspirierend, egal ob über Frankreich im 13. Jahrhundert, englische Verfassungsgeschichte, Juden im späten Mittelalter, die Geschichte des ländlichen Raums oder (zum großen Amusement seiner Studenten) die Bedeutung des Hausschweins für die Ökonomie Europas sprechend, sondern eines Mannes, den charismatisch zu nennen wohl keiner seiner Schüler zögern würde.

Die insgesamt 18 Aufsätze der Festschrift sind fünf thematischen Abschnitten zugeordnet, die ihrerseits auf die zentralen Forschungsgebiete Jordans rekurrieren: 1. Royal power and minorities (fünf Beiträge); 2. The politics of peacemaking (drei Beiträge); 3. Religious institutions and society (vier Beiträge); 4. Crusading, memory and identity (vier Beiträge); 5. Rethinking issues of medieval law and history (zwei Beiträge). Hinzu kommen eine historiographische Einleitung aus der Feder John W. Baldwins (13-22), in der zu Recht die erstaunliche "diversity" der Forschungsinteressen Jordans hervorgehoben wird und Teofilo F. Ruiz' sehr persönliche Worte über einen engen Weggefährten und Freund (William Chester Jordan: A Life of learning, 263-271). Als Autoren der Hauptartikel fungieren ausschließlich ehemalige Doktoranden. Weniges sei in der Folge beispielhaft herausgehoben.

Aspekte der persönlichen Frömmigkeit Ludwigs IX. behandelt Anne E. Lester (Confessor King, Martyr Saint: Praying to Saint Maurice at Senlis, 195-210) und richtet den Blick auf die 1261 erfolgte Gründung eines zwar kleinen, aber ungemein bedeutenden Hauses für Augustinerchorherren in der Königsresidenz von Senlis. Zwischen 1255 und 1265 sind zahlreiche Aufenthalte Ludwigs belegt - in dieser Zeit reifte wohl der Plan, die Nebenresidenz mit einer königlichen Kapelle auszustatten, die mit ihren wundervollen Farbfenstern und der eleganten Architektur in direkte Konkurrenz zur Pariser Sainte-Chapelle treten sollte. Die reliquiare Ausstattung der Neugründung war Ludwig augenscheinlich eine Herzensangelegenheit: kurz vor 1261 entsandte er eine Gesandtschaft nach St. Maurice d'Agaune im Wallis, dem Ort, an dem die Reliquien des heiligen Mauritius und seiner Gefährten verwahrt und verehrt wurden. Der zuständige Abt kam der Bitte des Königs um Überlassung einiger Reliquien nach. 13 Kanoniker aus Agaune machten sich zusammen mit den Reliquien auf den Weg und bildeten in Senlis die erste Kanonikergemeinschaft innerhalb der Palastkapelle. Ludwig revanchierte sich, indem er einen Dorn der Dornenkrone Christi ins Wallis schickte (wo das Reliquiar noch heute im Klosterschatz zu bewundern ist). Lester geht der Frage nach, weshalb sich der Blick Ludwigs ausgerechnet auf einen Soldatenheiligen des dritten Jahrhunderts richtete und argumentiert überzeugend, dass Ludwig bereits in jungen Jahren mit der Erzählung über das Martyrium des Mauritius im Rahmen der Liturgie in Berührung gekommen sein muss. Die Leidensgeschichte der Märtyrer begriff er als imitatio der Leidensgeschichte Christi - und in eben diese Leidensgeschichte fügte er sich selbst ein.

Jonathan M. Elukin behandelt die Bewältigung des Kreuzzugsengagements Ludwigs innerhalb der zeitgenössischen Chronistik am Beispiel des Jean Joinville (Warrior or Saint? Joinville, Louis IX's character, and the challenge of the crusade, 183-194) und geht dabei auf folgende Punkte ein: 1. die Häufigkeit der am König geäußerten Kritik; 2. die damit verbundene zwiespältige Bewertung von Ludwigs militärischen Führungsqualitäten und sein Verhältnis zum Adel; 3. die Betonung von Ludwigs Frömmigkeit durch den Chronisten als literarisches Mittel, um fehlende militärische Kompetenzen zu kompensieren. Dem Autor ist darin zuzustimmen, dass Joinville beim Kreuzzugsbericht klar zwischen den administrativen und den militärisch-taktischen Kompetenzen Ludwigs unterscheidet. Was immer wieder betont wird, ist die mangelnde Bereitschaft Ludwigs, auf den Rat der Großen und seiner Berater zu hören. Für viele zeitgenössische Beobachter war klar, dass Ludwig seine Armee nur unvollkommen kontrollierte. Das Bemühen des Chronisten ist spürbar, Ludwig als dynamischen militärischen Führer darzustellen. Ja, der König erteilte Befehle, doch hatten diese zumeist logistischen Inhalt und bezogen sich auf den Nachschub für die Armee. Befehle während einer Schlacht werden von Joinville so gut wie nicht überliefert. Wenn Ludwig gegen das griechische Feuer erfolgreich anbetet, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, als wolle der Chronist mangelnde militärische Führungskompetenzen durch überbordende Frömmigkeit ersetzen. Zum wahren Helden wird Ludwig in Joinvilles Darstellung erst während seiner harten Gefangenschaft. Hier war der König nicht gezwungen, sich in Waffentaten auszeichnen, um seinen Mut unter Beweis zu stellen. In diesem Zusammenhang reißt der Autor zwar einige wichtige Fragen an, beantwortet sie jedoch nur oberflächlich: Was erwarteten die Zeitgenossen von einem König auf dem Schlachtfeld? War Joinville eine Ausnahme oder doch Teil eines breiten Konsenses, der darin bestand, von Königen nach wie vor persönliches Engagement auf dem Schlachtfeld zu fordern? Fast noch wichtiger: waren sich die Könige selbst dieser Tatsache bewusst?

In Michelle Garceaus Beitrag zu zwei aragonesischen Mirakelsammlungen zeigen sich die konzeptionellen Schwächen des Bandes, wichtige Fragen anzureißen, jedoch nicht weiter auszuführen, in besonderem Maße ("In order to keep the Memory". Miracle cults as sources of authority in the Crown of Aragon, 157-168). Garceau stützt sich auf die Kanonisationsdossiers, die im Rahmen der Heiligsprechung des Zisterzienserbischofs von Vic Bernat Calbó und des berühmten Kanonisten und Bischofs von Barcelona Raymund von Penaforte angelegt wurden. Der Aufsatz untersucht, wie der Kult der beiden Männer aus rein politischen Erwägungen heraus propagiert wurde, hatten doch beide Männer als Beichtväter und Ratgeber des aragonesischen Königs Jakob I. agiert (Calbó starb 1243, der fast hundertjährige Raymund 1275). Neue Heilige sollten der Stützung der Dynastie dienen. Die Dossiers ermöglichen einen detaillierten Blick auf die Anstrengungen, die unternommen wurden, um beide Kulte zu propagieren - vom Läuten der Glocken nach jedem neu bekannt gewordenen Wunder bis hin zum Engagement von Predigern, die dafür sorgten, dass deren Kunde auch weit entfernte Landstriche erreichte. Verwiesen wird dabei zu Recht auf die immense Bedeutung der Laienbruderschaften in diesem Prozess, nur: auf lediglich elf Druckseiten kann man der Komplexität der Quellendossiers auch nicht ansatzweise gerecht werden.

Die Kürze der Beiträge ist für diesen Sammelband denn auch charakteristisch. Kaum einer übersteigt die Zahl von 20 Druckseiten. Gleichwohl bietet die Festschrift interessante Einblicke in die Fülle und Spannbreite der von William Chester Jordan vertretenen - und an seine Studenten und Doktoranden weitergegebenen - Forschungsinteressen. Last but not least: auch Liebhaber des sehr speziellen Genres von Apophtegmata magistrorum kommen hier auf ihre Kosten.

Ralf Lützelschwab