Rezension über:

Thomas Dorfner: Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Reichshofsratsagenten und ihre Rolle im Verfahren (1658-1740) (= Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven; Bd. 2), Münster: Aschendorff 2015, 304 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-402-14656-9, EUR 49,00
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Rezension von:
Sven Düwel
Fürstenwalde
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Sven Düwel: Rezension von: Thomas Dorfner: Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Reichshofsratsagenten und ihre Rolle im Verfahren (1658-1740), Münster: Aschendorff 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 1 [15.01.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/01/28067.html


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Thomas Dorfner: Mittler zwischen Haupt und Gliedern

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Von den beiden höchsten Reichsgerichten stand lange Zeit das Reichskammergericht im Fokus der Betrachtung. Nun wird zunehmend auch dem Reichshofrat eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. [1] Die Studie von Thomas Dorfner steht für diese Entwicklung. Er setzt sich in seiner Publikation (auf Basis seiner zwischen 2008/09 und 2014 in Münster entstandenen Dissertation) auf ca. 245 Seiten Text, in 60 Teilabschnitte gegliedert, mit der weitestgehend unbeachtet gebliebenen Gruppe der ca. 124 Reichshofratsagenten zwischen 1658 und 1740 auseinander, die den Prokuratoren und Advokaten am Reichskammergericht äquivalent waren. Im Gegensatz zu Letzteren fungierten die Agenten als (Ver-)Mittler zwischen dem Reichshofrat und den Reichsständen sowie Privatpersonen als Prozessparteien. Dabei spielt der Autor weniger Prozessverfahren detailliert durch. Vielmehr analysiert er die auf die Agenten bezogenen Unterschiede zwischen formalem Reichshofratsverfahren und informeller Kommunikation, um somit (s)einen Teil zur Kulturgeschichte des Reiches beizusteuern. Die Studie leistet dabei inhaltlich einen überzeugenden Beitrag zur Erforschung dieser Reichshofratsgruppierung, wenngleich aufgrund der Akten- und Quellenlage weniger in einem prosopographischen Kontext.

Inhaltlich betritt Dorfner (analog zu Gschließer im Jahr 1942) geradezu Neuland. [2] Dabei bedient er sich zur theoretischen Untermauerung der System- und Verfahrenstheorie von Niklas Luhmann, der Diskursanalyse nach Michel Foucault und der Kapitalbegriffe von Pierre Bourdieu. Hierbei ist der Studie anzumerken, dass sie unter Regie von Barbara Stollberg-Rilinger entstanden ist (212-214), weil vieles unter der Rubrik "Symbolisch" abgehandelt wird. Mit der Behauptung, "dass alle untersuchten Prozessparteien in starkem Maße auf das soziale und symbolische Kapital der Agenten achteten und die Agenten mittels dieser Kategorien in 'geeignet' und 'ungeeignet' differenzierten" (92), schießt der Autor etwas über das Ziel hinaus. Diese Fachausdrücke hätten wohl kaum bereits zeitgenössisch Verwendung finden können. [3] Vielmehr hätte er mit der zeitgenössischen Fachterminologie arbeiten sollen, was er mit der Formulierung "um in der zeitgenössischen Terminologie zu bleiben" (92) sogar selbst eingesteht.

Die Studie beginnt mit einem einleitenden Kapitel mit Forschungs- und Quellenüberblick, Analysekategorien der (In-)Formalität und den Methoden. Im zweiten Kapitel werden die Rahmenbedingungen des Reichshofrats und im dritten Kapitel die seiner Agenten dargestellt, vor allem der mühsame (Karriere-)Weg hin zu einer Agentie, um sodann in den beiden folgenden Hauptkapiteln zunächst der Beziehung zwischen den Agenten und ihren Prozessparteien und schließlich der Rolle der Agenten als Akteure in den Verfahren selbst nachzugehen. Interessant hierbei ist vor allem die Tatsache, dass sich die Prozessparteien nur für diejenigen als Agenten entschieden hatten, die ihnen zum Erreichen ihres anvisierten Zieles am Reichshofrat dienlich waren und dass dahingehend oftmals vielmehr subjektive Entscheidungen den Ausschlag gegeben hatten (Konfession, persönliches Netzwerk oder Fürsprecher der Agenten) als objektive (Studium, akademische Titel oder Dienstauffassung der Agenten). In ihrer Rolle als Akteure fanden sich die Agenten dabei oftmals in einem Widerspruch zwischen formalen Verfahrensregeln der Reichshofratsordnung von 1654 und ihrem Verhältnis zum übrigen Reichshofratspersonal wieder. Dies führte schnell zu einem Übergewicht an informeller Verfahrenspraxis und dem Verdacht der Korruption, des Geheimnisverrates oder gar des Nepotismus. Die Folge war eine Überarbeitung der Reichshofratsordnung im Jahr 1714. Die beiden letzten Hauptkapitel enden jeweils mit einer konzisen Zusammenfassung. Im vorletzten sechsten Kapitel geht der Autor dann anhand dreier Beispiele zwischen 1729 und 1738 der Frage nach, warum die für mehrere Parteien tätigen Agenten sukzessive den lediglich nur noch für eine Partei tätigen Spezialagenten bzw. reichsständischen (Ab-)Gesandten am Wiener Hof hatten Platz machen müssen. Im finalen Kapitel findet zum einen nochmals eine Zusammenfassung statt und wird zum anderen der Frage nachgegangen, ob die Rechtsauffassung des Reiches mit derjenigen im heutigen Deutschland konform geht.

Aus Sicht des Rezensenten hätte der Lesefluss durch eine Auflösung zeitgenössischer Fachtermini, besonders aber durch die Übersetzung fremdsprachiger Passagen verbessert werden können. Zudem wäre bei manchem historischen Fachterminus eine Erklärung angebracht gewesen, um auch den nicht mit den Reichsgerichten vertrauten Lesern das Verständnis zu erleichtern. Die schnelle Erschließbarkeit des Bandes hätte überdies durch ein Sachregister gefördert werden können. Ein - leider nicht ganz vollständiges - Personenregister (ein Siebenkees taucht dort auf, ein Agrippa Elistranus hingegen nicht) ist hingegen hilfreich. Nicht ganz nachvollziehbar ist, warum einzelne Begriffe mal in doppelten, mal in einfachen Anführungszeichen (15, 47), lateinische Abkürzungen manchmal nicht erklärt sind oder Begriffe erst kursiv geschrieben werden, dann wieder nicht [Fiscal (75), Envoyé (231, 234)]. Und auch in sprachlich-formaler Hinsicht hätte an manchen Stellen vor der Drucklegung noch eine Glättung erfolgen können, etwa um Wiederholungen von Formulierungen wie "soll ... werden" zu reduzieren oder Unwörter wie "Verallgemeinerbarkeit" (91) u.ä. zu tilgen.

Dessen ungeachtet ist dem Autor eine inhaltlich sehr überzeugende Studie gelungen. Zwar überrascht die Aussage, dass die Agenten durch ihre Tätigkeit entscheidend zur Verrechtlichung von Konflikten beitrugen (249) zunächst wenig, liegt das doch in der Natur der Sache bei einem Reichsgericht. Fundamental ist hingegen, dass erst durch das Engagement dieser Gruppe der Agenten auch der Kaiser und sein Reichshofrat in ihrer oberstrichterlichen Funktion vor allem seitens der Reichsstände ihre Bestätigung erfuhren, was eine rechtliche Lösung von Konflikten auf Reichsebene überhaupt erst möglich werden ließ (250). Der Vermittlerrolle der Agenten kam somit eine für das Funktionieren des Reichssystems fundamentale Bedeutung zu. Dies analysiert zu haben, hat der Autor überzeugend unter Beweis gestellt.


Anmerkungen:

[1] Vergleiche die beiden Reihen "Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich" (ab 1973) und "Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung" (ab 1985).

[2] Oswald von Geschließer: Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806 (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte des ehemaligen Österreich; Bd. 33), Wien 1942 [ND 1970], auf Seite 88 Erwähnung der Reichshofratsagenten.

[3] Gleiches trifft zum einen auf die vom Autor gestellte Frage "Warum erachteten die untersuchten Prozessparteien Sozial- und Symbolkapital als die wichtigsten Kategorien zur Beurteilung der Reichshofratsagenten?" (92), zum anderen auf die Aussage "Inkorporiertes Kulturkapital in Gestalt juristischer Fachkenntnisse sowie institutionalisiertes Kulturkapital in Form von akademischen Titeln erfuhren hingegen selten direkte Beachtung und fungierten nicht als Entscheidungsprämissen." (95), zu.

Sven Düwel