Rezension über:

Aneta Georgievska-Shine / Larry Silver: Rubens, Velázquez, and the King of Spain, Aldershot: Ashgate 2014, XV + 297 S., 48 Farb-, 112 s/w-Abb., ISBN 978-1-4094-6233-0, GBP 70,00
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Rezension von:
Henrik Karge
Institut für Kunst- und Musikwissenschaft, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Henrik Karge: Rezension von: Aneta Georgievska-Shine / Larry Silver: Rubens, Velázquez, and the King of Spain, Aldershot: Ashgate 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6 [15.06.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/06/27079.html


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Aneta Georgievska-Shine / Larry Silver: Rubens, Velázquez, and the King of Spain

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Der Titel des Buchs der amerikanischen Kunsthistoriker Aneta Georgievska-Shine und Larry Silver zielt auf ein für die Kunst des 17. Jahrhunderts höchst bedeutendes Beziehungsdreieck: Rubens - Velázquez - Philipp IV. Der jahrzehntelangen Verbindung des Hofmalers und Höflings Velázquez zu seinem König steht Rubens' eher punktuelle, aber ebenfalls intensive Tätigkeit als Künstler und Diplomat für Philipp IV. gegenüber, und die Wechselbeziehungen der beiden Ausnahmekünstler bilden für sich bereits ein fruchtbares Feld für kunsthistorische Reflexionen.

Ganz so breit, wie der Titel vermuten lässt, ist das Buch jedoch nicht angelegt: es befasst sich allein mit den Bildern, die die Rubens-Werkstatt und Diego Velázquez in den Jahren ab 1636 für den königlichen Jagdpavillon Torre de la Parada in der Nähe von Madrid geliefert haben. Dieser relativ kleine und schlichte, heute leider nicht mehr erhaltene Bau, der der königlichen Jagdgesellschaft als zeitweiliger Aufenthaltsort diente, war mit einer geradezu erstaunlichen Fülle von Gemälden ausgestattet: neben 50 Jagdszenen von Frans Snyders und Paul de Vos befand sich hier mit 63 mythologischen Gemälden von teils riesigem Format der größte Malereizyklus, den die Rubens-Werkstatt je realisiert hat; erhalten haben sich vielfach sowohl die Originalentwürfe von Rubens als auch die von der Werkstatt ausgeführten Gemälde, letztere heute zumeist im Museo del Prado in Madrid. Innerhalb des überschaubaren Œuvres von Velázquez bilden die ehemals elf Werke der Torre de la Parada - zumeist reale und fiktive Porträts - ebenfalls einen bemerkenswerten Zyklus, der sich zudem durch seine besondere künstlerische Qualität auszeichnet.

Die bisherige Forschung zur Torre de la Parada hatte darunter gelitten, dass die Studien nur unter der Perspektive eines einzigen Künstlers durchgeführt wurden, sodass der Gesamtkomplex dieses außerordentlichen Gemäldeensembles weitgehend aus dem Blick geriet. So hatte Svetlana Alpers 1971 ihre grundlegende Monografie des Torre-Zyklus als Teil des "Corpus Rubenianum Ludwig Burchard" konzipiert [1], und die meisten folgenden Studien nahmen ebenfalls die Rubens-Perspektive ein. In dieser Hinsicht bedeutet das Buch von Georgievska-Shine und Silver einen erheblichen Fortschritt, da gerade die Wechselbeziehungen von Rubens und Velázquez sowie die Bezugnahme beider Künstler auf das große Vorbild Tizian von den Autoren ausführlich thematisiert werden.

Dennoch bleibt die aktuelle Studie in Bezug auf die konkreten Umstände der königlichen Aufträge und die Verteilung der Gemälde im Jagdpavillon merkwürdig unkonkret. Hier erbringt die 2013 erschienene Dissertation von Saskia Jogler über die Hofnarrenporträts von Diego Velázquez weit präzisere Informationen, da die Autorin die erhaltenen Inventare von 1701 und 1747 gründlich auswertet und so zu einer überzeugenden Rekonstruktion der Gemäldehängung in der Torre de la Parada gelangt. [2] Auch der historische Kontext der Kunstaufträge geht aus dieser Untersuchung weit klarer hervor als aus der Publikation von Georgievska-Shine und Silver - es irritiert vor allem, dass der im Titel hervorgehobene "King of Spain" als Auftraggeber des komplexen Ensembles kaum in Erscheinung tritt. [3]

Die Autoren verfolgen eine traditionelle Methodik ikonologischen Zuschnitts im Sinn von Erwin Panofsky, um die Bildprogramme der zwei Protagonisten (die Jagdszenen von Snyders und de Vos werden ausgeblendet) zu eruieren und mit einer Vielfalt literarischer Bezüge zu verknüpfen. So sind mehrere Kapitel den künstlerischen Adaptionen der Ovidschen "Metamorphosen" gewidmet, aus denen der Torre-Zyklus der Rubens-Werkstatt fast zur Gänze besteht. Dabei wird der tragische Grundton der Mythen klar herausgearbeitet, der sowohl die literarischen Vorlagen des römischen Dichters als auch deren Umsetzungen in Bilder kennzeichnet. In der Tat fasste der späte Rubens die Begegnungen von Göttern und Menschen in Kampf- und Liebesszenen keineswegs spielerisch auf, sondern entfaltete hier geradezu ein Pandämonium des Scheiterns und des Schreckens. Eindrucksvoll zeigen die Autoren, wie bei diesen unheilvollen Begegnungen nicht allein die Menschen, sondern auch die Götter schicksalhaften Verstrickungen zum Opfer fallen - so stellt Apollos Sieg über den Python ein Präludium seiner scheiternden Liebe zu Daphne dar.

Angesichts dieser klaren Analysen ist es jedoch unverständlich, wieso etwa der der Macht des Amor - ein Kapitel ist "In the Empire of Eros" überschrieben - verfallene Apollo auf Philipp IV. als "neuen Apoll" bezogen werden soll. Hier zeigt sich ein geradezu zwanghafter Erklärungsansatz, die verbildlichten Mythen als Sinnbilder der habsburgischen Herrschaft zu interpretieren [4] - selbst das naheliegendere Deutungsmuster als Warnung des Monarchen vor der Macht menschlicher Leidenschaften vermag die vielfältigen Bilder des Unglücks nicht hinreichend zu erklären, die der Komplexität und Grausamkeit der Ovidschen Vorlagen angemessen sind. [5] So erscheint es weit einleuchtender, die in Antwerpen entstandenen Alterswerke des flämischen Malers als tiefsinnige Auseinandersetzung mit den in den Mythen gespiegelten tragischen Dimensionen der menschlichen Natur zu begreifen und von einer allzu zielgerichteten Ausrichtung auf den Madrider Jagdpavillon weitgehend zu entkoppeln.

Es fehlen bei Georgievska-Shine und Silver auch Vergleiche mit früheren mythologischen Bildern von Rubens, etwa der von Eveliina Juntunen analysierten "Täuschung des Ixion" von 1614-16. [6] Indem diese und weitere Studien zum Thema in deutscher Sprache gänzlich ignoriert werden, sind die wissenschaftlichen Defizite der Studie nicht zu übersehen.

Deutlich stärker ausgefallen sind die Kapitel zu Diego Velázquez, der das Torre-Ensemble mit den drei Porträts Philipps IV., dessen Bruder Ferdinand und dem Infanten Baltasar Carlos in Jagdkleidung, dem Bild einer königlichen Wildschweinjagd, vier seiner berühmten Hofnarrenporträts, den fiktiven Porträts der griechischen "Philosophen" Aesop und Menipp sowie als einziger mythologischer Darstellung einem Bild des sinnierenden Mars vervollständigte - zudem oblag dem Hofmaler das gesamte Arrangement der Bilder im Jagdpavillon. Die Autoren zeigen überzeugend, wie Velázquez Rubens' Philosophenpaar Demokrit und Heraklit, "the yin and yang of ancient Greek thought" (172), anspielungsreich mit dem Fabeldichter Aesop und dem Zyniker Menipp zu einem Quartett der (neo)stoischen Lebenshaltung arrondierte - die klare künstlerische Überlegenheit der bettlerähnlichen "Philosophen" des Velázquez, die mit Manet ihre eigene Rezeption in der Moderne erfuhren, wird dabei nicht thematisiert. Dagegen wird ganz zu Recht die Bedeutung des für das spanische Denken der Zeit fundamentalen Konzepts des desengaño, der heilsamen Desillusionierung des Menschen, gerade auch für Velázquez' Torre-Bilder hervorgehoben. [7] Ein weiterer wichtiger Hinweis gilt der Verknüpfung von "high" und "low" als "concordia discors" im Sinn von Horaz (196), die für Velázquez' Hofnarrenbildnisse ebenso charakteristisch ist wie für die großen Spätwerke der "Hilanderas" und der "Meninas".

Vor allem aber können Georgievska-Shine und Silver deutlich machen, in welch subtiler Weise Velázquez auf Rubens' Bilderwelt reagierte: im Bewusstsein einer gemeinsamen auf Tizian zurückgehenden Kunsttradition. Hier stand sicher auch das Vorbild Tizians als Hofmaler Kaiser Karls V. Pate, an dem sich der Hofmaler Philipps IV. orientierte und das er zugleich in den "Hilanderas" effektvoll überbot. Dennoch ist es zu kurz gegriffen, wenn dieser "Painters' Dialogue" (260ff.) unter der Überschrift "Forms of Visual Rhetoric" (245ff.) subsummiert wird, denn der Begriff der Rhetorik wird der Komplexität der Bilderfindungen von Velázquez nicht gerecht.

"Rubens, Velázquez, and the King of Spain" erweist sich als ein trotz mancherlei Defiziten durchaus anregendes, streckenweise höchst gelehrtes Buch, das mit tiefgründigen Bild- und Literaturanalysen aufwartet, während die Autoren in ihren Schlussfolgerungen zumeist zu schematischen Verkürzungen neigen, die auch aus der mangelnden Einbeziehung des historisch-topografischen Kontextes der behandelten Bilder resultieren.


Anmerkungen:

[1] Svetlana Alpers: The Decoration of the Torre de la Parada (= Corpus Rubenianum Ludwig Burchard; Bd. 9), London / New York 1971.

[2] Saskia Jogler: Selbstreflexion im Narrenspiegel. Die Hofnarrenporträts von Diego Velázquez, Frankfurt am Main 2013, 185-304, bes. Abb. 3.2, 3.3. Vgl. auch die Überlegungen zur Hängung der Rubens-Gemälde in: Annegret Glang-Süberkrüb: "Torre de la Parada - einige Anmerkungen", in: Eveliina Juntunen / Zita Ágota Pataki (Hgg.): Rubens im Blick. Ausgewählte Werke unter Re-vision, Stuttgart 2007, 69-108.

[3] Vgl. Alain Hugon: Philippe IV, Paris 2014.

[4] Diese Kritik betrifft auch den programmatischen Ansatz von Glang-Süberkrüb 2007.

[5] Dazu weiterführend: Karl Heinz Bohrer: "Ovids Grausamkeit", in: ders.: Ist Kunst Illusion?, München 2015, 44-56.

[6] Eveliina Juntunen: Peter Paul Rubens' bildimplizite Kunsttheorie in ausgewählten mythologischen Historien (1611-1618), Petersberg 2005, 72-83.

[7] Vgl. auch Jogler 2013, 347-366.

Henrik Karge