Rezension über:

Clemens Gantner: Freunde Roms und Völker der Finsternis. Die päpstliche Konstruktion von Anderen im 8. und 9. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2014, 322 S., ISBN 978-3-205-79593-3, EUR 39,00
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Rezension von:
Cornelia Scherer
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Scherer: Rezension von: Clemens Gantner: Freunde Roms und Völker der Finsternis. Die päpstliche Konstruktion von Anderen im 8. und 9. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 11 [15.11.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/11/27204.html


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Clemens Gantner: Freunde Roms und Völker der Finsternis

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In seiner Monographie geht Clemens Gantner der Frage nach, wie die Päpste im 8. und 9. Jahrhundert Andere wahrnahmen und ihr Bild in den im päpstlichen Umfeld entstanden Quellen konstruiert wurde. Damit knüpft die Arbeit an Untersuchungen zur Wahrnehmung des Fremden sowie Fragen von Ethnizität und Identität im Frühmittelalter an. Gantner untersucht die Interaktion der Päpste mit vier Gruppen: den Greci ("Griechen"), den Langobarden, den Franken und den Sarazenen. Während die Analyse der ersten drei sich vor allem auf das 8. Jahrhundert konzentriert, werden die Sarazenen erst im 9. Jahrhundert zu einem Thema für die Päpste.

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel. Im ersten (16-47) werden die verwendeten Quellen vorgestellt, also der Liber pontificalis mit Fokus auf die Viten des 8. Jahrhunderts und der Codex Carolinus. Hinzu kommen die Collectio Britannica und das Register Johannes' VIII. für das 9. Jahrhundert.

Die theoretische Grundlegung der Fragestellung erfolgt im zweiten Kapitel (48-59), in dem "Überlegungen zu Alterität und Fremdheit" angestellt und dem Untersuchungsgegenstand angepasst werden. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass der Andere immer von einem Subjekt konstruiert wird, in diesem Fall von der "päpstlichen in-group", also dem Papst und seinen "Eigenen", vor allem wohl seinen Mitarbeitern. Eine genaue Definition der Gruppe ist schwierig. Es soll vor allem nachvollzogen werden, " wie das Papsttum [...] Unterschiede zu Anderen in seinen Texten herausstrich und Gemeinsamkeiten situationsbedingt einsetzte" (51). Für diese beiden Verfahren führt Gantner die Begriffe "Othering" und "Sameing" ein. Eine weitere theoretische Grundlage bilden Überlegungen der Postcolonial studies, die das hierarchische Gefälle zwischen zwei Gruppen analysieren. Die Rolle Roms in diesem Schema veränderte sich abhängig vom Interaktionspartner.

Das dritte Kapitel (60-100) stellt die Voraussetzungen der päpstlichen Herrschaft über Rom dar und untersucht zugleich das Verhältnis mit dem (oströmischen) imperium, dem Rom bis Ende des 8. Jahrhunderts angehörte. Es folgt ein kurzer Abriss über die Beziehungen der beiden im 6. Jahrhundert, bevor Gantner näher auf den Begriff Greci eingeht. Er bestimmt ihn als kulturelle und soziale Kategorie, die nicht essentialistisch zu verstehen sei. Er führt dies dann anhand der "römischen Griechen" vor: Diese setzen sich aus verschiedenen Gruppen zusammen, unterschieden je nach Stand und/oder Herkunftsgebiet.

Im Zentrum des vierten Kapitels (101-138) steht die "päpstliche Darstellung und Wahrnehmung der Greci im 8. Jahrhundert", wobei die Benutzung des Begriffs ein Indikator für die Absetzung Roms vom imperium sei. Es wird zwischen der Darstellung im Liber pontificalis und den Papstbriefen bis 772 unterschieden. Der Pontifikat Hadrians I., in dem die Trennung von Ostrom schließlich erfolgte, wird allein behandelt. Es zeigt sich, dass der Begriff erst in pejorativer Weise verwendet wurde, als sich die Päpste in offenem Konflikt mit Ostrom befanden, also genau so, wie er in vielen zeitgenössischen Quellen aus dem Frankenreich begegnet.

Das fünfte Kapitel (139-243) wendet sich den Langobarden zu. Gantner geht davon aus, dass "[d]ie stärkere Assimilation der Langobarden [...] die Päpste dazu [brachte], sie nun gezielt als Andere darzustellen" (140). In chronologischer Ordnung werden die einzelnen Pontifikate behandelt. So kann Gantner zeigen, dass sich unter Stephan II. eine neue, negative Qualität im "Othering" der Langobarden zeigt, die unter Hadrian dann wieder abnimmt. Eine konzise Zusammenfassung der schwankenden Beziehungen macht deutlich, dass verschiedene Faktoren, darunter die unterschiedlichen Interessen in der Pentapolis, das Verhältnis und damit auch den Diskurs über die Anderen bestimmten. Insbesondere wenn sich die Päpste bedroht fühlten, wurden die Langobarden zu einem "Volk der Finsternis". Im Anschluss werden kontrastierend die Franken herangezogen und zwar in Hinblick auf die Frage inwiefern sie "als Andere für die Päpste eine Rolle spielten" (219). Es zeigt sich, dass bei ihrer Darstellung ähnlich vorgegangen wurde wie bei den Langobarden. Denn obwohl die Franken ab 754 "privilegierte Partner" des Papstes waren, wurden sie immer als Andere dargestellt. So konnten sich die Päpste von ihnen absetzen und ein eigenständiges Profil behaupten.

Mit den Sarazenen widmet sich das sechste Kapitel (244-271) einer letzten Gruppe, mit der die Päpste konfrontiert waren. Bei ihrer Untersuchung geht es weniger um Modi der Darstellung, sondern um die Frage was sich durch die Interaktion mit Fremden beim Papsttum selbst änderte. Die Sarazenen unterschieden sich grundlegend von den vorher untersuchten Gruppen: Sie waren keine Christen und da es sich um autonom agierende Gruppen handelte, war es unmöglich, ihnen auf dem Verhandlungsweg zu begegnen. Dieses entscheidende Faktum sei aber in den päpstlichen Quellen zugunsten einer generalisierenden Darstellungsweise unterschlagen worden, um ein klares Feindbild zu schaffen. Es habe dazu gedient die anderen christlichen Herrscher der italischen Halbinsel zu einem gemeinsamen Vorgehen zu mobilisieren. Das zeigt, dass die Päpste angesichts der Sarazenengefahr ihr direktes Umfeld neu bewerteten. Eine weitere folgenschwere Veränderung war die Aufgabe einer "zumindest offiziell pazifistischen Haltung" (265) des Papsttums hin zu einem legitimierten Krieg gegen die Andersgläubigen. Erstmals findet sich diese Haltung bei Leo IV.; sie wird aber von seinen Nachfolgern übernommen. Insbesondere die Rezeption der Briefe in späteren Kirchenrechtssammlungen zeigt, dass sie als Ideengeber für die Kreuzzüge gelten können.

In der Conclusio (272-281) fasst Gantner die wichtigsten Ergebnisse nochmals zusammen und setzt sie zueinander in Beziehung. Abgeschlossen wird der Band durch ein Register der Personen, Orte, Sachen und mittelalterlichen Handschriften sowie eine Übersicht über die wesentlichen Handschriftenklassen des Liber pontificalis für das 8. Jahrhundert.

Das Buch führt anhand von vier Gruppen vor, wie Andere in päpstlichen Texten dargestellt wurden und wie sehr ihre Darstellung mit der Ereignisgeschichte verflochten ist. Dazu trägt vor allem bei, dass Gantner seine beiden Hauptquellen, die Briefe des Codex Carolinus und den Liber pontificalis, so genau wie möglich in ihrer Abfassungszeit bestimmt und so bedeutende Unterschiede zwischen den eher situationsbedingt verfassten Briefen und den oft (wenn auch zeitnah) aus der Rückschau verfassten Viten des Papstbuches herausarbeiten kann. Die differenzierte Analyse des Liber pontificalis mit seinen verschiedenen Rezensionen ist eine der Stärken des Buches, genauso wie die Beachtung von narrativen Mustern der Viten, die zu einer bestimmten Darstellung der Anderen führten. Bei der Interpretation der Briefe des Codex Carolinus wäre allerdings stärker zu beachten gewesen, dass sie an die fränkischen Herrscher gerichtet waren. Sie geben damit Einblick in den Diskurs im päpstlichen Umfeld, jedoch ist zu bezweifeln, dass ihr Inhalt in Rom bekannt war und sie daher repräsentativ für einen Diskurs vor Ort sind. Zudem ist zu bedauern, dass neuere Forschungen zur Papstgeschichte des 9. Jahrhunderts nicht beachtet wurden. [1] Das hätte ein paar Fehleinschätzungen verhindert, so beispielsweise, dass die Briefe Nikolaus' I. vor allem durch kanonistische Überlieferung des Hochmittelalters bekannt seien (254). Auch ist es diskussionswürdig, ob man für diese Zeit eine klare Trennung zwischen 'Realpolitik' und 'Religionspolitik' der Päpste ziehen kann, wie beispielsweise in Bezug auf Hadrian I. postuliert wird (138).

Jedoch kann diese Kritik an Details nicht die Gesamtleistung des Buches schmälern, in dem es dem Autor gelingt, durch die konsequente Anwendung seines theoretischen Modells auch in bestens bekannten Quellen Neues aufzuspüren und aufzudecken, welche Konstruktionsprozesse hinter den Quellentexten stehen, die bis in die heutige Geschichtsforschung hinein ihre Wirkung entfalten.


Anmerkung:

[1] J.F. Böhmer, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751-918 (926/962). Bd. 4: Papstregesten, 800-911. Tl. 2: 844-872. Lfg. 2. 858-867 (Nikolaus I.), bearb. von Klaus Herbers, Köln (u.a.) (2012); J.F. Böhmer, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751-918(987). Bd. 4: Papstregesten, 800-911, Tl. 3: 872-882, bearb. von Veronika Unger nach Vorarbeiten von Dorothee Arnold, Klaus Herbers und Sofia Meyer, Köln u.a. 2013.

Cornelia Scherer