Rezension über:

Heinz Scheible: Melanchthon. Vermittler der Reformation. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2016, 445 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-68673-3, EUR 28,00
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Rezension von:
Thomas Fuchs
Universitätsbibliothek Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Fuchs: Rezension von: Heinz Scheible: Melanchthon. Vermittler der Reformation. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 10 [15.10.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/10/29383.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Reformation - I" in Ausgabe 17 (2017), Nr. 10

Heinz Scheible: Melanchthon

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Die vorliegende Studie ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung der Melanchthon-Biographie von Heinz Scheible, die zuerst 1997 erschienen ist. Gegenüber der ersten Auflage sind nur einige wenige Details geändert worden. Die Biographie Melanchthons wurde vom Verfasser auf der Grundlage des Briefwechsels geschrieben. Sehr detailliert wird der Reformator Melanchthon in seinem Lebensweg als Theologe geschildert. Breiten Raum nehmen die theologischen Werke und die um die Theologie erwachsenen Konflikte innerhalb des Protestantismus ein. Von den unzähligen theologischen Werken Melanchthons werden die "Confessio Saxonica" und die Antwort auf die Bayerischen Inquisitionsartikel ("Responsiones ad articulos bavaricae") besonders hervorgehoben. Hingegen werden die "Loci communes", die als erstes systematisch-theologisches Werk der reformatorischen Bewegung gelten, nur kursorisch behandelt.

Für den Verfasser war Melanchthon zu allererst lutherischer Theologe, die Begegnung mit Luther der alles entscheidende Wendepunkt in seinem Leben. Wenn es um den theologischen und reformatorischen Lebensweg Melanchthons geht, wird mit dem Interim ein weiterer zentraler Umbruch in der Biographie ermittelt. Nun beginnt die Zeit der innerprotestantischen Auseinandersetzungen um die Person und das Werk Melanchthons. Hier könnte allerdings schon auf die "Confessio Augustana variata" von 1540 hingewiesen werden, die gleichsam die Saat des Unheils in sich trug. Die so bedeutsame Frage, wie Melanchthon zur reformierten Theologie und Bewegung stand, spielt hingegen keine Rolle. Melanchthon ist immer nur der treue Weggefährte Luthers, der legitim das Erbe Luthers vertrat, eine Sichtweise, die nicht von allen Zeitgenossen Melanchthons geteilt wurde.

Auf dieser inhaltlichen Ebene ist das Werk über jeden Zweifel erhaben. Anders stellen sich die Dinge mit dem Blick auf das Titelwort "Biographie" dar. Das Buch ist weniger eine Biographie, in der eine Person in ihrer Wirksamkeit in einer bestimmten Lebensumwelt und Zeit dargestellt wird. Der Fokus der Darstellung liegt immer nur auf dem Theologen Melanchthon. Nur angedeutet werden der Philologe Melanchthon oder der Texteditor. Und auch der politische Denker Melanchthon wird nur am Rande thematisiert. Um ein Beispiel zu geben: Der für die europäische Geistesgeschichte so bedeutende Gedanke vom "tertius usus legis", den Melanchthon erstmals in den "Loci Communes" von 1535 formuliert hatte, findet keine Erwähnung. Auch die so eminent wichtige Gutachtertätigkeit der Wittenberger Theologen zu politischen Fragen wie dem Widerstandsrecht gegen den Kaiser ist in dieser Biographie nur Marginalie. Ebenso werden die Diskussionen auf den verschiedenen Reichsreligionsgesprächen in ihrer institutionellen Geschichte sehr ausführlich dargestellt, die inhaltlichen, theologischen Fragen allerdings nur am Rande gestreift. Als Beispiel kann hier auf die Diskussionen in Augsburg 1530 hingewiesen werden mit dem so intensiven Meinungsaustausch zwischen Johannes Eck und Melanchthon über die Konkupiszenz und den Anklagezustand (reatus) des Menschen.

Nun ist es natürlich legitim, die Biographie auf ein Thema zu fokussieren, problematisch bleibt aber der methodische Zugang zu den handelnden Protagonisten. Melanchthons theologische Gedankenwelt wird aus den Werken selbst heraus entwickelt, gleichsam aus der Subjektivität der historischen Person. Die Widersacher Melanchthons, die allesamt ziemlich schlecht wegkommen, werden aus der objektiven Sicht von außen betrachtet, um bei den Kategorien Max Webers zu bleiben. So viel Bewunderung und Zuneigung der Verfasser Melanchthon entgegenbringt, so viel Ablehnung Flacius. Der ist in gewisser Weise der böse Antipode Melanchthons. Entsprechend weist der Verfasser auf das schlechte Ende des Flacius hin (293), obwohl dieser erst 1575 verstarb.

Störend ist der Versuch, aus den geschilderten Vorkommnissen durch Hinweise auf unsere Gegenwart allgemein gültige Erkenntnisse und Moralgesetze zu erlangen. Angeblich wisse jeder Scheidungsrichter, dass Zuneigung in Ablehnung umschlagen kann (178); oder auf Flacius bezogen: "Doktrinäre haben es leichter. Sie wissen immer, wo das Gute ist, wo das böse zu suchen ist, wann man sich richtig oder falsch verhält." (235) Solche Aussagen sind im besten Falle nichtssagend. Seltsam wird es, wenn über die Intelligenz von Georg Major (250), über den Zusammenhang zwischen dem "Organismus 'Mensch'" und politischen Prozessen (70) oder über Genetik spekuliert wird: "Reisefreudige Menschen gab es zu allen Zeiten. Andere sind recht sesshaft, denn jeder trägt mehr oder weniger Erbgut von Bauern oder von Jägern in sich." (252)

In formaler Hinsicht ist das Fehlen von Anmerkungen zu kritisieren. Wenigstens die Zitate hätten nachgewiesen werden können, da eine solche Biographie eher am Anfang als am Ende der Beschäftigung mit Melanchthon steht. Zusammenfassend wurde eine großartige Studie über den Werdegang des lutherischen Theologen Melanchthon vorgelegt. Jede Beschäftigung mit der reformatorischen Theologie im Allgemeinen und dem Denken Melanchthons im Besonderen wird an diesem Buch nicht vorbeigehen können.

Thomas Fuchs