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Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg, 2., aktualisierte Auflage, Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 2015, 404 S., 105 s/w-Abb., ISBN 978-3-89479-849-9, EUR 34,95
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Rezension von:
Bernd Lemke
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
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Bernd Lemke: Rezension von: Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg, 2., aktualisierte Auflage, Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/01/29411.html


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Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen

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Der Orient hat Konjunktur, und das seit geraumer Zeit. Im Gefolge der Ereignisse vom 11. September 2001 sowie der Kriege im Irak und in Syrien hat sich international eine geistesgeschichtliche Industrie entwickelt, die zahlreiche Publikationen hervorgebracht hat. Deutschsprachige Forscher sind nur in begrenztem Umfang vertreten, und wenn, beschäftigen sie sich häufig stark mit den deutschen Aspekten. Eines dieser Werke ist die Arbeit von Veit Veltzke, die parallel zu einer Ausstellung entstand. [1] Die Publikation, die sich nicht zuletzt auf einen Nachlass (Fritz Klein) in Privatbesitz stützt, zeichnet den Weg einer der deutschen Insurrektions- und Sabotageunternehmungen während des Ersten Weltkrieges aus dem Machtbereich des Osmanischen Reiches heraus nach, in diesem Fall nach Persien. Der Autor beschreibt den Lebensweg vor allem der beiden Protagonisten Fritz Klein und Edgar Stern (später Stern-Rubarth). Klein, ein unsteter, eher eigenwilliger Charakter, entstammte einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, fühlte sich in einer modernen Industriegesellschaft wie der des Kaiserreichs indes nicht recht wohl, gewann der eingeschlagenen militärischen Karriere wegen der dort nötigen Disziplin wenig ab und wurde daher in der Dekade vor dem Ersten Weltkrieg auf eigene Kosten als Oberleutnant an die diplomatischen Vertretungen nach Rio de Janeiro, Kairo und Teheran geschickt. Das nötige Geld beschaffte er sich Veltzke zufolge durch "märchenhaftes Spielerglück" (51). Bedeutende deutsche oder britische Orientreisende konnten sich ihre Unternehmen vor allem durch den bürgerlichen Wohlstand leisten (Gertrude Bell oder Max von Oppenheim).

Seine große Chance sah Klein bei Kriegsausbruch gekommen, als Freiwillige für eine größere Operation zur Sprengung bzw. sogar Besetzung der von den Engländern ausgebeuteten Ölfelder in Persien gesucht wurden. Zusammen mit einem Häuflein von meist ebenso abenteuerhungrigen Spezialisten machte sich Klein auf den Weg. Dazu holte man sich eine Fatwa schiitischer Geistlicher unter anderem aus Kerbala ein, mit der man den entscheidenden Schlüssel zur Eroberung der persischen Herzen in der Hand zu haben glaubte - eine der vielen kulturellen Fehleinschätzungen fast aller derartigen Unternehmungen bis 1945. Die Aktion wurde dann, nicht zuletzt wegen der andauernden Probleme mit dem osmanischen Bündnispartner, fallengelassen, was den Tatendrang Kleins indes nicht schmälerte. Er war mit seiner zwischenzeitlichen Tätigkeit als logistischer Chef der osmanischen Armee in Mesopotamien nicht recht zufrieden und arbeitete schon während dieser Zeit auf ein großes Unternehmen in Persien hin.

Möglich wurde dies nach dem gescheiterten Angriff der Türken gegen die Engländer im Frühjahr 1915. Auf massives Betreiben des Militärattachés in Teheran, Kanitz, und mit Einverständnis des Großen Generalstabes machte sich die Truppe im Herbst 1915 nach Persien auf. Nach einigen erfolgreichen Sprengungen und Gefechten wurden die Grenzen des ganzen Unternehmens rasch deutlich. Nicht nur reagierten vor allem die Engländer hart und effizient gegen derlei Aktionen, sondern es kam auch zu weiteren Streitigkeiten mit dem osmanischen Bündnispartner, der die angestrebte Verbrüderung mit den Schiiten überhaupt nicht gerne sah. Ferner musste man im Laufe der Zeit erkennen, dass Unterstützung von Stämmen und religiösen Führern nur gegen Bezahlung in harter Währung zu bekommen und militärisch regelmäßig ineffizient war.

Klein, der schließlich versuchte, mit seiner Truppe eine persische Befreiungsarmee aufzubauen, wurde zunehmend zum Ärgernis nicht nur für die Hohe Pforte, sondern vor allem auch für die Botschaft in Istanbul und das Auswärtige Amt. Das Ende kam nach dem Eintreffen des Generalfeldmarschalls Colmar von der Goltz und der Etablierung formaler militärischer Kommandostrukturen (deutsch-persische Militärmission). Auch wenn diese aufgrund der Kriegslage nicht lange Bestand hatten, wurde Klein, der in derlei Verhältnisse nicht wirklich passte, bald als Leiter des Unternehmens abgesetzt und mit einer nachrangigen Stellung bedacht. Alle Annäherungsversuche, der Einsatz großer Geldsummen, Verbrüderungsaktionen und religiöse Empfehlungsschreiben wurden nicht zuletzt durch die brutalen Ausschreitungen der türkischen Armee beim Vorstoß nach Persien konterkariert. Die teils euphorischen Hoffnungen auf die große islamische Einheitsfront unter dem Banner des Dschihad erwiesen sich als Schimären.

Veltzke erkennt diese Defizite und Fehlleistungen und benennt sie vor allem im Schlusskapitel. Er verweist auch auf die recht bemerkenswerten Werdegänge von Klein und Stern nach 1918. Indes kommt er über die Perspektive der Protagonisten nicht wirklich hinaus. Den internationalen Forschungsstand, gerade zu den methodischen Fragen, ignoriert er weitgehend wie auch deutschsprachige Fachliteratur zum Thema Orientalismus und Militärgeschichte. Die gängigen Orient-Klischees werden zwar benannt, aber eher als Begleiterscheinung bewertet ("Orientromantiker", 58). Der Schreibstil ist streckenweise nicht analytisch und distanziert, sondern erinnert eher an Abenteuerliteratur bzw. die Erinnerungen der Protagonisten selbst. Erst nach und nach gewinnt die Darstellung etwas differenzierteren Charakter. Eine kritische Würdigung findet jedoch auch in den Schlusskapiteln nicht wirklich statt, hier insbesondere zu der Frage, ob derartige Unternehmen nicht eine Verschwendung eigener Ressourcen darstellten. Veltzke verweist mehrfach darauf, dass die Tätigkeit Kleins dem Gegner großen Schaden zugefügt und die Stationierung von Truppen nötig gemacht habe, die dann auf dem europäischen Kriegsschauplatz gefehlt hätten. Diese Behauptung findet sich schon in den Quellen wieder und ist genauso diskussionswürdig wie unbewiesen. Hier hätte die inzwischen reichhaltige Forschung zur britischen Seite rezipiert werden müssen.

Nicht wirklich gelungen ist auch der Vergleich des beschriebenen Unternehmens mit dem Wirken von T. E. Lawrence. Die deutschen Protagonisten selbst hatten bereits in ihren publizierten Erinnerungen, die Veltzke über Seiten hinweg unkommentiert zitiert, den Eindruck erweckt, sie seien "Gegenspieler von Lawrence" gewesen, womit sie eher der Selbstdarstellung von Lawrence nach 1918 aufsaßen. Der Hinweis, dass der arabische Aufstand in Syrien und Palästina keinen entscheidenden Einfluss auf den Kriegsverlauf dort hatte, reicht hier nicht, und er gehört inzwischen zum Wissensstand. Die deutschen Protagonisten erreichten in Persien nie den durchschlagenden Erfolg wie Lawrence bei den arabischen Stämmen - ein Befund, der mit stärkerer Berücksichtigung der Religions- und der Kulturgeschichte sowie einer vergleichenden Betrachtung der Gesamtmethoden der Briten und der Mittelmächte (nicht nur der Diplomatie) hätte deutlich gemacht werden können. Gleichfalls problematisiert Veltzke nicht genügend die antiimperialistische Selbsttäuschung Kleins und seiner Truppe, die auf der Frontstellung gegen die westlich-liberalen "Ausbeutergesellschaften" basierte. Die teilweise recht ausführliche Darstellung der Strangulierung Persiens durch die imperialistischen Briten und Russen hätte durch eine tiefergehende und kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Imperialismus in der Region ergänzt werden müssen. Sowohl für den Ersten als auch für den Zweiten Weltkrieg gilt, dass ein Zurückdrängen oder Aushebeln des britischen Empire im Orient (was trotz einiger Siege de facto nie zu den wirklich realistischen Möglichkeiten zählte) und die Etablierung deutscher Dominanz mitnichten die Freiheit für die dortigen Völker gebracht hätten.

Für Teile der deutschsprachigen Geschichtsforschung zum Orient gilt: Es ist noch ein weiter Weg zu gehen. Er müsste bei der (selbst)kritischen Bewertung der deutschen bzw. europäischen Sichtweise beginnen und unter anderem die Perspektive der Bevölkerung der Region in die Analyse miteinbeziehen, insbesondere auch deren Führer - zugegeben, kein einfaches Unterfangen, schon was die Sprache und die Quellen angeht. Indes führen Darstellungen rein deutscher Unternehmen mit vorwiegend nationaler Perspektive nicht weiter; das Quellenmaterial ist alles andere als unendlich.


Anmerkung:

[1] Vgl. Veit Veltzke (Hg.): Playing Lawrence on the other side. Die Expedition Klein und das deutsch-osmanische Bündnis im Ersten Weltkrieg, Berlin 2014.

Bernd Lemke