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Stephan Conermann: Vormoderne Transkulturalitätsforschung. Einführung, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/05/forum/vormoderne-transkulturalitaetsforschung-219/

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Vormoderne Transkulturalitätsforschung

Einführung

Von Stephan Conermann

In diesem FORUM stellen wir einige neuerer Publikationen zu Transkulturalitätsphänomenen in der Vormoderne vor. Bei dem Konzept der Transkulturalität geht man in der Regel in Anlehnung an die Überlegungen von Wolfgang Welsch davon aus, dass es keine monolithischen Kulturen gibt, sondern 'Kulturräume' immer hybrid sind und zudem ständigen Aushandlungsprozessen unterliegen. Als Trendsetter für die mediävistische Transkulturalitätsforschung kann man in Deutschland sicher das von Michael Borgolte und Bernd Schneidmüller von 2005 bis 2011 geleitetet DFG-Schwerpunktprogramm 1173 "Integration und Desintegration der Kulturen im mittelalterlichen Europa" (www.spp1173.uni-hd.de/) ansehen, aus dem sehr viele wichtige Publikationen hervorgingen. [1] Gleichzeitig hatten allerdings auch schon Dorothea Weltecke, Almut Höfert, Jenny Rahel Oesterle und Wolfram Drews in Göttingen einen "Arbeitskreis für transkulturelle Geschichte der Vormoderne" gegründet, der dann 2007 in das von Wolfram Drews geleitete DFG-Netzwerk "Vormoderne monarchische Herrschaftsformen im transkulturellen Vergleich" (gepris.dfg.de/gepris/projekt/33525372/ergebnisse, Laufzeit: 2007-2011) mündete. Hier verfolgte man das Ziel, "Strategien der Legitimation, Begründung und Inszenierung von Herrschaft sowie Praktiken der Machtausübung, insbesondere der Interaktion monarchischer Herrscher mit unterschiedlichen sozialen Gruppen, in verschiedenen kulturellen Kontexten zu analysieren. Dabei soll[te] danach gefragt werden, ob und inwieweit Strategien und Praktiken monarchischer Herrschaft kulturspezifischen Prägungen folgen, und in welchen Punkten oder unter welchen Voraussetzungen kulturübergreifende Muster konstatiert werden können." [2] Darüber hinaus etablierte Gudrun Gersmann 2008 für zwei Jahre am Deutschen Historischen Institut in Paris die Forschergruppe FranceMed "La France et la Méditerrnée. Espaces des transfers et culturels", die während ihrer Förderzeit vier Kolloquien zu kulturellen Transferprozessen im Mittelmerraum durchführte: (1) "Construire la Méditerranée, penser les transfert culturels. Approches historiographiques et perspectives de recherches" (9.-10. Juni 2009), (2) "Les acteurs des transfert culturels en Méditerranée médiévale. Sphères d'activité, contributions, functions" (20.-22. Januar 2010), (3) "Objets et arts dans les transferts culturels" (24-25. März 2010) sowie (4) "Mobilité(s). Pour une étude des sources et des méthodes d'approche" (1.-2. Juni 2010). [3] Auch aus dieser Initiative ging schließlich ein DFG-Netzwerk hervor. Daniel König konnte in der Zeit von 2012 bis 2016 im Rahmen dieser Förderung mit einer Reihe von KollegInnen zu "Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Euromediterraneum (500-1500)" (http://transkulturelleverflechtungen.uni-kassel.de/) arbeiten. König erhielt dann 2014 einen Ruf auf eine Start-up Professur an dem Heidelberger Exzellenzcluster "Asia and Europe in a Global Context. The Dynamics of Transculturality" (http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/en/). In dem Cluster, das im Oktober 2007 im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gegründet und 2012 verlängert wurde, bildet "Transkulturalität" ebenfalls den Mittelpunkt der Forschung: "Die Analyse von Asymmetrien in den Macht- und Austauschbeziehungen sowie der durch ihre Wahrnehmung freigesetzten Energien in der ersten Förderperiode führten zu dem übergreifenden Forschungsansatz 'Dynamik der Transkulturalität'. Bei diesem steht die widersprüchliche Beziehung zwischen Kultur als Identitätsstiftung und Kultur als Ergebnis (globaler) Verflechtungsprozesse im Zentrum des Interesses. In enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Disziplinen soll dieser neue Ansatz in der zweiten Förderperiode inhaltlich und methodisch umgesetzt werden." [4] Das Cluster hat im Laufe der Jahre zahlreiche Instrumente der strukturierten Transkulturalitätsforschung geschaffen, die in dem Karl Jaspers Zentrum für Transkulturelle Forschung (KJC) gebündelt werden. (www.asia-europe.uni-heidelberg.de/de/ueber-uns/karl-jaspers-zentrum.html) Eine weitere Dachstruktur entsteht gerade in der (auch räumlichen) Zusammenführung des Südasien-Instituts (SAI), des Zentrums für Ostasienwissenschaften (ZO), des Instituts für Ethnologie und des Heidelberger Centrums für Transkulturelle Studien (HCTS) zu einem Centre for Asian and Transcultural Studies (CATS). (www.cats.uni-heidelberg.de/) Vor diesem ganzen Hintergrund ist schließlich auch der im Mai 2016 bewilligte und im Juli 2016 an der Universität Bonn angelaufene Sonderforschungsbereich 1167 "Macht und Herrschaft - Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive" (www.sfb1167.uni-bonn.de/) zu sehen. In diesem Verbundprojekt "soll der bislang ubiquitäre Eurozentrismus bei der Beschäftigung mit Macht und Herrschaft überwunden oder zumindest nivelliert werden, indem die Grenzen, die die im europäischen Wissenschaftsbetrieb entstandenen Fachkulturen gesetzt haben, in Frage gestellt werden und stattdessen ein transkultureller Ansatz zur Beschreibung von Macht und Herrschaft erarbeitet wird. Die untersuchten Kulturräume werden dabei nicht als monolithische Einheiten betrachtet, sondern als hybride Gebilde, die stets vielseitigen Einflüssen unterworfen sind und selbst Impulse zu Veränderungen geben." [5]

Man kann sehen, dass sich die Transkulturalitätsforschung in den vergangenen zwölf Jahren sehr gut in der deutschen Wissenschaftslandschaft etabliert hat. Dies zeigt sich auch darin, dass erste Studiengänge akkreditiert und entsprechende Zeitschriften gegründet worden sind. In Heidelberg hat man ein Masterprogramm "Transcultural Studies" (www.transcultural.uni-hd.de) eingerichtet, und einen ähnlichen Abschuss kann man seit 2008 an der Universität Bremen erwerben. Der MA in "Transcultural Studies" (MATS) (www.kultur.uni-bremen.de/de/ma-transkulturelle-studien.html) wird in Bremen inhaltlich von der Religionswissenschaft, der Ethnologie, der Kulturwissenschaft und der Literaturwissenschaft getragen. Bei den Publikationsorganen mit einer transkulturellen Ausrichtung handelt es sich zum einen um das seit 2014 von Matthias M. Tischler betriebene "Journal of Transcultural Medieval Studies" (https://www.degruyter.com/view/j/jtms). Zum anderen stellt das Heidelberger Exzellenzcluster seit 2010 über das e-Journal "Transcultural Studies" (http://heiup.uni-heidelberg.de/journals/index.php/transcultural) Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung.

In diesem ganzen Kontext sind die in diesem FORUM besprochenen Bücher zu sehen. Das Autorenkollektiv des Werkes "Transkulturelle Verflechtungen. Mediävistische Perspektiven" setzt sich aus MitarbeiterInnen aus dem SPP 1173 und des DFG-Netzwerkes von Daniel König zusammen. Es stellt das Produkt eines kollaborativen Schreibprozesses dar, der vom Ansatz her ebenso innovativ wie problematisch ist. Auch bei dem Abschlussband des zweiten DFG-Netzwerkes zu monarchischen Herrschaftsformen wirkt beinahe geschlossen die gesamte an dem Vorhaben beteiligte Gruppe als Herausgeberteam mit: Wolfram Drews, Antje Flüchter, Christoph Dartmann, Jörg Gengnagel, Almut Höfert, Sebastian Kolditz, Jenny Rahel Oesterle, Ruth Schilling und Gerd Schwedler. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Christian Scholl hat Wolfram Drews, der 2011 an die Universität Münster auf einen Lehrstuhl für die Geschichte des frühen und hohen Mittelalters berufen wurde, zudem einen Band zu transkulturellen Verflechtungsprozessen in der Vormoderne publiziert. Antje Flüchter, seit Juli 2014 Professorin für Frühe Neuzeit an der Universität Bielefeld, hat gemeinsam mit ihren an der Universität Heidelberg beschäftigten Kolleginnen Jivanta Schöttli und Susan Richter zwei Bände zu Transkulturalisationsphänomenen vorgelegt. Widmet sich der eine Band mit Schöttli) kulturellen Austauschprozessen, so stehen bei dem anderen (mit Richter) eher travelling concepts im Mittelpunkt. Die einzige Monographie des FORUMs stammt von Almut Höfert, die seit 2001 eine Förderungsprofessur des Schweizer Nationalfonds am Historischen Seminar der Universität Zürich innehat. In ihrer Habilitationsschrift entwickelt sie am Beispiel des römisch-byzantinischen Reiches, des umaiyadischen und abbasidischen Kalifates und des lateinischen Kaisertums das Konzept eines imperialen Monotheismus'. Wie schwierig begriffliche Schärfungen sind, zeigt schließlich der von dem österreichischen Historiker Reinhard Härtel veröffentlichte Band zum Problem der Akkulturation in mittelalterlichen Zusammenhängen.

Anmerkungen:
[1] Michael Borgolte / Juliane Schiel / Bernd Schneidmüller (u.a.) (Hgg.): Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft. Berlin 2008; Michael Borgolte / Bernd Schneidmüller (Hgg.): Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule (= Europa im Mittelalter; Bd. 16), Berlin 2010; Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Bernd Schneidmüller (Hgg.): Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter (= Europa im Mittelalter; Bd. 18), Berlin 2011 und Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Bernd Schneidmüller (Hgg.): Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalen Bezügen (= Europa im Mittelalter; Bd. 20), Berlin 2012.
[2] So auf http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/33525372.
[3] Von den ersten beiden Konferenzen liegen Tagungsbände vor: Rania Abdellatif / Yassir Benhima / Daniel König / Elisabeth Ruchard (éds.): Acteurs des transferts culturels en Méditerranée médievale. München 2012; Rania Abdellatif / Yassir Benhima / Daniel König / Elisabeth Ruchaud (éds.): Construire la Méditerranée, penser les transferts culturels. München 2012.
[4] So auf www.asia-europe.uni-heidelberg.de/de/ueber-uns/einfuehrung.html.
[5] So auf https://www.sfb1167.uni-bonn.de/forschungsprogramm.

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