Rezension über:

Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (= Kommentare zu den Schriften Luthers; Bd. 3), Tübingen: Mohr Siebeck 2014, XVI + 560 S., ISBN 978-3-16-152678-7, EUR 169,00
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Rezension von:
Stefan Michel
Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Michel: Rezension von: Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, Tübingen: Mohr Siebeck 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/24474.html


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Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung

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Nachdem 2007 und 2009 in einer neuen Reihe des Verlages Mohr Siebeck in Tübingen jeweils ein Kommentar über Luthers Freiheitsschrift von 1520 sowie seine Schmalkaldischen Artikel von 1537 erschienen sind, legt nun der Reihenherausgeber, der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, selbst einen Kommentar zu Luthers Adelsschrift aus dem Jahr 1520 vor, der aus Lehrveranstaltungen an der Georg-August-Universität erwachsen ist. Der Kommentar setzt sich das Ziel, diese zentrale Schrift "für studentische und sonstige interessierte Leser im engeren historischen Kontext ihrer Entstehung verständlich [zu] machen" (VI). "Ein angemessenes historisch-kontextuelles Verständnis des Textes" wird angestrebt (VI). Sicher ist dies sowohl ein ehrgeiziges als auch für die Reformationsgeschichte wichtiges Anliegen, insbesondere wenn man bedenkt, dass es innerhalb der Evangelischen Theologie im eigentlichen Sinne nur eine Kommentarkultur zu den biblischen Büchern oder bestenfalls noch zu den Bekenntnisschriften gibt. Weiterhin spricht für die Auswahl des Textes, dass er von der reformationsgeschichtlichen Forschung viel beachtet wird, da Luther in ihm Adel und Kaiser zum Eingreifen gegen die vielfältigen kirchlichen Missstände aufforderte. Luther griff nach Verteidigung der bestehenden Zustände durch Augustinus von Alveldt und Sylvester Prierias (1-3) zur Feder, um seine "Kriegstrompete" - so sein Ordensbruder Johannes Lang über den Text (7) - abzufassen und um damit für Unterstützung außerhalb der Kirche zu werben.

Kaufmann gliedert seinen Kommentar übersichtlich in zwei Teile, eine Einleitung (1-46) und den eigentlichen Kommentar (49-509), der sich entsprechend der Abschnitte der Adelsschrift nochmals unterteilen lässt. Die Einleitung zeichnet die Entstehungsgeschichte der Adelsschrift im Sommer 1520 nach, geht motiv- und textgeschichtlichen Zusammenhängen im Umfeld der Entstehung sowie der Druckgeschichte der beiden Wittenberger Auflagen nach. Erwähnt werden dabei auch die 16 Nachdrucke außerhalb Wittenbergs. Die kurze rezeptionsgeschichtliche Darstellung fällt für das 16. Jahrhundert gründlich, für das 17. und 18. Jahrhundert etwas holzschnittartig aus. Schließlich äußert sich Kaufmann zur Gestalt des Textes, den er seinem Kommentar zugrunde legte. Er benutzte vor allem den Text der Weimarer Lutherausgabe (WA 6, 404-469), den er mit den beiden Wittenberger Drucken von 1520 verglich.

Der Kommentar folgt den drei Teilen der Kampfschrift Luthers, die aufgrund ihrer Uneinheitlichkeit eine längere Entstehungsgeschichte erkennen lässt (140. 212f.). Gerade für die zweite Auflage überarbeitete Luther die Schrift nochmals und zerstörte dadurch den Argumentationsgang in Teil C. Nach dem Titel (49-51), dem Widmungsbrief an Nikolaus von Amsdorf (52-58) sowie der Intitulatio (58-69) wird der wohl bekannteste Abschnitt der Adelsschrift kommentiert, Teil A, der den drei Mauern gewidmet ist, mit denen Rom sich und seine Rechte glaubt schützen zu können (70-140). Die erste Mauer bildete die Konstruktion des sogenannten geistlichen Standes, der vom Laienstand abgehoben und mit besonderen Rechten ausgestattet war. Luther bestritt diese Rechte, sodass diese Mauer seinen Argumenten nicht Stand hielt. Ähnlich erging es der zweiten, dem Monopol des Lehramtes auf die Bibelauslegung. Auch diesen Anspruch verwarf Luther, sodass die dritte Mauer, das Recht des Papstes Konzilien einzuberufen, ebenfalls rasch dahin war. Man könnte sagen, dass Luther spätmittelalterliche Reformanliegen bündelte und durch Verdichtung auf ein neues Niveau hob.

Der Teil B ist einer "Agenda des künftigen Konzils" gewidmet (141-211). Dabei sollen vor allem die finanziellen Belastungen der Kirchen durch Rom in den Blick genommen werden. Im Hinblick auf diesen Abschnitt wurde forschungsgeschichtlich häufig der Einfluss der Gravamina auf Luthers Schrift diskutiert, die der Reformator sicher in irgendeiner Form kannte.

Schließlich geht Teil C auf nötige Reformen ein (212-502), die - nach Zählung der zweiten Auflage der Adelsschrift - in 27 Artikeln dargelegt werden. Dazu gehören ebenso Forderungen, die sich auf kirchliche Themen wie die Reduktion des kurialen Personals (Art. 7) oder Änderungen des Wallfahrtswesens (Art. 12) konzentrieren, wie auch Reformthemen, die eine politische Dimension haben, wie die Anerkennung der Translatio imperii an die Deutschen (Art. 26). Danach kämen der deutschen Nation besondere Rechte zu und nicht dem Papst, der diese für sich beanspruchte. Man könnte auch sagen, dass die Artikel 1 bis 11 sich auf Missstände beziehen, die von Rom verursacht wurden, während die Artikel 12 bis 24 kirchliche Missstände in den Orden und Gemeinden und die Artikel 25 bis 27 "weltliche Gebrechen" anprangern. Auch den Abschluss der Adelsschrift nimmt Kaufmann gründlich in den Blick (503-509).

Die Stärke des Kommentars ist ganz klar die streng historische Darstellung, die den Text aus der Situation des Jahres 1520 zu verstehen sucht. Stets fragt Kaufmann danach, was Luther gekannt haben könnte, und kommentiert die Adelsschrift mit anderen Schriften Luthers (z.B. 85). Zugleich zeigt er punktuell Entwicklungslinien auf, wie beispielsweise Luthers Urteil über den "character indelebilis", den der Reformator erst in "De captivitate Babylonica" völlig aufgeben wird (94). Neben historischen und theologiehistorischen Zusammenhängen geht Kaufmann stets auf stilistisch-rhetorische Figuren in Luthers Text ein, um Argumentationslinien gewissenhaft nachzuzeichnen.

Die Pointe von Kaufmanns Buch besteht darin, dass er behauptet, Luther sei durch diese Schrift am Beginn des Sommers 1520 zum Reformator geworden (509). Dadurch wird die Adelsschrift deutlich aufgewertet und beispielsweise gegenüber den 95 Thesen von 1517 profiliert. Dies ist durch die Formulierung so zentraler Gedanken wie der Trennung vom Papst, der als Antichrist angesehen wird, oder des Priestertums aller Gläubigen (bes. 125-128) inhaltlich durchaus gerechtfertigt.

Eine Orientierung im Kommentarteil wird durch die Gliederung in der Kopfzeile jeder Seite angestrebt (links durch Nennung des Abschnitts, rechts durch Angabe der Stelle in der WA). Als eher benutzerunfreundlich muss allerdings die Entscheidung bezeichnet werden, alle Nachweise oder weiterführenden Diskussionen des Kommentarteils statt in Anmerkungen in Klammern im Fließtext zu geben. Ein vierfaches Register über Bibelstellen, Personen, Orte und Sachen (533-559) erleichtert die gezielte Benutzung des überaus detailreichen Buches. Zweifelsohne ist Kaufmann ein Standardwerk zu einem sehr speziellen Thema gelungen, das seine reichen Inhalte durch interessierte Lektüre entfalten wird.

Stefan Michel