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Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler, München: C.H.Beck 2014, 352 S., 49 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-65902-7, EUR 24,95
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Rezension von:
Barbara Distel
München
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Distel: Rezension von: Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler, München: C.H.Beck 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 11 [15.11.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/11/25406.html


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Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits

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Anlässlich des 70. Jahrestages des missglückten Attentates auf Adolf Hitler durch die Verschwörer des 20. Juli 1944 erfährt die Geschichte des deutschen Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur erneut öffentliches Interesse. In der am 2. Juli 2014 neu eröffneten Dauerausstellung in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand wird besonderes Gewicht auf die Vielfalt der Schicksale von Widerstandskämpfern gelegt, die insbesondere durch Biographien einzelner Protagonisten verdeutlicht werden. Auch das lange vernachlässigte Thema der Beteiligung von Frauen am Widerstand findet dort im Rahmen von Biographien Beachtung.

Die Historikerin Frauke Geyken hatte bereits im Jahr 2011 eine Biographie Freya von Moltkes, der Frau und späteren Witwe des ermordeten Widerstandskämpfers Helmut James Graf von Moltke, vorgelegt. Anhand der Lebensgeschichte Freya von Moltkes ging Geyken dort auch der Frage nach der Beteiligung Freyas an der Widerstandstätigkeit ihres Mannes und ihrer Rolle als Verwalterin des Erbes des Kreisauer Kreises nach. In Geykens neuer Studie über Frauen im Widerstand gegen Hitler stehen sechs Frauen im Zentrum. Vier von ihnen waren als Ehefrauen am Widerstand ihrer Männer beteiligt, zwei handelten eigenständig. In sieben Kapiteln: 'Kindheiten', 'Wege in den Widerstand 1933-1939', 'Leben im Krieg 1939-1945', 'Im Schatten des 20. Juli 1944', 'Not überwinden, Neuanfang wagen? 1945/46', 'Kampf um das Erbe des Widerstandes' und 'Lebensenden' schildert Geyken parallel Leben und Schicksal dieser Frauen und zahlreicher mit ihnen verbundener Personen.

Zunächst erfährt der Leser einiges über Herkunft und Jugend von Antje Hasenclever (geb. 1909 in Bielefeld), der späteren Frau von Robert Havemann, Cato Bontjes van Beek (geb. 1920 in Fischerhude), Sophie und Inge Scholl (geb. 1917 und 1921), Annedore Rosendahl (geb. 1904 in Berlin), der späteren Ehefrau von Julius Leber, Rosemarie Pallat, später Reichwein (geb. 1904 in Berlin) und Marie Louise Edle von Medinger, später Frau des Diplomaten Rudolf von Scheliha (geb. 1904).

Geyken schildert den Werdegang ihrer Protagonistinnen, deren Ausbildung, Eheschließungen und Leben bis Beginn des Zweiten Weltkrieges. Robert Havemann und seine Frau Antje, Julius Leber und seine Frau Annedore sowie Adolf Reichwein, dieser allerdings ohne Wissen seiner Frau, waren bereits in den 1930er Jahren aktiv im Widerstand. Havemann war nach dem Reichstagsbrand verhaftet, aber schnell wieder frei gelassen worden, Leber war bereits zwei Mal verhaftet und hatte bis 1937 vier Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbracht.

Rudolf von Scheliha, der zunächst in Polen Kritiker des NS-Regimes unterstützt hatte, wurde 1939 ins Auswärtige Amt versetzt. Von dort aus reiste er mehrere Male in die Schweiz, um Informationen über deutsche Verbrechenspolitik weiterzuleiten. Er nahm Kontakt zu Verschwörern in der Heeresgruppe Mitte auf und versorgte sie mit Geld zur Finanzierung eines Staatsstreiches. Am 29. Oktober 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet und fälschlicherweise als Mitglied der von der Gestapo als "Roten Kapelle" bezeichneten Gruppe vor das Reichskriegsgericht gestellt, zum Tode verurteilt und am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Seine Frau, die mit ihm verhaftet worden war, wurde kurz darauf wieder entlassen. Sie zog in die Nähe von Wien und sprach erst Ende der 1980er Jahre mit dem Biographen ihres Mannes über ihre eigenen Erfahrungen.

Cato Bontje van Beek war im August 1937 von einem Englandaufenthalt zurückgekehrt um eine Handelsschule zu besuchen. 1939 wurde sie bis September 1940 mit dem Reichsarbeitsdienst nach Ostpreußen geschickt. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin begann sie, ausländische Zwangsarbeiter zu unterstützen. Über ihre Bekanntschaft mit Libertas Schulze-Boysen kam sie zur aktiven Widerstandsarbeit. Sie trennte sich nach einiger Zeit von der Gruppe, um auf eigene Faust weiterzuarbeiten. Am 20. September 1942 wurde Cato zusammen mit ihrem Vater verhaftet. Der Vater wurde Ende des Jahres entlassen. Cato Bontje van Beek selbst wurde am 18. Januar 1942 als Mitglied der Roten Kapelle zum Tode verurteilt. Nach zahlreichen vergeblichen Bemühungen um ihre Begnadigung wurde sie am 5. August 1943 hingerichtet.

Sophie Scholl, die bis zum Jahr 1939 zur radikalen Gegnerin des Regimes geworden war, absolvierte nach ihrem Abitur eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und musste anschließend ein Jahr Reichsarbeitsdienst leisten. Im Mai 1942 begann sie ihr Studium in München. Dort stieß sie zu der von ihrem Bruder Hans und Alexander Schmorell gegründeten Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Am 6. Februar 1943 wurde sie zusammen mit ihrem Bruder Hans in der Universität festgenommen, nachdem sie dort Flugblätter ausgelegt und in den Lichthof geworfen hatten. Bereits am 22. Februar 1943 verurteilte der Vorsitzende des Volksgerichtshofs Roland Freisler die beiden und ihren Freund Christoph Probst zum Tode; die Hinrichtung erfolgte am gleichen Tag. Ihre Familie wurde kurz darauf in Sippenhaft genommen.

Robert Havemann hatte zusammen mit Freunden auch aus dem Ausland die Gruppe "Europäische Union" gegründet, deren Ziel die Schaffung eines sozialistischen Europas war. Zusammen mit seiner Frau organisierte er Hilfe und Unterkunft für Widerstandskämpfer und versteckte Juden. Antje Havemann war verreist, als Robert Havemann im September 1943 festgenommen wurde und entging deshalb der Verhaftung. Robert Havemann wurde vom Volksgerichtshof am 16. Dezember 1943 zum Tode verurteilt. Auf Grund seiner kriegswichtigen Arbeit wurde das Urteil ausgesetzt und er und seine Frau überlebten die Diktatur.

Adolf Reichwein unterrichtete während des Krieges in Berlin. Nachdem die Wohnung der Familie durch Bomben zerstört wurde, zog Rosemarie Reichwein auf Einladung Freya von Moltke mit ihren vier Kindern nach Kreisau. Rosemarie Reichwein war in die Widerstandstätigkeit ihres Mannes in Berlin nicht eingeweiht. Sie war in Berlin, als Adolf Reichwein am 4. Juli 1944 verhaftet wurde, erhielt aber erst elf Tage später eine Bestätigung der Verhaftung. Am 20. Oktober 1944 wurde Adolf Reichwein als Mitglied der Verschwörung des 20. Juli zum Tode verurteilt und am gleichen Tag in Plötzensee hingerichtet.

Annedore und Julius Leber waren nach Berlin gezogen, wo Julius Leber Teilhaber einer Kohlenhandlung wurde und seine Frau ein Modeatelier führte. Sie war immer in seine Widerstandstätigkeit einbezogen und eingeweiht. Am 5. Juli 1944 wurde Julius Leber verhaftet und auch seine Frau kam kurzzeitig in Haft. Auch Julius Leber wurde am 20. Oktober 1944 im Zusammenhang mit dem 20. Juli zum Tode verurteilt, aber erst am 5. Januar 1945 hingerichtet.

In den letzten drei Kapiteln des Buches schildert Frauke Geyken das Schicksal der überlebenden Frauen der Widerstandskämpfer und deren Familien nach dem Zusammenbruch der Diktatur, sowie ihre Bemühungen, ein neues Leben aufzubauen und gleichzeitig die Erinnerung an die Ermordeten wachzuhalten. Dem Umgang der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem Erbe des deutschen Widerstandes im Wandel der Nachkriegsjahrzehnte wird breiter Raum gegeben. Annedore Leber, Rosemarie Reichwein und Inge Aicher-Scholl, die überlebende Schwester von Hans und Sophie, widmeten einen großen Teil ihres Lebens nach dem Krieg der Bewahrung der Erinnerung und der Weitergabe der Geschichte an die nachfolgende Generation.

Die parallel geführte Darstellung der einzelnen Lebensgeschichten erlaubt zwar einen neuen Blick auf die Akteure des deutschen Widerstandes und ihre erfolglosen Bemühungen, die nationalsozialistische Diktatur zu beseitigen. Trotzdem hinterlässt das Buch ein Gefühl der Enttäuschung. Es enthält viele längst bekannte Informationen über die einzelnen Personen und den historischen Hintergrund. Kaum bekannt ist lediglich das Schicksal von Marie Louise von Scheliha, die allerdings an den Widerstandshandlungen ihres Mannes weder beteiligt, noch über sie informiert war. Auch über den spezifischen Anteil der Frauen am Widerstand gewinnt man kaum neue Erkenntnisse.

Barbara Distel