sehepunkte 18 (2018), Nr. 5

Zürcher Kunstgesellschaft / Kunsthaus Zürich (Hgg.): Joan Miró

Der katalanische Künstler Joan Miró (1893-1983) machte im Laufe seines langen und produktiven Schaffens außerordentliche stilistische und technische Wandlungen durch. Vom "magischen Realismus" seines Frühwerks über den Kubismus bis hin zur völligen Abstraktion, von der Malerei über Grafik, Skulptur und Keramikgestaltung erstreckt sich seine fruchtbare künstlerische Tätigkeit. Durch seine eigene provokative Aussage, die Malerei "ermorden" zu wollen (32), schien Miró selbst einen objektiv-analytischen Zugang zu seinem Werk zu verbauen. Diesem breit gestreuten Werk in Monografien oder Ausstellungen gerecht zu werden, ist dementsprechend schwierig. Jüngere Ausstellungen haben diese Schwierigkeit umgangen, indem sie Miró in den Kontext anderer Künstler gestellt und so Bezüge hergestellt haben. [1] Vielfach wurden für Miró-Ausstellungen abstrahierende Titel gewählt (Stichworte "Poesie", "Traum", "das Fantastische", "Welten" u.ä.), die sich mehr oder weniger beliebig füllen ließen. [2] Der Ansatz, den der vorliegende Ausstellungskatalog des Kunsthauses Zürich verfolgt, ist ein anderer: Ausgangspunkt ist die Textur, die Materialität und die körperhafte Präsenz von Wänden, die sowohl als gemalte Motive als auch als Bildträger selbst in Mirós Werk erscheinen. Der scheinbar willkürlich gewählte Ansatz geht verblüffend auf. In jeder Schaffensphase Mirós zeigt sich die Faszination des Künstlers von der Beschaffenheit der von ihm bearbeiteten oder geschaffenen Oberflächen.

Das von Oliver Wick ausgearbeitete und von Simonetta Fraquelli umgesetzte Ausstellungskonzept gliedert das Werk Mirós chronologisch, aber stets unter den Schlagworten Wand / Bildgrund und Materialität. So werden die berühmten "Traumbilder" im Kapitel "Blaue Bildgründe (1924-1964)" vorgestellt. Mit dem Hinweis auf Mirós eigene Herleitung des blauen Malgrundes - seine Kindheitserinnerungen an von blauer Sulfitlauge bespritzte Mauern von Bauernhöfen seiner katalanischen Heimat (17) - wird so tatsächlich erstmals das Augenmerk auf die lebhafte malerische Struktur dieses Blaus gelenkt, das weit mehr ist als bloßer Bildhintergrund. Auch die Bilder des Kapitels "Weiße Bildgründe und die Magie der Farbe (1927-1930)" lassen deutlich werden, welche Bedeutung der raue, durch die Farbe durchschimmernde Bildgrund für die stark abstrahierten und reduzierten Bilder aus dieser entscheidenden Werkphase des Künstlers hatte. In den 1930er-Jahren findet die reduzierte Bildersprache und Farbigkeit, in denen Miró das Trauma des Spanischen Bürgerkriegs verarbeitete, ihre Entsprechung in der Verwendung unkonventioneller Bildträger wie Teer, Sandpapier oder Sackleinen. In den Friesen und Wandbildern, insbesondere in den keramischen Wandbildern des Spätwerks, setzt sich Mirós Auseinandersetzung mit dem Wechselspiel von Bildmotiv und Bildmaterialität fort. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich auch Mirós plastisches Werk neu betrachten, insbesondere die keramischen Figurinen der 1950er-Jahre, denen Miró vor dem Brennen und Glasieren eine raue Struktur verlieh, indem er den Ton mit Kies und Steinen durchsetzte.

Dem Katalogteil vorangestellt sind eine Reihe einleitender Aufsätze. Carolyn Lanchner, die 2016 verstorbene, langjährige Kuratorin des Museum of Modern Art in New York, verknüpft Mirós Biografie mit der Entwicklung seines Werkes und schafft es, den jeweiligen historischen Hintergrund und die Lebenssituation Mirós lebendig werden zu lassen. Joan Punyet Miró, ein Enkel des Malers und selbst Künstler, beschäftigt sich mit den großen Triptychen Mirós aus der Zeit zwischen 1961-1974. Er bietet erhellende Einblicke in den geistigen wie technischen Entstehungsprozess dieser Werkgruppe. William Jeffett, Kurator am Dalí-Museum in Florida, analysiert in seinem Beitrag die Rolle der Materialität für Mirós Werk, angefangen von dessen Faszination für die berühmten steinzeitlichen Höhlenmalereien von Altamira bis hin zu seiner erfolgreichen und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Keramikkünstler Josep Llorens Artigas. Ein eigener Beitrag von Simonetta Fraquelli ist dem berühmten Keramik-Wandbild "Vögel, die wegfliegen" gewidmet, das Joan Miró 1971/72 für das Kunsthaus Zürich schuf. Dieses Kunstwerk, das heute etwas abseits im Innenhof "Miró-Garten" steht, wieder mehr ins Bewusstsein der Besucher zu rücken, war ein erklärtes Ziel der Ausstellung (16).

Im Katalogteil ist jedes Objekt auf einer einzelnen Seite mit Bildbeschriftung abgebildet; durch den großzügigen weißen Rand sind die relativ kleinen Abbildungen der unterschiedlich großen Kunstwerke vereinheitlicht. An die Biografie Joan Mirós (Simonetta Fraquelli, Esther Braun-Kalberer) schließt sich ein Verzeichnis der ausgestellten Werke mit weiteren Angaben zu den Kunstwerken an (Material, Maße, Provenienz) - ein mehr oder weniger redundanter Katalogteil, da diese Informationen ohne weiteres auch in den Bildunterschriften selbst hätten untergebracht werden können. Insbesondere die Angaben zu den verwendeten Materialien unmittelbar bei den Abbildungen wären bei der hier gewählten Herangehensweise sinnvoll gewesen. Doch sei dies nur eine kleine Einschränkung gegenüber einem sonst gut durchdachten und auch hervorragend lektorierten Katalog. Ästhetisch durchzieht ihn dabei ein leiser Hauch von Nostalgie: Querformat und Typografie evozieren experimentelle Phasen der Buchgestaltung der 1970er-Jahre, die Zeit der letzten aktiven Schaffensphase Mirós. Zeitgenössische Fotografien aus dem Atelier des Künstlers, von der Entstehung und dem Ankauf des großen Keramikbildes und dessen Ausstellung im Kunsthaus Zürich tragen dazu bei, diese Epoche lebendig werden zu lassen. Insgesamt leistet der Katalog einen wertvollen Beitrag dazu, das Werk dieses bedeutenden katalanischen Künstlers zu erschließen und kontextuell zu verorten.


Anmerkungen:

[1] Hierfür als jüngstes Beispiel: Bonheur de vivre. Henri Matisse, Joan Miró, Alexander Calder, Robert Motherwell, Sam Francis, Katalog zur Ausstellung "Bonheur de Vivre" (London, Bernard Jacobson Gallery, 18. März bis 21. Mai 2016), London 2016.

[2] Als ein Beispiel sei hier angeführt: Michael Peppiatt (Hg.): Miró. Malerei als Poesie, Katalog zur Ausstellung "Miró. Malerei als Poesie" (Bucerius-Kunst-Forum, Hamburg, 31. Januar bis 25. Mai 2015; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 13. Juni bis 27. September 2015), München 2015.

Rezension über:

Zürcher Kunstgesellschaft / Kunsthaus Zürich (Hgg.): Joan Miró. Mauer, Fries, Wandbild, München: Hirmer 2015, 168 S., 130 Farbabb., ISBN 978-3-7774-2450-7, EUR 34,90

Rezension von:
Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus
München
Empfohlene Zitierweise:
Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus: Rezension von: Zürcher Kunstgesellschaft / Kunsthaus Zürich (Hgg.): Joan Miró. Mauer, Fries, Wandbild, München: Hirmer 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 5 [15.05.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/05/28304.html


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