Rezension über:

Sebastian Lindner: Zwischen Öffnung und Abgrenzung. Die Geschichte des innerdeutschen Kulturabkommens 1973-1986 (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Ch. Links Verlag 2015, 248 S., ISBN 978-3-86153-860-8, EUR 35,00
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Rezension von:
Hermann Wentker
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Wentker: Rezension von: Sebastian Lindner: Zwischen Öffnung und Abgrenzung. Die Geschichte des innerdeutschen Kulturabkommens 1973-1986, Berlin: Ch. Links Verlag 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 2 [15.02.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/02/27745.html


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Sebastian Lindner: Zwischen Öffnung und Abgrenzung

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Beim Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom 21. Dezember 1972 handelte es sich um ein Rahmenabkommen, das weitere deutsch-deutsche Abkommen ermöglichte. Dazu zählte auch das deutsch-deutsche Kulturabkommen. Die Verhandlungen dazu begannen bereits 1973, konnten aber erst 1986 abgeschlossen werden. Das lag unter anderem an den völlig unterschiedlichen Zielen, die beide Staaten verfolgten: Wollte die Bundesrepublik die Präsentationsmöglichkeiten westdeutscher Kultur in der DDR verbessern, fürchtete die DDR eine damit verbundene Öffnung und wollte den deutsch-deutschen Kulturaustausch streng reglementieren.

Den langen Weg zum Kulturabkommen, der bisher weitgehend im Dunkeln lag, untersucht Sebastian Lindner in seiner Dissertation auf der Grundlage einer umfassenden Auswertung der ungedruckten Akten beider Seiten. Für die DDR konnte er die Bestände der SED und des DDR-Außenministeriums, für die Bundesrepublik die Akten des Bundeskanzleramts, des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen und der bundesdeutschen Ständigen Vertretung in Ost-Berlin heranziehen.

Auf westdeutscher Seite führte zunächst Günter Gaus als Leiter der Ständigen Vertretung (StäV) im Auftrag des Kanzleramts die Verhandlungen, auf ostdeutscher der stellvertretende Außenminister Kurt Nier im Auftrag von SED-Generalsekretär Honecker. Bei den am 27. November 1973 aufgenommenen Verhandlungen wollte die bundesdeutsche Seite vor allem inhaltlich vorankommen, die DDR hingegen wollte sie zur Klärung von Statusfragen nutzen. Daher strebte die DDR ein völkerrechtliches Abkommen an und erklärte die Rückführung der kriegsbedingt nach Westdeutschland und West-Berlin verlagerten Kulturgüter, insbesondere die der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, als unabdingbare Voraussetzung für einen solchen Vertrag. Beides lehnte die Bundesregierung jedoch kategorisch ab, die überdies auch die Einbeziehung von West-Berlin forderte, was wiederum die DDR zunächst zurückwies.

Dass sich die Verhandlungen als äußerst zäh erwiesen, verwundert daher nicht. Wenngleich sich wenig an den entgegengesetzten Positionen änderte, geht Lindner unter Verwendung langer Zitate detailliert auf jede Verhandlungsrunde ein. Im Juni 1975 hielt es Gaus angesichts der Intransigenz Ost-Berlins für völlig offen, "ob die DDR tatsächlich an einem Kulturabkommen interessiert" sei (74). Nach der Runde vom 29. Oktober desselben Jahres wurde dann auch kein neuer Termin vereinbart, so dass die Verhandlungen "eingefroren" waren (78).

Erst am 13. September 1982 kündigte Honecker persönlich dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans-Jürgen Wischnewski, eine Wiederaufnahme der Verhandlungen an. Lindner zufolge "lässt sich aus den verfügbaren Quellen heraus" nicht die Ursache für Honeckers Kurswechsel erklären (122). Die Erklärung liegt indes auf der Hand. Wischnewski hatte zu Beginn des Gesprächs die Bedrängnis geschildert, in die Bundeskanzler Schmidt innenpolitisch aufgrund des drohenden Koalitionswechsels der FDP geraten war: Schmidt benötige daher "einige kurzfristige Erfolge", auch im Zusammenhang mit den deutsch-deutschen Beziehungen. Etwas später erklärte Honecker die Bereitschaft der DDR, ein Kulturabkommen "unter Ausklammerung der Frage des preußischen Kulturbesitzes abzuschließen, wenn das der Regierung von Bundeskanzler Schmidt hilft" [1]. Honecker wollte mit diesem Schritt also den sozialdemokratischen Kanzler unterstützen und an der Macht halten, was freilich nicht gelang.

Aufgrund der innenpolitischen Turbulenzen in Bonn infolge des konstruktiven Misstrauensvotums und der Neuwahlen am 6. März 1983 wurden die Verhandlungen erst am 20. September desselben Jahres wiederaufgenommen, kamen dann aber weitaus besser voran als nach 1973. Von der dritten Verhandlungsrunde am 5. März 1984 berichtete die StäV, dass aus Sicht der DDR "den Kulturverhandlungen die Funktion eines 'Schrittes zur Schadensbegrenzung'" zukomme (138). Auch hier versäumt Lindner die erforderliche Einordnung: Während die Sowjetunion nach dem Beschluss des Bundestages vom 22. November 1983 zur Stationierung von Mittelstreckenraketen die Beziehungen zur Bundesrepublik möglichst einfrieren wollte, war Honecker daran gelegen, diese möglichst unbeeinträchtigt fortzuführen, um nicht die westdeutschen wirtschaftlichen Hilfsleistungen für die DDR zu gefährden.

Die erneute Stagnation in den Verhandlungen im Herbst 1984 führt Lindner zutreffend auf die Absage des Honecker-Besuchs in Bonn zurück, die wiederum auf eine sowjetische Anweisung zurückging. Nun war es nicht mehr erforderlich, binnen kurzem ein unterschriftsreifes Abkommen vorlegen zu können. Aber lange wollte Honecker mit einem Abschluss nicht mehr warten und erteilte nach einem Gespräch mit dem Leiter der StäV, Hans Otto Bräutigam, Ende Juni 1985 den Auftrag, die Verhandlungen "baldmöglichst zum Ende zu bringen" (169). Da Moskau offensichtlich befürchtete, die DDR könne die sowjetische Position in der Berlin-Frage übergehen, intervenierte der sowjetische Botschafter Kotschemassow Anfang September im Ost-Berliner Außenministerium. Diesmal ließ sich die DDR davon jedoch nicht beeindrucken, so dass die Verhandlungen durch Kompromisse in den umstrittenen Fragen und die Ausklammerung der Frage des Preußischen Kulturbesitzes erfolgreich beendet werden konnten und das Abkommen am 6. Mai 1986 von den Unterhändlern unterzeichnet wurde.

Lindner beschränkt sich nicht auf die - freilich sehr kleinteilige - Darstellung der Verhandlungen, sondern geht auch auf den deutsch-deutschen Kulturaustausch in den Jahren 1977 bis 1980 ein. Dieser Abschnitt ist aber wenig analytisch und reiht nur die unterschiedlichsten einschlägigen Ereignisse aneinander, wie etwa die umstrittene Präsentation von DDR-Kunst auf der documenta in Kassel 1977, Fotoausstellungen der Bundesrepublik in Ost-Berlin 1977 und der DDR in Köln 1979 und Filmwochen in Ost und West. Ähnliches passiert im letzten Kapitel, das zwar mit "Wirkungen" überschrieben ist, aber keineswegs gezielt auf die Auswirkungen des Kulturabkommens eingeht. Auch hier werden heterogene Themen wie die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften, bestimmte "kulturelle Highlights" (217) des Kulturaustauschs in Ost und West im Jahre 1987 und die Aufführungen von Rock- und Pop-Musik in Ost und West beschrieben, ohne systematisch danach zu fragen, was sich denn durch die Unterzeichnung des Kulturabkommens in den deutsch-deutschen Kulturbeziehungen änderte.

Insgesamt handelt es sich zwar um eine gründliche Arbeit, die die Verhandlungen zum deutsch-deutschen Kulturabkommen gut nachvollziehbar macht, die allerdings an einer mangelnden Einordnung dieser Verhandlungen in die größeren Zusammenhänge der deutsch-deutschen Beziehungen leidet. Überdies wird nicht klar, welchen Stellenwert das Kulturabkommen für die Kulturbeziehungen der beiden deutschen Staaten in den letzten drei Jahren der deutschen Teilung besaß.


Anmerkung:

[1] Vermerk über das Gespräch Honeckers mit Wischnewski am 13.9.1982, in: Detlef Nakath / Gerd-Rüdiger Stephan (Hgg.): Von Hubertusstock nach Bonn. Eine dokumentierte Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen auf höchster Ebene 1980-1987, Berlin 1995, 84, 88.

Hermann Wentker