Rezension über:

Christian Fuhrmeister / Monika Hauser-Mair / Felix Steffan (Hgg.): Kunst und Nationalsozialismus. vermacht. verfallen. verdrängt, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017, 367 S., 117 Farb-, 22 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0569-1, EUR 29,95
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Rezension von:
Christian Drobe
Halle/S.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Christian Drobe: Rezension von: Christian Fuhrmeister / Monika Hauser-Mair / Felix Steffan (Hgg.): Kunst und Nationalsozialismus. vermacht. verfallen. verdrängt, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/01/31294.html


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Christian Fuhrmeister / Monika Hauser-Mair / Felix Steffan (Hgg.): Kunst und Nationalsozialismus

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Der Gang in die Provinz als Vademecum für die festgefahrene NS-Kunstgeschichtsschreibung? Nicht nur geraten seit einiger Zeit verstärkt kleinere Kunstzentren in den Fokus, etwa in Braunschweig oder zuletzt in Würzburg [1], sondern es ist generell eine Ausweitung der empirischen Forschungsbasis zu beobachten. In München äußert sich das besonders in den Projekten rund um die Datenbank GDK-Research, die die Großen Deutschen Kunstausstellungen seit 2011 in hoher Materialdichte online verfügbar macht. Für den Ausstellungsmacher Felix Steffan und den Projektleiter Christian Fuhrmeister war der Weg nach Rosenheim infolgedessen nur konsequent. In der Stadt ansässige Maler wie Hans Müller-Schnuttenbach, die bis heute das kleinstädtische Sammlungsgefüge prägen, waren gleichzeitig häufig auf der GDK vertreten. Wie in einem Vexierspiegel bildet die Sammlung der Städtischen Galerie Rosenheim daher die NS-konforme Kunst in ihrer intimen Verfasstheit, aber auch in ihren tiefen Widersprüchen ab. Über drei Semester konnten gemeinsam mit Studenten der LMU vor Ort Archivarbeiten angestellt, Arbeiten geschrieben und eine Ausstellung vorbereitet werden, die diese Ambiguität aus den Rosenheimer Beständen heraus demonstriert. Zugleich ist diese Initiative eingebunden in ein breites Spektrum neuerer Aktivitäten: die Dauerausstellungen großer Museen beginnen gerade damit, NS-Kunst zu integrieren und dies in Tagungen zu diskutieren, zuletzt besonders in München und in Halle. Zudem wanderte im letzten Jahr die Ausstellung Artige Kunst über drei Stationen durch Deutschland. [2] 2017 scheint tatsächlich neuer Schwung in das problematische Forschungsfeld der NS-Kunstgeschichte gekommen zu sein.

Die Ausstellung, die vom 24. September bis 19. November 2017 in der Städtischen Galerie Rosenheim zu sehen war, wurde direkt von einem äußerst gelungenen Internet-Auftritt (https://www.vvv-guide.de/) begleitet. Was hier nun vorliegt, ist daher kein klassischer Ausstellungskatalog, sondern eher ein wissenschaftlicher Sammelband, der die höchst verdienstvolle Projektarbeit dokumentiert. In den insgesamt vier Abteilungen werden die Ergebnisse der studentischen Recherchen zu Rosenheim präsentiert (Abs. 2/3) und mit übergreifenden Perspektiven kontrastiert (Abs. 1/4).

Die erste Abteilung (Perspektiven) wirkt relativ heterogen. Der Beitrag von Annika Wienert fasst die Forschungsdiskussionen rund um die NS-Kunstgeschichtsschreibung zusammen und zeigt die zentralen Einwände gegen die Aporien der älteren Forschung auf. Es soll deutlich gemacht werden: Kanones sind für ihre Abschaffung da - der vorverurteilende Umgang mit NS-Kunst zeige, wie wenig die kunsthistorische Forschung dazu in der Lage sei, adäquat mit der Zeit von 1933 bis 1945 umzugehen. Gegenmittel soll die breite Quellenbasis quer durch die gesamte Kunstproduktion der Zeit sein - bis hinein in die letzten Stillleben und Landschaftsbilder der Provinzmaler. Exemplarisch wird im anschließenden Beitrag von Magdalena Bushart allerdings zunächst vorgeführt, wie mit den Größen der NS-Kunst umzugehen ist. Die Analyse der Breker- und Thorak-Plastiken leistet Bushart aus ihrem Entstehungskontext heraus, als Kunst am Bau, die nicht isoliert betrachtet werden darf. Die Funktionsanalyse führt auch im Beitrag von James A. van Dyke zu einem genaueren Verständnis von Paul Mathias Paduas Leda mit dem Schwan. Eindringliche Beispiele - ob sich das restliche Material auch in dieser Dichte präsentieren lässt, bleibt fraglich.

In der zweiten Abteilung (Grundlagen) kommen Felix Steffan und seine Mitstreiter mit der Aufarbeitung des Kunstzentrums Rosenheim zu Wort. Wichtig erscheint besonders die Baubeschreibung des neuen Galeriegebäudes von German Bestelmeyer, das auf den ersten Blick das Haus der deutschen Kunst in München wiederholt, aber letztlich weit stärker von baulichen Traditionen der Alpenregion beeinflusst ist. Schon an diesem Bauwerk zeigt sich exemplarisch das Wechselspiel von Zentrum und Peripherie. Die Besucherbücher der Galerie zeigen indes die ganze Problematik mikrohistorischer Forschung: große Datenmengen verbleiben in ihrer Kleinteiligkeit ohne Aussagekraft, können aber auch neue Perspektiven eröffnen. Im Aufsatz zum Kontext der Kunstvereine von Mareike Schwarz gelingt es überzeugend, Rosenheim an übergreifende Tendenzen im Land anzubinden. Es bleibt aber Brigitte Zuber vorbehalten, eine Art Summe der Beschäftigung mit der Städtischen Galerie Rosenheim vorzulegen, in der die Geschehnisse in der Peripherie erneut mit dem Zentrum in München verbunden werden. Die differenzierte Kontextualisierung Rosenheims gelingt den Autoren in diesem Abschnitt zumeist vorbildlich.

In der dritten Abteilung (Künstler) werden die einzelnen Künstler der Region vorgestellt, allen voran Hans Müller-Schnuttenbach, der sich durch eine Schenkung unmittelbar an die Stadt Rosenheim zu binden wusste. Im Idealfall zeigen solche Lebensläufe die ganze Widersprüchlichkeit der Künstlerexistenzen im Dritten Reich, wie das Elena Velichko und Stephanie Niederalt etwa bei Constantin Gerhardinger oder Anton Müller-Wischin gelingt. Manchmal sind leider die Ergebnisse allzu kalkulierbar: regionale Maler schildern Landschaft und Milieu, sind aber zumeist schon vor 1933 etabliert und sicher verankert in ihrem Stil, der letztlich noch dem 19. Jahrhundert verpflichtet ist. Ein solcher Traditionalismus als regressiver Rettungsanker und die Verdrängung anderer, moderner Künstler sichern dann den Erfolg unter den Nationalsozialisten - die Peripherie schiebt sich ins Zentrum. Ihre Marginalisierung nach 1945 ist aber nicht der Kunstgeschichtsschreibung wie in einer Anklage vorzuwerfen, sondern dies liegt stark im Charakter des viel zitierten Betriebssystems Kunst begründet. Mit Pierre Bourdieus Feinen Unterschieden ließe sich hier auf orts- und schichtenspezifische Geschmacksurteile hinweisen, mit denen auch in anderen Epochen zuvor und danach regionale Kunst goutiert und letztlich bewahrt wurde, aber auch nicht aus politischen Gründen notwendig ihre Marginalisierung noch ihre nötige Kanonisierung behauptet werden muss. [3] Dies scheint ein Kurzschluss der neueren NS-Kunstgeschichtsschreibung zu sein.

Die vierte Abteilung (Ausblicke) öffnet den Blick erneut für übergreifende Perspektiven. Oliver Kase reflektiert dabei differenziert das veränderte Präsentationskonzept in der Dauerausstellung der Pinakothek der Moderne. Zentral mag Christian Fuhrmeisters abschließender Kommentar sein: Was sich ändern muss. Der programmatische Beitrag prangert erneut die bestehenden Missstände in der Forschungslandschaft an, ist aber abseits seiner wichtigen wissenschaftspolitischen Invektiven selbst nicht ganz frei von Aporien. Die quellentechnische Konzentration auf die GDK und Künstler aus der Provinz mag darin die Zentralisierungstendenzen des NS-Regimes genauso perpetuieren, wie die bisherige Kunstgeschichtsschreibung die Dichotomie entartet / systemtreu weitergetragen hat. Das Paradoxon einer zeitgeschichtlich bestimmten und freien wie aufoktroyierten Kunstproduktion kann vielleicht durch die Synthese von Datensammlung und Qualitätskritik gemildert werden, die im letzteren Fall auch bei der NS-Kunst durchgeführt werden darf.

Der Sammelband bildet insgesamt die äußerst verdienstvolle Arbeit der Münchener Projektgruppe und der Studenten ab, auch wenn vereinzelt die Qualität der Beiträge leicht schwankt. Die Gruppe um Felix Steffan und Christian Fuhrmeister knüpft mit diesem sehr gut edierten und ausgestatteten Band material- wie thesenreich an die bestehende Forschung an und erschließt erstmals die Kunstlandschaft Rosenheims während der NS-Zeit. Er wird der NS-Kunstgeschichtsschreibung gerade für die Regionalgeschichte neue Impulse geben.


Anmerkungen:

[1] Erika Eschebach / Eyke Isensee (Hgg.): Deutsche Kunst 1933-1945 in Braunschweig. Kunst im Nationalsozialismus, Ausstellung, Städtisches Museum und Landesmuseum Braunschweig, Hildesheim 2000; Marlene Lauter (Hg.): Tradition & Propaganda. Eine Bestandsaufnahme: Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus in der Städtischen Sammlung Würzburg, Ausstellung, Museum im Kulturspeicher, Würzburg 2013.

[2] Silke von Berswordt-Wallrabe / Jörg-Uwe Neumann / Agnes Tieze (Hgg.): Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus, Ausstellung, Ruhr-Universität Bochum, Kunsthalle Rostock, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Bielefeld 2016.

[3] Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 25. Auflage, Frankfurt am Main 2016.

Christian Drobe