Rezension über:

Dariusz Adamczyk: Silber und Macht. Fernhandel, Tribute und die piastische Herrschaftsbildung in nordosteuropäischer Perspektive (800-1100) (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; Bd. 28), Wiesbaden: Harrassowitz 2014, 385 S., ISBN 978-3-447-10168-4, EUR 60,00
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Rezension von:
Thomas Foerster
Rom
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Foerster: Rezension von: Dariusz Adamczyk: Silber und Macht. Fernhandel, Tribute und die piastische Herrschaftsbildung in nordosteuropäischer Perspektive (800-1100), Wiesbaden: Harrassowitz 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/29282.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Dariusz Adamczyk: Silber und Macht

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In Zeiten anhaltender Finanz- und Eurokrise sind Fragen um Leitwährungen, Kapitalfluss und um die Zugehörigkeit zu überregionalen Währungsräumen von bedrückender Aktualität. Von ähnlicher Bedeutung war der Zusammenhang von Geldströmen und Politik natürlich auch im Mittelalter; dennoch hat sich aber die Mediävistik nur sehr vereinzelt mit diesem Konnex beschäftigt, und so liegen für das Frühmittelalter hauptsächlich numismatische Untersuchungen zur regionalen Zusammensetzung von Münzfunden und eben historische zur Herrschaftsbildung in einzelnen Königreichen vor. Mit der hier anzuzeigenden Monografie legt nun Dariusz Adamczyk eine Studie vor, die genau diesen Zusammenhang von Silber und Macht für die piastische Herrschaftsbildung zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert untersucht.

Am DHI in Warschau entstanden und in dessen Reihe 'Quellen und Studien' erschienen, behandelt der Verfasser die Einbindung der einzelnen polnischen Regionen des frühen Mittelalters in überregionale Geldströme und Handelsrouten zwischen England und Sachsen, Skandinavien, Russland, dem Chasarenreich und den arabischen Herrschaftsgebieten. Diese ausgreifende Darstellung der weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Beziehungen ist ein besonderes Verdienst dieser vortrefflichen Studie. In ausgewogener Weise zieht der Verfasser dabei archäologische und numismatische Ergebnisse wie auch historiografische Quellen, etymologische Erwägungen und neuere Forschungen zu frühmittelalterlichen Herrschaftsbildungen heran.

In dieser Zusammenstellung unterscheidet er für seinen Untersuchungsraum vier Hauptphasen von Silberströmen: In den ersten beiden Phasen im 9. Jahrhundert kamen hauptsächlich zentralasiatische, später nahöstliche Dirhems über das Chasarenreich in lokalen Umlauf und machen den Großteil der Hortfunde aus, zunächst mit deutlichen Schwerpunkten in der Rus' und an der südlichen Ostseeküste und später dann in Schweden und insbesondere in Gotland. Polen - zumindest Großpolen - war von diesen Silberströmen noch relativ unberührt. Hier waren zu dieser Zeit vor allem Münzen im Umlauf, die teilweise Jahrzehnte zuvor geprägt worden waren und die wohl häufig noch für ihren Edelmetallwert, das heißt als Schmuck oder Hacksilber, genutzt wurden. Wenngleich man, wie der Verfasser aufzeigt, Polen in dieser Zeit bei Weitem nicht mehr als reines Transitland sehen kann, war die Region doch immer noch weit entfernt von bedeutenden Handelswegen und damit den direkten Silberströmen.

In der dritten Phase ab circa 930 bildeten sich jedoch neue Netzwerke heraus, und mit ihnen entstand auch die politische Stellung der Piasten. Verkürzt kann man sagen, dass erst mit der Umleitung der Silberströme nach Großpolen auch der Aufstieg der Piasten möglich wurde. Als um die Jahrtausendwende der Münzzufluss aus dem Samanidenreich zusammenbrach, richtete sich Polen verstärkt nach Westen aus, und in der Folge lösten deutsche (und englische) Münzen die arabischen ab. Dass dies zeitlich mit der Herrschaftsentwicklung der Piasten zusammenfiel, ist sicher, wie der Verfasser zu Recht hervorhebt, kein Zufall. Die politischen Strukturen solcher frühen Elitenbildung erforderten die Thesaurierung großer Mengen Edelmetalls, da diese Herrscher Gefolge um sich versammelten, deren Treue und Unterstützung mit eben diesen Metallen erworben wurde. Da aber die frühen Piasten kaum Zugang zu bedeutenden Handelswegen hatten, die sie, wie andere Herrscher ihrer Zeit, hätten kontrollieren können, stand ihnen der Handel als Einnahmequelle nur bedingt zur Verfügung. Stattdessen wurden aber Tribute aus umliegenden Regionen wie auch die Beute aus Raubzügen "versilbert" und nicht in Handelsstädten, sondern in befestigten Zentralorten gehortet. Erst später verschoben sich die Silberströme, und mit der Christianisierung hatte sich solch eine "exogene Ressourcenabschöpfung" (288) dann bald ganz überlebt.

Zuletzt entwickelten die Piasten auch neue wirtschaftliche Modelle, die nicht zuletzt auch in der Prägung eigener Münzen resultierten. Adamczyk gleicht die archäologischen Befunde immer wieder gewinnbringend mit den historiografischen Quellen ab oder zumindest mit den darin überlieferten Denkmodi. Zuweilen werden die politischen Verhältnisse von den Tabellen über archäologische Funde etwas erdrückt, und dem Nicht-Numismatiker erschließt sich nicht immer gleich die Bedeutung der vielen Einzeldetails. Darüber hinaus hätte man zuweilen auch andere Fragen stellen können: Außenkontakte dienten sicherlich nicht nur der Silberzufuhr; und so war auch der Wandel der Silberströme sicherlich nicht der einzige Grund für die Konsolidierung der piastischen Herrschaft. Die Christianisierung gestand dem Herrscher auch einen ideologischen Vorrang zu, der im Laufe der Zeit sicher preiswerter war als das ständige Entlohnen einer Gefolgschaft. Weiterhin hätte man zu den umliegenden Regionen sicherlich noch andere Publikationen heranziehen können. Da auf diesen Regionen aber nicht das eigentliche Augenmerk der Studie liegt, wird die Gültigkeit der Diskussion damit auch nicht beeinträchtigt.

Insgesamt hat Adamczyk mit Silber und Macht eine wichtige, klar strukturierte und überzeugende Studie vorgelegt, die ihre Ergebnisse aus interdisziplinärer Kompetenz und aus einer überregionalen Perspektive erzielt, die weit über die Grenzen Polens hinausreicht und die Piasten in ausgedehnten europäischen Netzwerken verankert. So richtet sich die Monografie auch gegen die frühere polnische Forschung, welche die Genese des polnischen Staates gerne als endogenen Prozess gesehen hat, der durch eigene Überschüsse, Raubzüge und Teilnahme an europäischem Handel finanziert worden sei. Die Bedeutung von Adamczyks Studie geht aber weit über ein Korrektiv solcher Vorstellungen hinaus. Die Untersuchung wendet sich auch gerade nicht explizit an Numismatiker, sondern an alle, die sich für frühmittelalterliche Herrschaftsbildung und die Ursprünge der europäischen Königreiche interessieren. Als wertvoller Beitrag zu dieser Diskussion hat sie das Potenzial, diese auch grundlegend zu befruchten, nicht nur für das frühmittelalterliche Polen oder Ostmitteleuropa, sondern auch für andere Regionen, wie etwa Skandinavien. So wünscht man ihr in diesen Kreisen weite Verbreitung und breite Rezeption. An einem Beispiel zeigt sie auf, wie sehr einzelne Veränderungen in einem Wirtschaftsraum durch den sogenannten "Schmetterlingseffekt" dazu führen können, dass ganze Großregionen sich von diesem Raum ab- und anderen zuwenden können. Vor diesem Hintergrund wünscht man sich beinahe auch, dass sie vielleicht von dem einen oder anderen Verantwortungsträger in heutigen monetären Großregionen gelesen werden möge.

Thomas Foerster