Rezension über:

Lada Umstätter / Nathalie Herschdorfer: Le Corbusier und die Macht der Fotografie, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2012, 256 S., 350 Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07158-2, EUR 68,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Lucas Elmenhorst
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Elmenhorst: Rezension von: Lada Umstätter / Nathalie Herschdorfer: Le Corbusier und die Macht der Fotografie, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2012, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 5 [15.05.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/05/25676.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Lada Umstätter / Nathalie Herschdorfer: Le Corbusier und die Macht der Fotografie

Textgröße: A A A

Der häufig in der Literatur unkritisch zum genialen "Meister" verklärte Le Corbusier war vor allem als Architekturtheoretiker, Stadtplaner, Fotograf und nicht zuletzt als Möbeldesigner ein Avantgardist seiner Zeit. Bemerkenswert ist vor allem sein Wissen um die propagandistische Macht der Fotografie - ein bislang nur wenig behandeltes Thema. Das Buch entstand als Katalog zur großen Ausstellung anlässlich seines 125. Geburtstags im Musée des Beaux-Arts seiner Heimatstadt La Chaux-de-Fonds. [1] Die Ausstellung zeigte erstmals einem breiteren Publikum, wie Le Corbusier die Fotografie für seine jeweiligen Bedürfnisse geschickt einsetzte.

Seinen Umgang mit Fotografie mag man schon als totalitär bezeichnen. Belegt ist sein unbedingter Wille, das in der Öffentlichkeit verbreitete Bild seiner Person, seines Werks und seiner Theorien in allen Einzelheiten zu kontrollieren, wozu neben den von ihm gestalteten Publikationen seiner Werke selbstverständlich auch die fotografische Inszenierung gehörte. Die Bildwirkung war für ihn zentral - und er war sich ihrer bewusst. Bereits als junger Architekt pflegte er mit weißem Hemd, Anzug und Fliege, sowie seiner charakteristischen runden Brille sein Bild in der Öffentlichkeit. Zutreffend wurde Le Corbusier als "der erste Architekt der Massenmedien, der nicht durch sein Werk, sondern durch sein Porträt zum Mythos wurde", charakterisiert. [2]

Der Band versammelt sechs Beiträge, die Le Corbusiers Verhältnis zur Fotografie untersuchen, und will damit die von Herschdorfer und Umstätter in ihrer Einleitung beklagte Lücke in der Forschungsliteratur schließen. Dies gelingt ihnen jedoch nur in Ansätzen. Offen bleibt zunächst, wo und unter welchen Umständen erst kürzlich tausende von Fotografien entdeckt wurden (18), wenn sie zuvor die Sammlung der Stadtbibliothek von La Chaux-de-Fonds und der Pariser Le-Corbusier-Stiftung als wichtige Grundlage für ihr Projekt nennen (16). Ein ausführlicherer Anmerkungsapparat hätte der Einleitung nicht geschadet.

Als 20-jähriger erwarb er nach seiner ersten Italienreise 1907 eine Kodak-Kamera, die er intensiv nutzte. So schwärmte er 1911 auf seiner Istanbulreise: "Ich verbringe meinen Tag mit Fotografieren. Oh, das Wunder der Fotografie! Tüchtiges Objektiv, welch kostbares zusätzliches Auge." Wie Le Corbusier seine Reisen nach Italien (1907), Deutschland (1910/11) und in den Orient (1911) nicht nur durch Skizzen, sondern auch mit hunderten von Fotos dokumentierte, beschreibt Tim Benton in seinem Essay "Le Corbusier, der geheime Fotograf". Der Titel geht auf einer erstaunliche, allerdings leider von ihm nicht belegte These zurück: Da Le Corbusier kaum eigene Fotos publizierte, vermutet er, dass er keine Gelegenheit gehabt habe, seine Bilder anzusehen, sodass seine fotografischen Aktivitäten geheim waren (32). Benton lobt das analytische Auge Le Corbusiers und seinen großen Sinn für Komposition, wie ein eindrucksvolles Foto des Pantheons zeigt, das den Innenraum auf ein Spiel von Licht und Schatten reduziert (39). Erst von 1936 bis 1938 nimmt Le Corbusier das Fotografieren wieder auf, wobei er sich von László Moholy-Nagy inspiriert meist im Stil der Neuen Sachlichkeit auf abstrakte Details aus der Natur konzentriert. Kunsthistorisch wenig überzeugt Bentons abschließende Bewertung der Fotos als "sorgfältig", "mit einem gewissen Geschmack eingefangen", das in dem Lob kulminiert: "Sein Blick war einmalig" (53).

Catherine de Smet untersucht in ihrem Beitrag die zentrale Rolle der Fotografie von Le Corbusiers Publikationen und seine von den deutschen und russischen Künstlern übernommene Praxis der Fotomontage. "Die monumentalen Fotografien" Le Corbusiers umgesetzt als fotografische Fresken in Form von Projektionen oder farbigen Tapeten analysiert Arthur Rüegg als eine logische Fortsetzung seines Diskurses in den Publikationen.

Le Corbusier suchte und forderte mittels Fotos die vollständige Kontrolle in Bezug auf seine Person, sein Werk und seine Theorien, die er in Büchern verbreitete. Dazu gehört, dass Le Corbusier mit Lucien Hervé seinen persönlichen Fotografen exklusiv beschäftigte, die Kontaktabzüge kontrollierte und die Veröffentlichung missliebiger Bilder zu untersagen, wie Veronique Boone ("Die Cité Radieuse. Eine Medienkampagne im Dienste des Architekten") erhellend darstellt. Dies allerdings als Novum zu bezeichnen irritiert angesichts der durchaus vergleichbaren intensiven Beziehung von Erich Mendelsohn zu seinem Architekturfotografen Arthur Köster. [3]

Bedauerlich ist, dass auch diese Publikation keine kritische Analyse von Le Corbusier oder des von ihm mitinszenierten Personenkults unternimmt. Auch werden viel versprechende Ansätze in der Fotografieforschung, die etwa den Zugang vom Bild als Objekt sucht, die Beziehung zwischen Architekt und Fotograf genauer untersucht, Fotos in einen (bau)historischen Kontext stellt und einen Zusammenhang mit den eigenen Schriften des Architekten analysiert, hier kaum einbezogen. [4] Sich geradezu aufdrängen würde sich schließlich der von den Herausgeberinnen aufgeworfene, spannende Vergleich mit internationalen Zeitgenossen wie Julius Schulman, Albrecht Renger-Patzsch oder Erich Mendelsohn (20). Ratlos fragt sich der Leser, warum sich keiner der Beiträge diesem fruchtbaren Thema widmet. Stattdessen präsentiert Jean-Christophe Blaser auf über 50 Seiten bunte, zeitgenössische Fotografien als "neue Tradition der Sichtweise" auf die Architektur Le Corbusiers.

So bleibt es in weiten Strecken ein hübsches Bilderbuch mit lediglich begrenztem Erkenntnisgewinn.


Anmerkungen:

[1] "Construire l'image - Le Corbusier et la photographie", Musée des Beaux-Arts, La Chaux-de-Fonds, 30. September 2012 bis 13. Januar 2013.

[2] Daniele Muscionico: Der Weltarchitekt. La Chaux-de-Fonds feiert Le Corbusiers 125. Geburtstag und zeigt ihn als Meister der Selbstinszenierung, in: DIE ZEIT vom 9. Oktober 2012.

[3] Vgl. etwa Simone Förster: Masse braucht Licht. Arthur Kösters Fotografien der Bauten von Erich Mendelsohn. Ein Beitrag zur Geschichte der Architekturfotografie der 1920er Jahre, Berlin 2008.

[4] Ebenda.

Lucas Elmenhorst